China verurteilt Dissidenten zu langer Haft

PEKING - Liu Xiaobo ist einer der Initiatoren der regimekritischen «Charta 08» für Demokratie und Menschenrechte. Wegen angeblicher Agitation gegen die chinesische Regierung hat ein Volksgericht in Peking den 53-Jährigen ungewöhnlich hart bestraft.
Der chinesische Bürgerrechtler Liu Xiaobo ist zu einer Haftstrafe von elf Jahren verurteilt worden. Das Erste Mittlere Volksgericht in Peking warf dem 53-Jährigen am Freitag Agitation mit dem Ziel des Regierungsumsturzes vor, wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete. Es ist die höchste Haftstrafe, die ein Gericht in China jemals wegen dieses Vorwurfs verhängt hat. Seine Frau Liu Xia erklärte, der Dissident werde das Urteil anfechten. Ihm drohten bis zu 15 Jahre Haft.
In dem Prozess war dem Ehrenvorsitzenden des chinesischen Pen-Clubs unabhängiger Schriftsteller vorgeworfen worden, einer der Initiatoren des «Charta 08» genannten Appells für Demokratie und Menschenrechte gewesen zu sein. Auch wurden ihm Aufsätze mit scharfer Kritik an der diktatorischen Herrschaft der Kommunistischen Partei angelastet. In der von Liu mitverfassten «Charta 08» sprachen sich mehr als 300 Juristen, Schriftsteller, Wissenschaftler und Künstler für eine neue Verfassung aus, er wurde aber als einziger festgenommen. Der ehemalige Universitätsprofessor verbrachte wegen der studentischen Protestbewegung von 1989 bereits insgesamt 20 Monate im Gefängnis. In seinen zumeist im Internet veröffentlichten Schriften forderte er Grundrechte und politische Reformen.
Schweigen im Saal
Die Verteidigung zeigte sich enttäuscht. «Die Strafe ist höher, als wir erwartet haben», sagte Anwalt Shang Baojun. Es habe Schweigen im Saal geherrscht, als der Richter das Urteil verlesen habe. Auf Bitten der Anwälte habe der Richter Liu Xiaobo am Ende einige Minuten für ein paar Worte mit seiner Frau gewährt. Dass das Urteil am ersten Weihnachtstag verkündet wurde, werteten die Anwälte als einen Versuch, internationaler Aufmerksamkeit zu entgehen. Das Gericht behauptete, «sich strikt an rechtliche Verfahren gehalten und Liu Xiaobos Rechte in dem Prozess umfassend geschützt zu haben». Obwohl das Gericht weiträumig abgeriegelt war und ausländische Diplomaten aus Deutschland, anderen EU-Staaten und den USA als Beobachter abgewiesen worden waren, sprach die Staatsagentur Xinhua von einem «öffentlichen» Prozess.
«Verschärftes Vorgehen gegen Andersdenkende»
Die US-Regierung zeigte sich «tief besorgt» und kritisierte die Haftstrafe umgehend. Das US-Außenministerium forderte die sofortige Freilassung von Liu Xiaobo. Menschen wegen friedlicher Meinungsäußerung zu bestrafen, verstoße gegen die auch von China unterzeichnete UN-Konvention über die Bürgerrechte, sagte eine Sprecherin. Menschenrechtsgruppen sehen ein Zeichen für ein «verschärftes Vorgehen gegen politisch Andersdenkende» in China. Das Rechtssystem werde weiter «als Werkzeug benutzt, um Kritiker zum Schweigen zu bringen, selbst wenn die Welt zuschaut», sagte Renee Xia von der Organisation «Chinese Human Rights Defenders». Chinesische Intellektuelle sehen einen Versuch, alle Kritiker des kommunistischen Regimes in China einzuschüchtern. Ein solches Urteil diene dazu, «all jenen eine Warnung zu geben, die kein Blatt vor den Mund nehmen», sagte der chinesische Künstler Ai Weiwei in Peking. Der Versuch werde nach hinten losgehen. «Eine solche Strafe wird noch mehr Diskussionen auslösen und mehr Aufmerksamkeit für solche Fälle schaffen», so Ai Weiwei. «Die chinesische Regierung sollte versuchen, neue Maßnahmen zu ergreifen, um die Möglichkeiten zum Dialog und zum gegenseitigen Verständnis zu verbessern - sonst verhält sie sich töricht.»
«Unfähig, auf kritische Stimmen zu reagieren»
Der Prozess sei «lächerlich», sagte Ai Weiwei. Liu Xiaobo sei ein «vernünftiger und wohlwollender Mensch». «Er benutzt Worte, um seine Ideen auszudrücken. Sein ganzes Werk entspricht der chinesischen Verfassung.» Der Bürgerrechtsanwalt Teng Biao nannte das Urteil «nicht akzeptabel». «Liu Xiaobo ist unschuldig», sagte Teng Biao. «Die Meinungsfreiheit ist durch die Verfassung geschützt.» Die pensionierte Professorin Ding Zilin, die an der Spitze des Netzwerkes der Familien der Opfer der blutigen Niederschlagung von 1989 steht, forderte alle Unterstützer der «Charta 08» auf, «die Arbeit fortzusetzen und zu Ende zu bringen, was wir noch nicht abgeschlossen haben». Die Asiendirektorin von «Human Rights» in China, Sharon Hom, sah einmal mehr «die Intoleranz der chinesischen Behörden gegenüber freier Meinungsäußerung und ihre Unfähigkeit, konstruktiv auf kritische Stimmen zu reagieren».
Gelbe Schleife als Zeichen der Solidarität
Im chinesischen Internet und beim Kurztext-Portal Twitter, den viele Chinesen trotz der Blockade durch die Zensur nutzen, erscheint seit einigen Tagen bei vielen Einträgen eine gelbe Schleife als Zeichen der Solidarität mit Liu. (nz/dpa/APD/epd)