Chinas zweites Tibet

In der Heimat der Uiguren gehen die Besatzer aus Peking genauso rigoros gegen die ursprünglichen Bewohner vor wie im Himalaja. Jetzt ist die Gewalt eskaliert – mit mindestens 140 Toten
von  Abendzeitung
Blutend und weinend halten sie sich in den Armen: Zwei Frauen während der Ausschreitungen in der Uiguren-Hauptstadt Urumqi. Foto: Reuters
Blutend und weinend halten sie sich in den Armen: Zwei Frauen während der Ausschreitungen in der Uiguren-Hauptstadt Urumqi. Foto: Reuters © az

URUMQI - In der Heimat der Uiguren gehen die Besatzer aus Peking genauso rigoros gegen die ursprünglichen Bewohner vor wie im Himalaja. Jetzt ist die Gewalt eskaliert – mit mindestens 140 Toten

Es sind die schwersten und blutigsten Unruhen seit Jahrzehnten: 140 Menschen starben bei Ausschreitungen in Nordwest-China. Die Heimat der Uiguren ist neben Tibet der zweite große Brandherd in China, wo sich eine annektierte Volksgruppe immer wieder gegen die Besatzer aus Peking auflehnt. Die AZ erklärte Hintergründe.

Was ist da aktuell los?

Bei den Ausschreitungen in Urumqi, der Hauptstadt der chinesischen Provinz Xinjiang, wurden laut der amtlichen chinesischen Nachrichtenagentur 140 Menschen getötet und 830 verletzt. Hunderte seien festgenommen worden, nach 90 Rädelsführern werde noch gefahndet. Die Lage bleibt äußerst unruhig: Gestern wurde von 300 Demonstranten berichtet, die nahe einer Moschee von Polizisten eingekesselt wurden. Internet- und Telefonverbindungen wurden weitgehend gekappt.

Wie haben sich die Unruhen entzündet?

Aktueller Anlass war, dass zwei Uiguren in Südchina von einem Lynchmob umgebracht wurden, nachdem es zuvor Gerüchte gab, Uiguren hätten Chinesinnen vergewaltigt. Die Uiguren in Urumqi demonstrierten zunächst friedlich für eine Untersuchung der Todesfälle. Als die Polizei die Kundgebung auflösen wollte, eskalierte die Gewalt. Es kam zu einem Katz- und Mausspiel in den Straßen. 260 Autos sowie 203 Häuser wurden verbrannt oder beschädigt.

Was ist der eigentliche Hintergrund?

China hat die an Bodenschätze reiche Heimat der Uiguren 1955 besetzt, sie gehört nun als Provinz Xinjiang zu China. Peking verfolgt eine ähnliche Strategie wie in Tibet: Unterdrücken der ursprünglichen Kultur, Ansiedeln von möglichst vielen Chinesen – diese stellen schon die Hälfte der Bevölkerung.

Was macht Peking?

Laut Menschenrechtsgruppen werden uigurische Aktivisten rigoros verfolgt, seit 1995 wurden 300 Todesurteile vollstreckt, darunter viele mit offen politischer Begründung. Einige Uiguren gehen auch gewaltsam gegen China vor, doch zwischen friedlichem und unfriedlichem Protest werde von Peking nicht unterschieden, so amnesty international.

Seit dem 11. September 2001 wird unter dem Etikett „Terrorismus“ hart gegen jegliche Forderung nach mehr Autonomie durchgegriffen. Um China generell ins Boot zu holen, hatten die USA damals vier uigurische Gruppen auf Wunsch von Peking als „terroristisch“ eingestuft. „Xinjiang ist mit Tibet eine der beiden großen Unruheprovinzen in China“, sagt Eberhard Sandschneider von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Anders als die buddhistischen Tibeter mit ihrem Dalai Lama hat das muslimische Turkvolk aber kaum internationale Fürsprecher. Die Verantwortung für die aktuellen Unruhen schob Peking dem Ausland zu.

Was sagen Uiguren in München?

Ausgerechnet in München lebt die größte uigurische Gemeinde der Welt außerhalb Chinas, hier sitzt auch der uigurische Weltkongress: 300 uigurische Familien leben hier. „Wir sind hergekommen, weil hier viele Verwandte und Freunde von uns leben“, berichtet Saki Umut aus der Uigurischen Gemeinde in München der AZ. Die ganze Gemeinde sei sehr besorgt über die Lage der Uiguren in China. „Seit gestern sind alle Leitungen zu unseren Verwandten unterbrochen, wir können mit niemandem sprechen, wir wissen nicht, wie es ihnen geht“, sagt der 19-Jährige. Sakis Familie ist 2002 aus China geflüchtet, nachdem sein Vater in Gefängnis getötet wurde.

Heute fühlen sie sich in München sehr wohl. „Hier haben wir alles was wir brauchen, wir leben in Sicherheit. Die Menschen sind sehr freundlich zu uns“. Die Gemeinde veranstaltet Tanzabende und Grillfeste. Wegen der Münchner Bezüge hatten die USA angefragt, ob Uiguren aus Guantánamo hier unterkommen dürften. Berlin sagte Nein – nun wurden sie von einer Südseeinsel aufgenommen.

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