Bundestagswahl 2017: Özoguz: "CSU schadet Interessen Deutschlands"
Die 50-Jährige Aydan Özoguz ist seit 2011 stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD und seit 2013 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.
AZ: Frau Özoguz, Sie waren gerade mit Florian Pronold beim Wandern in Oberammergau, also im tiefsten CSU-Land. War es trotzdem schön?
Aydan Özoguz: Oberammergau ist ein wunderschöner Flecken Erde. Die Herzlichkeit der Menschen und die Natur haben mir besonders gefallen.
Sie sind Hamburgerin. Von außen betrachtet: Warum bringt die SPD im ländlichen Bayern kaum ein Bein auf den Boden?
Im ländlichen Raum ist es sicherlich nicht einfach, tradierte Wahlmuster zu verändern. Seit 1949 hat der Bundestagswahlkreis Weilheim rund um Oberammergau nur drei verschiedene Abgeordnete gehabt: Strauß, Geiger, Dobrindt. Die Eltern- und Großeltern-Generation haben hier immer CSU gewählt, da ist es für die SPD natürlich schwer. Bei uns im Norden können sich dagegen die wenigsten vorstellen, CSU zu wählen.
Gewandert wurde unter dem Motto "Bergauf-Tour". Wie will es die SPD schaffen, bis zur Bundestagswahl wieder nach ganz oben zu kommen? Martin Schulz gibt sich ja äußerst siegesgewiss.
Klar, wir kämpfen bis zum 24. September um jede Stimme. Die Wahl ist offen und wir müssen für unsere Konzepte werben und die Unterschiede zwischen SPD und den Mitbewerbern zeigen. Wir sind ein starkes Land, aber nicht überall geht es gerecht zu. Kostenlose Bildung von Kita bis Studien- oder Meisterabschluss, gute Arbeit mit guten Löhnen für Frauen und Männer, faire Übergänge in die Rente, steuerliche Entlastung mittlerer und kleinerer Einkommen. Dafür stehen Martin Schulz und die SPD. Und dafür werden wir in den kommenden Wochen entschlossen bei allen Menschen werben.
"Einwanderung stabilisiert unsere Sozialkassen"
In Deutschland leben erstmals zehn Millionen Menschen, die keinen deutschen Pass besitzen - kann das gut gehen?
Natürlich geht das gut. Wir können auf Jahrzehnte von Migration zurückblicken, ohne dass unser Staatswesen darunter zusammengebrochen wäre. Im Gegenteil: Wirtschaft, Sozialversicherungen und unsere Gesellschaft haben langfristig profitiert, so stabilisiert die Einwanderung zum Beispiel unsere Sozialkassen. Wichtig ist, dass wir von Anfang an auf Integration setzen - bei Einwanderern, aber auch bei Flüchtlingen. Das heißt Zugang zu Integrations- und Sprachkursen, Beteiligung an Ausbildungsmaßnahmen und Integration in den Arbeitsmarkt. Diese Integration fordern wir ebenso klar von Einwanderern ein. Ein Großteil dieser Gruppe sind EU-Bürger, die auch ohne deutschen Pass hier viele Rechte besitzen.
Dass die Integration Hunderttausender Flüchtlinge weitgehend gelingt, ist auch Tausenden Ehrenamtlichen zu verdanken. Gerade in Bayern werden die aber jetzt vor den Kopf gestoßen: Es hagelt Arbeits- und Ausbildungsverbote für ihre Schützlinge. Monatelange Integrationsarbeit wird per Gesetz zunichte gemacht - trotz offener Stellen. Von der SPD ist dazu so gut wie nichts zu hören. Warum nicht?
Die SPD hat die 3+2-Regelung, nach der jugendliche Flüchtlinge für die Dauer der Ausbildung in Deutschland und danach zum Arbeiten bleiben dürfen, durchgesetzt. Die CSU torpediert dies in Bayern. Das haben wir sehr wohl sehr scharf kritisiert. Es ist doch keinem zu erklären, warum Betriebe, die händeringend Auszubildende suchen, keine hochmotivierten Flüchtlinge einstellen dürfen. Die CSU stellt sich hier aus ideologischen Gründen quer und schadet mit dieser Politik den Interessen Bayerns und Deutschlands.
Es wird viel von Flüchtlingen geredet, die noch kommen werden. Wie will die SPD diejenigen Geflüchteten integrieren, die schon hier sind? Wie sähe ihre Zukunft unter einem Kanzler Martin Schulz aus?
Ein Kanzler Martin Schulz würde dafür sorgen, dass wir bei der Herkulesaufgabe der Integration nicht in alte Fehler zurückfallen, wie wir das in Bayern und Teilen der CDU sehen. Integration heißt, so schnell wie möglich mit den Sprachkursen und der Vermittlung unserer Werte zu beginnen und nicht Menschen zum Nichtstun zu zwingen.
"Wir müssen Extremismus viel stärker vorbeugen"
Ein Kanzler Martin Schulz würde zudem sicherstellen, dass es bei der Unterstützung der Ehrenamtlichen nicht bei leeren Worten bleibt und auch die Kommunen stärker unterstützt werden. Es war schließlich die SPD, die für die Stärkung der Kommunen zur Bewältigung der Integrationsaufgabe in der Großen Koalition gekämpft hat. Unter einem SPD-Kanzler würde auch die Extremismusprävention aufgewertet werden. Wir müssen viel stärker vorbeugend tätig werden.
Sie plädieren unter anderem für ein kommunales Wahlrecht für Migranten ohne deutschen Pass. Was versprechen Sie sich davon?
Das wäre ein Schritt für mehr Partizipation von einigen Millionen Menschen im Land. Es geht nicht darum, dass "Flüchtlinge den Bundestag wählen" sollen, wie mir Populisten vom rechten Rand gerne unterstellen. Sondern darum, dass Menschen, die seit Jahren hier rechtmäßig leben, arbeiten und Steuern zahlen, vor Ort über Fragen mitbestimmen dürfen, die ihr unmittelbares Lebensumfeld betreffen.
Teile der Union wollen lieber den Doppelpass abschaffen. Sie nicht. Warum nicht?
Der Doppelpass ist kein Selbstzweck. Es geht um wirkliche Teilhabe in unserer Gesellschaft und die erreichen wir nur durch die Einbürgerung. Um diese zu erleichtern, nehmen wir den Doppelpass hin. Vielen Gegnern des Doppelpasses geht es nicht so sehr um die Verhinderung mehrfacher Staatsangehörigkeit - diese ist seit langem Praxis, bei 58 Prozent der Einbürgerungen - es geht im Kern um die rechtliche und politische Gleichstellung von Menschen, die schon lange hier leben, die aber nach den Vorstellungen mancher nicht dazugehören sollen. Es tut aber keiner demokratischen Gesellschaft auf Dauer gut, wenn Millionen Menschen von politischer Partizipation ausgeschlossen sind.
"Erdogan ist nicht die Türkei"
Kann man tatsächlich von gelungener Integration sprechen, wenn über 60 Prozent der in Deutschland lebenden Türken für Präsident Erdogans Referendum stimmen?
Auch wenn das immer wieder gesagt wird: Es haben nicht 60 Prozent aller in Deutschland lebenden Türkeistämmigen für das Referendum gestimmt. In Deutschland leben etwa 3,5 Millionen Türkeistämmige, davon sind 1,43 Millionen mit türkischem Pass und wahlberechtigt. Knapp die Hälfte hat bei dem Referendum überhaupt eine Stimme abgegeben. Davon haben 63 Prozent für Erdogan gestimmt - macht 450.000 Stimmen. Das ist mitnichten die Mehrheit der Türkeistämmigen in Deutschland. Trotzdem muss es uns natürlich nachdenklich machen, dass viele für eine Politik gestimmt haben, die die autoritären Tendenzen in der Türkei noch verstärkt.
Die Krise zwischen Berlin und Ankara dürfte diese Kluft nun noch vertiefen.
Es ist nicht leicht für Türkeistämmige in diesen Tagen. Viele beobachten mit großer Sorge und Unverständnis die Entwicklungen in der Türkei, gleichzeitig werden sie hierzulande häufig für die Politik Erdogans in Mithaftung genommen. Erdogan ist nicht die Türkei. Die aktuelle türkische Politik gibt Anlass zu großer Sorge, aber wir sollten nicht zulassen, dass die Spannungen unser gutes Zusammenleben in Deutschland belasten.