Interview

Christian Schmidt: "Wer auf den Balkan geht, darf nicht aus Zucker sein"

Schwieriger UN-Job: Seit fast einem halben Jahr ist CSU-Politiker Christian Schmidt nun Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina.
von  Natalie Kettinger
"Spezialeinsatzkräfte" der Polizei am 9. Januar während der Parade zum 30. Jahrestag der Republika Srpska seit ihrer Ausrufung am Vorabend des Bosnienkrieges.
"Spezialeinsatzkräfte" der Polizei am 9. Januar während der Parade zum 30. Jahrestag der Republika Srpska seit ihrer Ausrufung am Vorabend des Bosnienkrieges. © Elvis Barukcic / AFP

AZ-Interview mit Christian Schmidt: Der 64-jährige CSU- Politiker war von 2005 bis 2013 Staatssekretär im Verteidigungsministerium und von 2014 bis 2018 Bundeslandwirtschaftsminister. Seit August 2021 ist er Hoher Repräsentant der UN für Bosnien-Herzegowina. Als Hüter des Friedensvertrages von Dayton hat er weitreichende Kompetenzen.

Christian Schmidt bei einer Rede im Bundestag.
Christian Schmidt bei einer Rede im Bundestag. © imago images/Christoph Hardt

AZ: Herr Schmidt, der Führer der bosnischen Serben, Milorad Dodik, droht mit einer Abspaltung der Republika Srpska - wie ernst ist die Lage?
Christian Schmidt: Ernst. Nicht, weil ich glaube, dass Herr Dodik ein großer Stratege ist, sondern weil er sich in seinen eigenen Ankündigungen verfängt und die Gefahr besteht, dass daraus dann wirklich Übles entsteht.

Gerade erst ließ Dodik den Jahrestag der Ausrufung der Republika Srpska mit einer militärisch anmutenden Parade in Banja Luka feiern. Wie ist das zu deuten?
Militärisch war die Parade - trotz aller Versuche, sie so darzustellen - überschaubar. Die Republika Srpska hat kein Militär, sondern lediglich bewaffnete Polizei. Was mich sehr viel mehr betroffen gemacht hat, ist, dass hinter Herrn Dodik auf der Tribüne mit Vinko Pandurevic ein verurteilter Kriegsverbrecher gesessen hat, der in Den Haag wegen seiner Beteiligung am Massaker von Srebrenica zu 13 Jahren Haft verurteilt worden ist. Das ist inakzeptabel, weil es bei den Menschen in Bosnien-Herzegowina die Sorge schürt, dass da doch jemand Gewalttätigkeiten akzeptieren würde. Dodik muss klarstellen, dass er das nicht will. Wir werden uns diesen Vorgang rechtlich genau ansehen. Mein Vorgänger Valentin Inzko hat schließlich ein Gesetz erlassen, das die Leugnung oder Verherrlichung von Völkermord unter Strafe stellt.

"Uns ist es gelungen, die Aufspaltung der Armee zu verhindern"

Dodik hat angekündigt, die Republika mit Kompetenzen zu versehen, die eigentlich beim Zentralstaat liegen: mit einer eigenen Armee, einer eigenen Steuerbehörde und einer eigenen Justiz. Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?
Es ist der Staatengemeinschaft und mir gelungen, die Aufspaltung der bosnischen Armee zu verhindern. Diese Idee ist gefährlich - und deshalb hat Herr Dodik in diesem Punkt keinen einzigen Verbündeten, weder in Russland noch in Serbien, Ungarn oder Kroatien.

Bleiben die anderen Bereiche. Noch im Januar sollen entsprechende Gesetze bezüglich der Justiz in der Republika Srpska verabschiedet werden.
Jeder, der meint, er kann die Unabhängigkeit der Justiz durch eine Freunderlwirtschaft ersetzen, wird es mit der Internationalen Gemeinschaft zu tun bekommen. Das ist meine Aufgabe und die nehme ich sehr, sehr ernst. Meine Vorgänger haben den Hohen Justizrat eingeführt, der unabhängige Berufung der Richter garantiert und dabei muss es bleiben.

Im Bosnienkrieg starben zwischen 1992 und 1995 mehr als 100.000 Menschen. Erst der Friedensvertrag von Dayton setzte dem Blutbad ein Ende. Doch anders als ursprünglich gedacht, ist das Land bis heute gespalten: in die kroatisch-bosnische Föderation und die Republika Srpska. Dass an der Spitze des Landes ein dreiköpfiges Staatspräsidium steht, das mit je einem bosniakischen, einem serbischen und einem kroatischen Bosnier besetzt ist, und dessen Vorsitz alle acht Monate wechselt, macht die Sache nicht einfacher.
Im Bosnienkrieg starben zwischen 1992 und 1995 mehr als 100.000 Menschen. Erst der Friedensvertrag von Dayton setzte dem Blutbad ein Ende. Doch anders als ursprünglich gedacht, ist das Land bis heute gespalten: in die kroatisch-bosnische Föderation und die Republika Srpska. Dass an der Spitze des Landes ein dreiköpfiges Staatspräsidium steht, das mit je einem bosniakischen, einem serbischen und einem kroatischen Bosnier besetzt ist, und dessen Vorsitz alle acht Monate wechselt, macht die Sache nicht einfacher. © AFP

Wahl in Bosnien: "Für Dodik sieht es schlecht aus"

Im Oktober wird in Bosnien gewählt. Spielt Dodik womöglich deshalb die Nationalismus-Karte?
Genau diesen Eindruck hat man. In Bezug auf die Wahlen sieht es für ihn nämlich schlecht aus. Die Leute haben Korruption, Vetternwirtschaft und fehlende Rechtsstaatlichkeit satt. Es wird versucht, mit nationalistischen Themen abzulenken.

Dodik - aktuell Mitglied im bosnischen Staatspräsidium - will 140 Gesetze für ungültig erklären, die vom Hohen Repräsentanten erlassen wurden. Warum setzen Sie ihn nicht ab, wozu Sie qua Amt ja befugt wären?
Bei den Gesetzen hat er sich einen denkbar schlechten Testballon herausgesucht: das Gesetz über das Zulassungsinstitut für Arzneimittel. Wer glaubt denn wirklich, dass sich in der Republika Srpska mit ihren 800.000 Einwohnern eine solche Behörde aus dem Boden stampfen lässt? Zwar ist der Sitz des Instituts schon heute Banja Luka - aber das ist die Bundesbehörde, dort arbeiten auch Experten aller Ethnien. Wenn Herr Dodik das ändert, spielt er mit der Gesundheit seiner Mitbürger. Noch ist dieses Gesetz nicht in Kraft und ich werde nun alle 43 Abgeordneten in der Republika Srpska, die dafür gestimmt haben, befragen. Ich will wissen, wie sie das rechtlich und politisch rechtfertigen. Auf dieser Grundlage werde ich eine Entscheidung treffen, wie es weitergeht.

"Ist Herr Dodik das einzige Hindernis für eine gute Entwicklung Bosnien-Herzegowinas?"

Zurück zu meiner Frage: Warum entheben Sie jemanden, der so viel Unruhe stiftet, nicht einfach seines Amtes?
Würde ich eine solche Entscheidung treffen, würde ich sie vorher nicht ankündigen. Es gilt aber auch zu prüfen: Wer kommt danach? Ist Herr Dodik das einzige Hindernis für eine gute Entwicklung Bosnien-Herzegowinas oder gibt es da noch mehr Fragestellungen? Die Antwort: Herr Dodik treibt es zwar am weitesten, aber er ist kein Alleinstellungsmerkmal. In der Föderation, der anderen Entität, gibt es seit drei Jahren eine geschäftsführende Regierung, weil man sich nicht auf die Zusammensetzung der eigentlichen Regierung einigen kann. Die Themen Nationalismus und mangelnde Rechtsstaatlichkeit spielen eben nicht nur in Banja Luka.

Allein im vergangenen Jahr haben rund 170.000 Menschen Bosnien verlassen. Das ist eine ganze Menge, wenn man bedenkt, dass das Land nur knapp 3,3, Millionen Einwohner hat. Es scheint, als gingen die Jungen - und zurück blieben die Alten, die den Krieg noch erlebt haben und deshalb womöglich nationalistischer gesinnt sind. Oder ist das zu kurz gesprungen?
Das genau ist das Problem dieses Landes. Anstatt sich mit der Ökonomie oder den 30 Prozent Jugendarbeitslosigkeit zu befassen, streiten sich die Verantwortlichen über nationalistische Themen. Es gibt hier viele gut ausgebildete junge Menschen, aber es findet ein Brain-Drain statt. 70 Prozent der jungen Leute wollen weg. Dabei hat das Land eigentlich riesige Potenziale.

Russland hat vergangenes Jahr versucht, im Sicherheitsrat durchzusetzen, dass das Amt des Hohen Repräsentanten abgeschafft wird. Außerdem werden Dodiks "Spezialeinheiten" dort ausgebildet. Welche Ziele verfolgt der Kreml in Bosnien?
So destruktiv, dass sie die Existenz Bosnien-Herzegowinas in Frage stellen, sind die Russen nicht. Man spielt das eine oder andere Spiel und Herr Dodik ist eine der Figuren.

Was ist mit Orban? "Alle sind gegen Spaltungstendenzen"

Was ist mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán? Muss es die Internationale Gemeinschaft beunruhigen, dass er den Schulterschluss mit Dodik sucht?
Viktor Orbán war einer derjenigen, die mitgeholfen haben, dass es keine Aufspaltung der bosnischen Armee gibt. Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union, einschließlich Ungarn, sind gegen Spaltungstendenzen.

Die US-Regierung hat Dodik wegen Korruption und der Destabilisierung Bosniens mit Sanktionen belegt. Wann handelt die EU?
Der Unterschied ist: In Amerika entscheidet einer allein, in der EU müssen Entscheidungen über Sanktionen gemeinsam getroffen werden. Die Streitkräfte-Frage wäre eine rote Linie gewesen. Man muss das Thema Spaltung aber weiter beobachten - und ich höre, dass sich bereits einige Europäer darüber Gedanken machen. Auch die Bundesregierung hat die US-Sanktionen begrüßt und unterstützt. Genauso wichtig wie Sanktionen ist aber eine Konditionierung der Finanzleistungen: Wer Geld - vom Internationalen Währungsfonds, der EU oder der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung - bekommt, muss nachweisen, was er damit macht, was wiederum strikten Regeln unterliegt. Dieser Bereich ist noch ausbaufähig.

"Es ist gut, wenn die Gemeinschaft Präsenz und Willen zeigt"

Warum wird die EU-Mission Eufor Althea - aktuell rund 600 Mann - zur Warnung nicht aufgestockt?
Weil es die Sicherheitslage im Augenblick nicht erfordert. Für den Fall des Falles muss Eufor Althea jedoch sehr schnell verstärkt werden können. Da hat auch die Nato eine Rolle zu spielen, wozu sie durchaus bereit ist. Hinzu kommt: Mit dem ehemaligen Chef des Nato-Militärausschusses, Marschall Stuart Peach, haben die Briten jetzt einen Sonderbeauftragten für Bosnien-Herzegowina benannt. Das stärkt das Vertrauen. Denn natürlich haben die Leute Angst, dass sich die Geschehnisse von vor 30 Jahren wiederholen. Da ist es gut, wenn die Internationale Gemeinschaft - was sie nicht immer gemacht hat - Präsenz und politischen Willen zeigt.

Zum Schluss noch einige Fragen zu Ihrer Person: Hatten Sie bereits vor Ihrer Berufung einen Bezug zu Bosnien?
Ja. Ich war 1991 zum ersten Mal hier, als der Konflikt zwischen den Ethnien begann. Als Staatssekretär im Verteidigungsministerium war ich dann sehr oft in Bosnien - und später auf Bitten von Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel häufiger mal als Vermittler, weil ich hier eben doch sehr viele Menschen kenne. Übrigens auch Herrn Dodik. Ihn kenne ich seit 15 Jahren. Damals war er noch ein Reformer.

Trotzdem hat er unlängst in einem Interview gelästert: "Angela Merkel wusste nicht mehr wohin mit Schmidt. Dann fiel jemand der Posten des Hohen Vertreters ein." Hat Sie das verletzt?
Erstens deutet das darauf hin, dass die Informationsquellen von Herrn Dodik nicht sonderlich gut sind. Und zweitens darf man nicht aus Zucker sein, wenn man auf den Balkan geht. Interessant ist aber doch, dass Herr Dodik sagt, er erkenne mich nicht an - und sich trotzdem bei der Hälfte seiner Pressekonferenzen mit mir beschäftigt. Also hat er vielleicht doch ein bisschen Sorge, dass mit mir nicht nur gut Kirschen essen ist?

Sie haben bei Ihrem Antritt gesagt, Sie wollten die Menschen im Land versöhnen und Ihr Amt im Idealfall überflüssig machen. Glauben Sie noch daran, das schaffen zu können?
Ich hoffe, dass ich der Wolfgang Bötsch des Dayton-Vertrages werden kann, der sein Amt als Bundespostminister mangels Notwendigkeit aufgelöst hat. Aber es wird schwierig werden, dieses Ziel in Kürze zu erreichen. Das liegt daran, dass in diesem Land ein Punkt nicht funktioniert: die nachhaltig auf Versöhnung ausgerichtete Zusammenarbeit zwischen den Menschen. Wenn in den Schulen Kinder unterschiedlicher ethnischer Herkunft unterschiedliche Unterrichtsinhalte vermittelt bekommen, dann kann das nicht gut sein. Wir müssen uns fragen, was wir diesen Kindern mitgeben wollen. Wenn wir es nicht schaffen, offen aufeinander zuzugehen, ist die langfristige Perspektive Bosnien-Herzegowinas nicht gesichert.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.