Christine Haderthauer: „Eltern an die Hand nehmen“

„Vorglühen“ und Komasaufen: Bayerns Sozialministerin fordert im AZ-Interview eine Verschärfung der Jugendschutzgesetzgebung – und kritisiert die Unfähigkeit der Eltern, Kindern Grenzen zu setzen
von  Abendzeitung
Christine Haderthauer am Schreibtisch in ihrem Büro.
Christine Haderthauer am Schreibtisch in ihrem Büro. © Petra Schramek

„Vorglühen“ und Komasaufen: Bayerns Sozialministerin fordert im AZ-Interview eine Verschärfung der Jugendschutzgesetzgebung – und kritisiert die Unfähigkeit der Eltern, Kindern Grenzen zu setzen

AZ: Vorglühen für die Wiesn: Auch heuer waren viele Jugendliche nachts mit viel Alkohol vor den Zelten. Warum machen Jugendliche das?

CHRISTINE HADERTHAUER: Das liegt am mangelhaften Vorbildverhalten von Eltern und Prominenten. Wenn die Promis sich in den Zelten feucht-fröhlich dem Alkohol hingeben und auf den Tischen tanzen, denken sich die Jugendlichen: Warum wir nicht? Außerdem gibt es Eltern, die offensichtlich die Einstellung haben: Wenn mein Kind zehn Jahre alt ist, brauch’ ich es nicht mehr zu erziehen. Ein Großteil dieser Eltern, wissen gar nicht, wo ihre Kinder sind, fühlen sich nicht mehr zuständig für sie oder wissen gar nicht mehr, was ihre Kinder dürfen oder nicht.

Harter Alkohol ist auf jeden Fall verboten.

Das Vorglühen erfolgt mit mitgebrachtem Alkohol, der offenbar gesetzeswidrig an Jugendliche verkauft wird. Hier muss die Gesellschaft durch stärkere Kontrollen und Testkäufe daran erinnert werden, was die Rechtslage ist. Die gilt auch für Tankstellen.

Und für die älteren Freunde, die vor der Wiesn zum Alkohol-Kauf geschickt werden.

Ja, es geht dabei auch generell um die so genannten Aufsichtspersonen. Über-18-Jährige, die die Wodka-Flaschen kaufen oder die Jugendlichen zum Beispiel in Discos begleiten. Die bestehende Regelung, nach der dies erlaubt ist, muss entweder abgeschafft oder deutlich verschärft werden: Eine Aufsichtsperson sollte mindestens 25 Jahre alt sein und es sollte ein Autoritätsverhältnis, das nicht nur für diesen Abend gilt, bestehen.

Das heißt: die Eltern, ein Jugendleiter...

Ja, Vormund, Betreuer, Onkel, Gruppenleiter - auf jeden Fall nichts, was gerade erfunden worden ist, weil man heute in die Disco gehen möchte oder Wodka bei der Tankstelle kaufen möchte.

Die Wiesn-Regeln sind klar: Kinder unter 16 Jahren haben ohne Eltern im Festzelt nichts verloren, nach 20 Uhr dürfen sie alleine nicht mehr auf der Theresienwiese sein.

Ja, aber das wissen nach meiner Schätzung 80 Prozent der Eltern nicht.

Hinzu kommt der soziale Druck: „Meine Freunde dürfen, ich nicht“, sagen Kinder.

Natürlich, aber wenn Eltern damit nicht umgehen können, müssen sie an sich arbeiten. Das Hauptproblem ist: Eltern reden viel über Grenzen, die der Staat setzen soll. Sie selber sind aber oft nicht in der Lage, Grenzen zu setzen. Jeder Elternteil, dessen Kinder betrunken aufgegriffen werden, muss seine Verantwortung dafür kritisch hinterfragen.

Die erste „Bierleiche“ am ersten Wiesn-Samstag war 16 Jahre alt - wie sollte man auf dessen Eltern zugehen?

Der Spruch „Eltern haften für ihre Kinder“ gilt, bis die Kinder volljährig sind. Wenn die Ärzte mitbekommen - und das geschieht sehr oft -, dass dies nicht ernst genommen wird, muss eine Meldung ans Jugendamt erfolgen.

Eltern gehen mit ihren Kindern ins Festzelt, Kinderwagen werden auch am Wochenende durch Gedränge geschoben - wie früh soll man mit der Prävention ansetzen?

Ganz früh. Am besten mit der Geburt – über Schwangerschaftskurse und Hebammenprogramme erreichen wir so viele jungen Eltern wie nie. Da muss man den Fuß in der Tür behalten. Von selbst nehmen die Eltern, die Probleme haben, keine Angebote wahr. Die musst du an die Hand nehmen und nicht mehr los lassen.

Bier gilt als bayerisches Grundnahrungsmittel, sogar der Ministerpräsident hat zum Anstich seine Wiesn-Abstürze gebeichtet.

Ich hab nichts gegen bayerische Folklore – ganz im Gegenteil. Aber es ist wichtig, dass die Grenze nicht überschritten wird. Da sind alle Vorbilder gefragt, auch die Politiker.

Sie sind in München aufgewachsen – was sind Ihre Wiesn-Erinnerungen?

Ich bin als Mädchen nicht im Dirndl, sondern in kurzer Lederhose zur Wiesn gegangen. Da war die Wiesn noch ein echtes Volksfest – Alkohol hat da für mich keine Rolle gespielt, auch als Jugendliche nicht.

K. Rieger, G. Thanscheidt

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