Interview

Chefin der Klitschko-Firma: "Wir sind alle Ukrainer"

Tatjana Kiel ist Geschäftsführerin von Klitschko Ventures und organisiert Hilfsgütertransporte in die Ukraine. Mit den Klitschkos ist sie in täglichem Kontakt.
von  Matthias Kerber
"Gerade über Deutschland sind sie bestens informiert", sagt Tatjana Kiel über Wladimir (l.) und Vitali Klitschko, die in Kiew verharren.
"Gerade über Deutschland sind sie bestens informiert", sagt Tatjana Kiel über Wladimir (l.) und Vitali Klitschko, die in Kiew verharren. © picture alliance/dpa/AP

AZ: Frau Kiel, Sie sind eine langjährige Weggefährtin der Klitschko-Brüder und Geschäftsführerin von Klitschko Ventures. Wie sieht Ihr Kontakt, jetzt da der Angriffskrieg von Wladimir Putin in der Ukraine tobt, zu Wladimir und Vitali im Moment aus? Beide halten sich weiter in Kiew auf.
 TATJANA KIEL: Wir haben je nach Bedarf Kontakt, aber immer mindestens morgens und abends, damit ich weiß, dass sie am Leben sind. Wir kommunizieren auf eine Art und Weise, die ich hier nicht teilen kann. Die Anspannung ist enorm. Denn man weiß nie, ob sie die Nacht überleben. Beide sind auf High Alert, im permanenten Kampfmodus. Es ist beeindruckend, zu erleben, welche Stärke sie haben und wie sie diese auch weitergeben.

Die Hamburgerin Tatjana Kiel (hier mit Wladimir Klitschko bei einer Buchvorstellung 2020) ist CEO von Klitschko Ventures. Sie organisiert von Deutschland aus Transporte mit Hilfsgütern in die Ukraine.
Die Hamburgerin Tatjana Kiel (hier mit Wladimir Klitschko bei einer Buchvorstellung 2020) ist CEO von Klitschko Ventures. Sie organisiert von Deutschland aus Transporte mit Hilfsgütern in die Ukraine. © imago images/Hartenfelser

Wie sind die Erfahrungsberichte, die Sie aus erster Hand aus der Ukraine erhalten?
Es ist desaströs. Es gibt kaum noch Wasser, kaum Medizin, kaum Essen, kaum Benzin. Die Lage ist dramatisch. Daher sind wir jetzt dabei, zu organisieren, dass all das in der Ukraine ankommt. Was die Ukrainer gerade leisten, ist an der Grenze zum Unmenschlichen. Und hier in Deutschland ist es so, dass jetzt die großen Unternehmen zu mir kommen und fragen: Was können wir tun? Wie können wir euch unterstützen?

Wirtschaftsunternehmen bieten Hilfe an

Haben Sie Beispiele parat?
Wir haben etwa mit der Deutschen Bahn gesprochen und die sind bereit, die Güter kostenlos zu transportieren, Lidl, Rossmann, Asklepios, Procter & Gamble stellen Produkte und Güter zur Verfügung. Welche Solidarität von unseren Partnern, aber auch anderen Wirtschaftsunternehmen kommt, ist großartig und bewegend. Jede Stunde werden es mehr. Die Deutsche Telekom, die ihr Netz umsonst zur Verfügung stellt, war eines der ersten Unternehmen, die die Ukrainer unterstützt hat. Die wichtige Botschaft lautet: Jeder Einzelne kann jetzt was tun. Ob eine Geldspende oder eine Decke ist völlig egal. Dabei sollte sich jeder gut fühlen, weil er was getan hat, weil er geholfen hat, weil er versucht hat, den Unterschied zu machen. Das ist die Nachricht, die Wladimir gerne hören würde: Wir sind alle Ukrainer.

Auch der FC Bayern sendet ein Signal: Die Allianz Arena in Fröttmaningerstrahlt in den ukrainischen Nationalfarben.
Auch der FC Bayern sendet ein Signal: Die Allianz Arena in Fröttmaningerstrahlt in den ukrainischen Nationalfarben. © picture alliance/dpa/FC Bayern München

Sie haben auch eine Demonstration organisiert.
Ja, ich als Tatjana, als Privatperson, unter meinem Namen. Am Anfang des Konflikts habe ich in Deutschland so oft gehört: Warte doch mal ab. Oder: Der Einzelne kann doch nichts machen. Das wollte ich nicht wahrhaben. Wir können etwas machen. Jeder Einzelne. Jeder auf seine Art. Mit der Demo wollte ich ein Statement setzen, dass wir doch Druck auf Putins Regime ausüben können. Wladimir hat immer gesagt: Seid laut - und zeigt der Welt, dass ihr diesen Krieg nicht wollt, dass ihr euch dagegen stellt. Seid laut! Die Demo war meine Art zu sagen, ich habe seine Message verstanden. Ich bin laut, ich kämpfe für euch. Aber eben nicht nur für euch, sondern auch für uns, unsere Werte, unsere Demokratie, unser Leben.

Die Klitschkos verfolgen die deutsche Solidarität

Wie sehr sind die Klitschkos vor Ort über das informiert, was gerade in Deutschland für eine Welle der Solidarität entsteht, dass über 100.000 Demonstranten in Berlin auf die Straße gehen, um eben laut zu sein, zu zeigen, dass Sie gegen den Krieg und für die demokratischen Werte sind?
Gerade über Deutschland sind sie bestens informiert - das ist für die Ukrainer ein enormer, moralischer Ansporn. Es ist so wichtig, dass diese Bilder um die Welt und in die Ukraine gehen: Wir stehen an eurer Seite. Wir rütteln wach. Wir sind laut. Der Zusammenhalt in der Ukraine ist unglaublich. Dieser Nationalstolz, diese Solidarität in der Gesellschaft ist einfach da. Und bei uns erwacht diese Solidarität langsam wieder. Das ist wunderbar zu sehen.

"Die Unterstützung ist für die Ukrainer ein enormer, moralischer Ansporn", sagt Tatjana Kiel über die Demonstrationen wie diese in Berlin, bei der über 100.000 Menschen auf die Straße gegangen sind.
"Die Unterstützung ist für die Ukrainer ein enormer, moralischer Ansporn", sagt Tatjana Kiel über die Demonstrationen wie diese in Berlin, bei der über 100.000 Menschen auf die Straße gegangen sind. © picture alliance/dpa

Die Klitschkos sind in der Ukraine so etwas wie ein Leuchtturm in diesen unglaublich schweren Zeiten, genau wie auch Präsident Wolodymyr Selenskyj.
Ja, wir sehen gerade sehr deutlich, dass es in diesen schrecklichen Zeiten so große Leute braucht, die bereit sind, ihr Leben zu riskieren. Helden, die bereit sind, für das große Ganze alles zu geben.

Weltweite Unterstützung: Auch die berühmte Oper im australischen Sydney zeigt ein Zeichen der Solidarität mit der Ukraine.
Weltweite Unterstützung: Auch die berühmte Oper im australischen Sydney zeigt ein Zeichen der Solidarität mit der Ukraine. © picture alliance/dpa/AAP

"Die Ukraine kämpft gerade für unsere demokratische Unabhängigkeit"

Welche Botschaft haben die Klitschkos in der jetzigen Zeit für Deutschland parat?
Haltung zeigen. Und diskutieren. Überall. Auch am Esstisch. Den Kindern zu erklären, was Freiheit, was Demokratie bedeutet. Was es heißt, wenn es eine Person gibt, die dir das nehmen will. Da sagen die Kinder alle, das geht doch nicht. Leider geht es doch, wenn man sich nicht wehrt. Wir müssen uns und unsere Werte schützen. Den Verlust der Freiheit dürfen wir nie wieder hinnehmen. Am Ende macht Putin nicht an dieser einen Grenze Halt. Putin ist eine Bedrohung für Europa und die Welt. Wenn wir nicht verstehen, dass wir zusammen für unsere Werte einstehen und kämpfen müssen, wird es schwer. Der ausschlaggebende Punkt für mich aktiv zu werden, war, als die russischen Bürger - im Wissen, was ihnen droht, dass sie verprügelt werden, dass sie ins Gefängnis kommen - auf die Straße gingen und gegen den irrsinnigen Krieg protestierten. Da war klar: Welche Ausrede haben wir, nichts zu tun? Wenn die mutig sind, was ist mit uns los? Wir waren zu satt, haben alles als selbstverständlich angesehen. Aber Freiheit ist nicht selbstverständlich. Die Ukraine kämpft gerade für unsere demokratische Unabhängigkeit. Wladimir ist es wichtig, dass es Spenden an die Nationalbank gibt, damit die Ukraine sich die Dinge von außen besorgen kann, die sie jetzt so dringend braucht. Das hat er auch in den sozialen Medien öffentlich gemacht.

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