Interview

Christian Lindner: "Höhere Steuern wären Gift - und unfair"

FDP-Finanzminister Christian Lindner spricht im AZ-Interview über die Tücken der derzeitigen Haushaltsplanung, seine Tankrabatt-Idee und die Zukunft der deutschen Energiepolitik.
von  Christian Grimm, Rudi Wais
Christian Lindner (FDP) hat es als Finanzminister derzeit nicht leicht - vor allem mit Blick auf deutsche Aufrüstungs-Milliarden.
Christian Lindner (FDP) hat es als Finanzminister derzeit nicht leicht - vor allem mit Blick auf deutsche Aufrüstungs-Milliarden. © imago images/photothek

AZ-Interview mit Christian Lindner: Der 43-jährige FDP-Chef ist seit Dezember 2021 Bundesfinanzminister.

AZ: Herr Lindner, mal ehrlich: Wie oft haben Sie es schon bereut, dass Sie Robert Habeck nicht das Finanzministerium überlassen haben?
CHRISTIAN LINDNER: Ganz im Gegenteil. Ich betrachte es jeden Morgen als Privileg, hier arbeiten zu dürfen. Die Wahlversprechen der FDP, dass es keine Steuererhöhungen geben wird und dass wir die Schuldenbremse achten, kann man nur als Finanzminister umsetzen. Das Ressort ist herausfordernd, aber es hat auch große Gestaltungsmöglichkeiten. Gerade habe ich einen Haushalt vorgelegt. Er enthält Entlastungen für die Menschen im Milliardenbereich, die von unseren Vorgängern nicht eingeplant waren. Dennoch halten wir die Eckwerte der Vorgängerregierung. Das war harte Arbeit, die sich gelohnt hat. Durch den Ukraine-Krieg kommen jetzt weitere Aufgaben hinzu, die niemand vorhersehen konnte. Aber auch da werden wir sorgfältig mit öffentlichem Geld umgehen. Das ist mein Anspruch.

Sie müssen 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr aufnehmen, 200 Milliarden will die Koalition für den Klimaschutz ausgeben. Dazu viele unkalkulierbare Kosten, wie die für die Flüchtlinge aus der Ukraine: Ist Ihr Anspruch, die Staatsfinanzen solide zu halten, nicht längst gescheitert?
Der Staat muss jetzt in Krisen handeln. Dafür wird jeder Verständnis haben. Die Solidität der Finanzen ist dadurch nicht gefährdet. Entscheidend ist, dass wir langfristig tragfähige Politik machen. Mit dem Sondervermögen für die Bundeswehr müssen wir die jahrzehntelange Vernachlässigung der Landes- und Bündnisverteidigung korrigieren. Darüber hinaus müssen wir die Kriegsfolgen bewältigen. Umso mehr bin ich gegen das Motto: Wenn schon Schulden machen, dann bitte für alles und gleichzeitig. Im Gegenteil, jetzt müssen wir unser wirtschaftliches Fundament stärken.

Um die 100 Milliarden für die Bundeswehr im Grundgesetz abzusichern, brauchen Sie auch die Stimmen der Union. Wenn die sich querlegt - ist das Vorhaben gescheitert?
Ja, ohne die Zustimmung der Union ist eine so schnelle Stärkung der Bundeswehr nicht möglich. Deshalb habe ich keinen Zweifel, dass CDU und CSU sich ihrer staatspolitischen Verantwortung bewusst sind. Natürlich heben wir die Mittel für Verteidigung im laufenden Bundeshaushalt auch an. Aber der Verteidigungshaushalt reicht mit etwa 50 Milliarden Euro bei weitem nicht aus. Ich will aber weder die Schuldenbremse aufweichen, noch die Steuern erhöhen oder einen neuen Solidaritätszuschlag erheben. Steuererhöhungen wären nicht nur Gift für die wirtschaftliche Erholung, sie wären auch unfair.

Christian Lindner über die explodierenden Spritpreise

Den Autofahrern haben Sie als Ausgleich für die explodierenden Spritpreise einen Tankrabatt versprochen. Wann kommt der - und in welcher Höhe? Grüne und SPD sind von der Idee nicht gerade begeistert.
Die Debatte hat gezeigt, dass jede der Parteien in der Koalition eigene Sichtweisen hat. Meine Meinung ist unverändert, dass wir die Menschen und die Gewerbetreibenden mit den steigenden Spritpreisen nicht allein lassen sollten. Das sagt ja auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz. Für die Unterstützung der Union im Ziel bin ich dankbar. Herr Merz setzt als Weg nur auf eine Senkung der Mehrwertsteuer. Da sagen meine Fachleute, dass dies wegen des Europarechts nicht geht. Deshalb habe ich das Modell vorgeschlagen, das Frankreich jetzt an der Zapfsäule umsetzt. Die Kritik daran habe ich gesehen. Eine Krise ist aber nicht der richtige Zeitpunkt, grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Auto zu diskutieren oder Verteilungsdebatten auszufechten. Für andere Ideen bin ich offen, aber es muss etwas passieren. Wir sollten in der ganzen Breite die Gesellschaft entlasten.

Teurer Treibstoff: Diesel und Benzin kosten deutlich über zwei Euro.
Teurer Treibstoff: Diesel und Benzin kosten deutlich über zwei Euro. © Paul Zinken/dpa

Der Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine sei eine Zeitenwende, hat Olaf Scholz gesagt. Wie sehr verändert sie denn die deutsche Politik?
Fundamental. Der Angriff Russlands markiert auch für unser Land einen Wendepunkt. Sicherheitspolitik hat einen neuen Stellenwert. Deutschland hat seine Rolle quasi über Nacht neu definiert. Zugleich müssen wir unter veränderten Bedingungen unseren Wohlstand verteidigen und unsere wirtschaftliche Stabilität erhalten. Dazu müssen wir nicht zuletzt unsere Lieferketten und die internationale Zusammenarbeit hinterfragen. Vielleicht schärft die gefährliche Abhängigkeit von Russland in der Energiefrage ja auch unseren Blick für andere, ähnliche Risiken. Warum, zum Beispiel, ratifizieren wir nicht endlich das Freihandelsabkommen mit Kanada? Brauchen wir nicht einen neuen Anlauf für ein solches Abkommen mit den USA? Solche Gespräche wieder zu führen, erscheint mir in der gegenwärtigen Lage jedenfalls sinnvoll. Und natürlich müssen wir unsere Energiepolitik in Deutschland neu bewerten und überdenken. Wir haben gedacht, dass Erdgas die Brücke ins Zeitalter der Erneuerbaren Energien ist. Inzwischen frage ich mich, ob wir das ohne Weiteres so aufrechterhalten können.

Atomkraft? "Es ist eine klimaneutrale, planbare Energiequelle"

Gehört zu Ihrer neuen Energiepolitik auch eine Verlängerung der Laufzeiten für die drei noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke?
Es gibt in Deutschland einen gesellschaftlichen Konsens, auf die Kernenergie zu verzichten. Wenn man darüber diskutieren und mindestens den Fahrplan zum Verzicht verändern will, dann bin ich dafür offen. Es ist eine klimaneutrale, planbare Energiequelle. Leider teuer und mit der Problematik des Atommülls. Bisher setzen wir als Brückentechnologie auf Gas. Hier hat sich die Gleichung verändert.

Am Ende wird irgendwo immer Geld fehlen. Muss die Ampel sich entscheiden, was ihr wichtiger ist: nationale Sicherheit oder Klimaschutz?
Das ist nur ein scheinbarer Gegensatz. Beides gehört zusammen: Würden wir die Klimafolgen aus den Augen verlieren, würde das unweigerlich zu geopolitischen Konflikten und neuen Migrationsbewegungen führen. Insofern haben wir jetzt zwar aktuell eine Frage der äußeren Sicherheit ganz oben auf unserer Agenda. Aber wir landen dann auch schnell bei anderen Fragen, etwa der nach den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen oder der nach der Stabilität der Finanzsysteme. Globale Stabilität können Sie nicht alleine mit militärischen Mitteln herstellen.

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