Bundesverfassungsgericht entscheidet: Wegsperren - für immer?

Die höchsten deutschen Richter müssen über die Klagen von vier Mördern und Vergewaltigern beraten.
von  John Schneider

München - Die höchsten deutschen Richter müssen über die Klagen von vier Mördern und Vergewaltigern beraten

Sie haben vergewaltigt, gestohlen, gemordet, ihre Strafen dafür aber haben sie längst abgesessen. Jetzt wollen sie raus. Doch weil die vier Männer aus Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen immer noch als gefährlich gelten, sitzen sie weiter in Sicherungsverwahrung. Nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die deutsche Praxis gerügt hat, muss jetzt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entscheiden, ob die deutsche Sicherungsverwahrung verfassungskonform ist.
Mit Spannung verfolgten auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und ihre bayerische Kollegin Beate Merk gestern vor Ort das Geschehen. Ein Grundsatzurteil hätte für die deutsche Justiz weitreichende Konsequenzen.

Warum wird in Karlsruhe neu verhandelt?
Der EGMR hatte in mehreren Entscheidungen die Sicherungsverwahrung von Straftätern über die eigentliche Freiheitsstrafe hinaus für menschenrechtswidrig erklärt. Dies betraf unter anderem Fälle, in denen die Sicherungsverwahrung rückwirkend über die frühere Höchstgrenze von zehn Jahren hinaus verlängert wurde. Seither ist es auch in Deutschland umstritten, ob in solchen Fällen die Verwahrten sofort frei gelassen werden müssen. Laut „Spiegel” wurden bislang 35 von 100 Betroffenen in Deutschland auf freien Fuß gesetzt. In Bayern nach Informationen des Justizministeriums noch keiner.

Wie viele Straftäter sitzen in Bayern derzeit in Sicherungsverwahrung?
Laut Justizministerium 68. Acht von ihnen kamen erst nachträglich in Sicherungsverwahrung und wären vom BVG-Urteil betroffen.

Wie stehen die Justizminister zur Sicherungsverwahrung?
Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger verteidigte gestern in Karlsruhe das System von Strafe und Maßregel. Einerseits sei die Freiheit des Einzelnen zu wahren. Zugleich müsse der Gesetzgeber „Sorge tragen, dass den berechtigten Sicherheitsinteressen der Bevölkerung entsprochen wird”, sagte die Ministerin. „In Deutschland haben wir einen Weg gefunden, diese Balance zu wahren.” Bayerns Justizministerin Beate Merk trägt die neue Gesetzgebung zwar mit, kritisiert die Straßburger Urteile aber, weil keine Abwägung zwischen Freiheitsrechten des Einzelnen und Schutzbedürfnis der Allgemeinheit stattgefunden habe.

Was sieht das aktuelle Gesetz vor?
Sicherungsverwahrung ist seit diesem Jahr nur noch für schwere Gewaltdelikte vorgesehen. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung für Neufälle wurde im Grundsatz abgeschafft. Für Menschen, die jetzt schon in Haft sitzen, ist sie noch möglich. Mit dem neuen Therapieunterbringungsgesetz soll es zudem weiter möglich sein, psychisch kranke und gefährliche Straftäter unterzubringen.

Was sagt das Verfassungsgericht?
  Andreas Voßkuhle, Präsident des 2. Senats, kritisierte gestern, die Sicherungsverwahrung müsse sich vom regulären Strafvollzug unterscheiden. Insbesondere seien hinreichende Resozialisierungsmaßnahmen erforderlich. Ob Bund und Länder „diese Mahnung ernst genug genommen haben, muss man jedenfalls auf den ersten Blick bezweifeln”, sagte Andreas Voßkuhle.

Wann entscheidet das BVG?
Das kann Wochen, aber auch Monate dauern.

Kommen die vier sofort frei, wenn das BVG zu ihren Gunsten entscheidet?
Gibt das BVG den Beschwerden in vollem Umfang statt, wird an die Vorinstanz - im Fall der beiden bayerischen Straftäter an das Oberlandesgericht Nürnberg zurückverwiesen. Das muss dann aber schnell entscheiden und ist an das BVG-Urteil gebunden.

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