Chaos und Gewalt in Libyen

Die Lage in Libyen ruft den UN-Sicherheitsrat auf den Plan. Das höchste Gremium der Vereinten Nationen kommt heute zu einer Sitzung hinter verschlossenen Türen zusammen.
von  dpa

New York/Tripolis/Kairo  - Das teilten die Vereinten Nationen in der Nacht mit. Das Treffen soll um 9.00 Uhr (Ortszeit/15.00 Uhr MEZ) beginnen.

Generalsekretär Ban Ki Moon sei "schockiert" über Berichte, dass Demonstranten aus Kampfflugzeugen und Hubschraubern beschossen worden seien. Falls sich dies als wahr herausstelle, bedeute das eine schwere Verletzung internationaler Menschenrechte. Ban rief erneut zum Ende der Gewalt auf, hieß es in einer anderen UN-Mitteilung.

Das Regime von Staatspräsident Muammar al-Gaddafi bestritt den Einsatz der Luftwaffe gegen Zivilisten. Gaddafi-Sohn Saif al-Islam sagte, die Kampfflugzeuge hätten Waffenlager in abgelegenen Gebieten angegriffen.

Bei dem Versuch, die Proteste gegen Gaddafi niederzuschlagen, haben libysche Sicherheitskräfte nach Medienberichten allein am Montag mehr als 150 Menschen getötet. In Bengasi sollen etwa 400 Menschen ums Leben gekommen sein. Nachprüfbare Angaben über die Zahl der Todesopfer gibt es nicht.

Wie der arabische Sender Al-Dschasira unter Berufung auf Augenzeugen berichtete, flogen Kampfflugzeuge in der Hauptstadt Tripolis Angriffe auf unbewaffnete Demonstranten. Soldaten hätten aus Maschinengewehren das Feuer auf die Menge eröffnet.

Unterdessen meldete sich Staatschef Gaddafi erstmals seit Beginn der Unruhen in seinem Land zu Wort. Im Staatsfernsehen sagte er in der Nacht zum Dienstag: "Ich bin in Tripolis und nicht in Venezuela." Er trat damit Spekulationen entgegen, wonach er Libyen bereits verlassen haben soll.

Gaddafi trug während der nur wenige Sekunden langen Aufnahme, die wie ein Sketch wirkte, einen Regenschirm in der Hand. Er saß dabei in einem alten Auto und murmelte leise vor sich hin. Am Vorabend hatte sein Sohn Saif al-Islam die Libyer noch gewarnt: Falls sie ihre Proteste fortsetzen sollten, drohe ein Bürgerkrieg.

Der Nachrichtensender Al-Arabija meldete, es sei der Befehl erteilt worden, Bengasi in den kommenden Stunden aus der Luft anzugreifen. Bengasi ist nach der Hauptstadt Tripolis die zweitgrößte Stadt Libyens. Dort hatte der Aufstand gegen Gaddafi begonnen.

Aus dem Pariser Exil meldete sich in der Nacht Gaddafis ehemals treuer Weggefährte Nuri al-Mismari zu Wort. Al-Mismari forderte Gaddafi auf, die Macht abzugeben und sagte sich gleichzeitig von ihm los. Noch vor knapp drei Monaten hatte der frühere Gaddafi-Berater erklärt, er sei nach Frankreich geflohen, weil andere Mitglieder des engen Zirkels von Gaddafi ihn bei diesem schlechtgemacht hätten.

In Bengasi seien seit Beginn der Proteste vor fünf Tagen rund 400 Menschen getötet worden, sagte ein Vertreter von Militärangehörigen, die sich den Aufständischen in der zweitgrößten libyschen Stadt angeschlossen hatten, der Nachrichtenagentur dpa. Neben Bengasi würden die Aufständischen mittlerweile auch Sirte und das nordostlibysche Agedabia kontrollieren.

US-Außenministerin Hillary Clinton forderte die libysche Führung in scharfer Form zum Gewaltverzicht auf. "Die Welt beobachtet alarmiert die Lage in Libyen", sagte Clinton. "Jetzt ist die Zeit, das inakzeptable Blutvergießen zu beenden."

Unterdessen wenden sich immer mehr Gefolgsleute Gaddafis ab. Der stellvertretende libysche Botschafter bei den Vereinten Nationen, Ibrahim Dabbashi, warf Gaddafi Völkermord vor: "Sie schießen, um zu töten", sagte er in New York zum Vorgehen der Sicherheitskräfte in seiner Heimat. "Das Gaddafi-Regime hat schon am 15. Januar einen Völkermord begonnen." Auch der Botschafter in den USA brach mit dem Regime.

Der libysche Justizminister Mustafa Abdul-Dschalil trat am Montag aus Protest gegen den "exzessiven Einsatz von Gewalt gegen unbewaffnete Demonstranten" zurück. Weitere Funktionäre sollen seinem Beispiel gefolgt sein. Auch der libysche Vertreter bei der Arabischen Liga in Kairo, Abdulmoneim al-Honi, bestätigte der Nachrichtenagentur dpa, seinen Rücktritt eingereicht zu haben. Laut Medienberichten legten auch die libyschen Botschafter in Polen, Indien, Indonesien, und China ihre Ämter nieder.

Zwei Jets der libyschen Streitkräfte landeten am Montag auf Malta. Nach Al-Dschasira-Informationen desertierten die Piloten und flohen auf die Mittelmeerinsel, nachdem sie den Befehl erhalten hatten, Demonstranten in Bengasi aus der Luft anzugreifen. Sie hätten um politisches Asyl gebeten, sagte ein Sprecher der maltesischen Armee der dpa. Kurz vor der Landung der Kampfflugzeuge hatten bereits zwei zivile Helikopter aus Tripolis mit sieben Menschen an Bord den kleinsten EU-Staat erreicht.

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