Bundestagswahl: Triumph & Absturz
Vize-Chefredakteur Georg Thanscheidt über Merkels Sieg bei der Bundestagswahl und das Fiasko der FDP.
Das ist ein historischer Triumph für Bundeskanzlerin Angela Merkel: Sie hat die Union zurück zu alter Stärke geführt – so erfolgreich waren CDU und CSU zuletzt im Einheits-Wahljahr 1990. Mehr noch: Sie hat ihre Partei in die Nähe der absoluten Mehrheit geführt. Und auch wenn es wohl ganz knapp nicht für die Mehrheit der Sitze reicht und nun wieder eine große Koalition wahrscheinlich ist: Diese Kanzlerin ist nun so stark wie Kohl und so mächtig wie Adenauer.
Einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik ist hingegen der Absturz der FDP. Erstmals sind die Liberalen nicht im Bundestag vertreten. Nicht mal ein Zipfelchen der Macht hält die FDP mehr in Händen. Man gönnt den Liberalen eine Zeit der Besinnung in der außerparlamentarischen Opposition.
Was hat die FDP seit 1969 nicht alles verschlissen: Erst ihr sozialliberales Profil unter Helmut Schmidt, dann ihre Korrektivfunktion unter Helmut Kohl. Ihre moralische Glaubwürdigkeit hat sie vor 30 Jahren in der Flick-Affäre eingebüßt, ihre politische in der Regierung Merkel – als sie viel versprochen und davon nichts gehalten hatte. Zu guter Letzt hat sie auch noch ihre Parteiführung verschlissen: Westerwelle, Rösler und Brüderle haben fertig – vielleicht kann jetzt unter Christian Lindner ein Neuanfang gelingen. Dafür muss ihm aber ganz schnell eine Antwort auf die Frage einfallen: Wer braucht eigentlich noch die FDP? Und das wird schwierig.
Trotz des Erfolgs von Bundeskanzlerin Angela Merkel: Der Wähler hat gestern eine Bundesregierung abgewählt. Er hatte genug von der schwarz-gelben Koalition. Viele Deutsche haben sich statt dessen eine große Koalition gewünscht – gut möglich, dass die nun Realität wird. Eine starke SPD in dieser Konstellation hat sich offenbar kaum jemand gewünscht – zumindest war das wohl offensichtlich nicht Grund genug, für die SPD zu stimmen. So bleiben die Sozialdemokraten mit 25 Prozent im arithmetischen Niemandsland – genauer gesagt: in bayerischen Verhältnissen – stecken.
Ein Grund dafür: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat – wie einst Gerhard Schröder – entdeckt, dass Wahlen in Deutschland in der Mitte entschieden werden. Geschickt kümmerte sie sich um Wähler links von der Union. Sie schaffte Wehrpflicht und Atomkraft ab, versprach so was ähnliches wie den Mindestlohn und jeder Mutter einen Krippenplatz für ihr Kind. Vor drei Jahren – als die Union in der Wählergunst unter 30 Prozent fiel – tadelte Horst Seehofer Merkel für diese Sozialdemokratisierung der Union. Dann wandte er das gleiche Prinzip im Freistaat an, holte so die absolute Mehrheit und organisierte danach die bayerischen Stimmen für ihre Wiederwahl.
Eine große Koalition in Berlin wäre bitter für Seehofer: Wenn Merkel mit der SPD regiert, könnte sich der bayerische Löwe in München heiser brüllen – er fände im Kanzleramt kein Gehör mehr.
Noch bitterer könnte es für die Sozialdemokratie werden: Die letzte Liaison mit Merkel brachte den Genossen 2009 den Absturz – wollen sie sich jetzt erneut auf so eine verhängnisvolle Beziehung einlassen? Oder suchen sie wider alle Versprechungen und aller Vernunft ihr Heil in Rot-Rot-Grün? Darüber entscheidet in Kürze die SPD-Basis auf einem Parteikonvent. Merkels Männer oder Lafontaines Linke – für die Genossen ist das die Qual nach der Wahl.