China: »Kampf auf Leben und Tod«

Seit einer Woche herrscht in der tibetischen Hauptstadt Lhasa der Ausnahmezustand. Es kommt zu weiteren blutigen Unruhen – Die Briten versuchen nun zu vermitteln.
LHASA Während es am Mittwoch in zahlreichen chinesischen Städten zu weiteren Unruhen kam, hofft der britische Premier Gordon Brown zu vermitteln. Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao habe ihm versichert, dass er zu einem Dialog mit dem Dalai Lama bereit sei. Voraussetzung: Der Dalai Lama darf nicht die Unabhängigkeit Tibets fordern und muss der Gewalt abschwören. Diese Bedingungen habe der Dalai Lama bereits erfüllt, so Brown.
Kurz zuvor hatte die chinesische Führung die Exilregierung für die Unruhen verantwortlich gemacht. „Wir befinden uns in einem Kampf mit Blut und Feuer, einem Kampf auf Leben und Tod mit der Dalai-Lama-Clique“, sagte ein Parteifunktionär. Der Dalai Lama sei wie ein „Wolf in der Kleidung eines Mönches, ein Teufel mit dem Gesicht eines Menschen“.
Erst am Dienstag hatte der Dalai Lama seine Landsleute zur Gewaltfreiheit aufgerufen, andernfalls mit seinem Rücktritt gedroht. Doch der kanadische Sender CTV meldete am Mittwoch, mehr als tausend Tibeter hätten eine entlegene Stadt in der chinesischen Provinz Gansu gestürmt. Sie hätten ein Regierungsgebäude angegriffen und ihre Flagge gehisst. Rund hundert bewaffnete Soldaten gingen mit Tränengas gegen die Protestierer vor. In dem TV-Beitrag sind laute Detonationen zu hören. Zahlreiche Frauen und Männer flüchten in Panik. Der Film zeigt zerstörte Häuser und einen verletzten Mann, der von den Sicherheitskräften geschlagen worden sein soll.
In den vergangenen Tagen gab es kaum Bilder aus Tibet. Die chinesische Regierung hat das auf 4500 Metern gelegene Land nahezu vollständig abgeriegelt. Mehrere Journalisten sollen verhaftet worden sein, vielen Reportern wurde die Einreise verweigert.
Auch in der Provinz Sichuan sollen 20 Tibeter erschossen worden sein. Ein Funktionär Chinas bestätigte Zwischenfälle, sagte aber: „Alles, was mit Toten zu tun hat, ist geheim.“ In Lhasa herrschte bei starker Militärpräsenz gespannte Ruhe. Die chinesische Führung entsandte 20000 bewaffnete Polizisten in verschiedene Regionen.
Seit den Demos zum 49. Jahrestag der Flucht des Dalai Lama sollen nach Angaben von Exil-Tibetern 140 Menschen ums Leben gekommen sein – darunter Dutzende durch Schüsse der chinesischen Sicherheitskräfte. Die chinesische Agentur Xinhua meldet, dass sich 105 Unruhestifter freiwillig gestellt hätten. Sie könnten eine mögliche Strafminderung in Anspruch nehmen. Augenzeugen sprechen von 1000 gewaltsamen Verhaftungen.
Die Organisatoren der Olympische Spiele in Peking betonten derweil, dass der geplante Staffellauf mit der olympischen Flamme zum Mount Everest quer durch Tibet wie geplant im Mai stattfinden werde.
Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) wollte am Mittwoch einen Olympia-Boykott nicht ausschließen. Die Welt dürfe Tibet nicht alleine lassen. Für China seien die Spiele eine wichtige Prestigeveranstaltung. Wer einen Boykott von vorneherein ablehne, erleichtere die harte Gangart, mit der die chinesische Regierung momentan vorgehe. Er fügte hinzu, ihm wäre es lieber, die Olympiade fände statt.
Der UN-Sonderberater für Sport und Entwicklung, Willi Lemke, sagte, ein Boykott wäre nicht zielführend. Er selbst werde bald nach Peking reisen und sich gegebenenfalls selbst ein Bild von der Situation in Tibet machen. Für den Umgang mit dem chinesisch-tibetischen Konflikt gebe es aber „kein Patentrezept“. Eberhard Gienger, CDU-Politiker und frühere Spitzenturner, sagte, er könne sich nicht vorstellen, dass die chinesische Regierung aufgrund eines Olympiaboykotts ihre Politik ändern würde.