Bundestagswahl 2017: Die Wut und die Folgen
AZ-Chefredakteur Michael Schilling über den Ausgang der Bundestagswahl.
Deutschland, einig Vaterland? Wer daran - 28 Jahre nach der Wiedervereinigung - geglaubt hat, darf das seit gestern vergessen. Die ultrarechte Wut, vor allem im Osten, ist keine Warnung an Merkel und ihr Kabinett, sondern ein Beben. Und ein Beleg dafür, dass die Flüchtlingskrise in ihrer politischen Wirkung diesen Namen auch verdient hat - weil sie vielen Deutschen in dieser Form ein Trauma war, dessen Folgen nun ablesbar geworden sind.
Es hat sich wieder mal bewahrheitet, dass eine Große Koalition die politischen Ränder stärkt. Es ist Union und SPD vorzuwerfen, dass sie kein wichtiges Thema setzen konnten, das die Flüchtlingsdebatte überstrahlt hätte. Rente, Pflege, Bildung und Digitalisierung - in Zeiten von Rekordsteuereinnahmen ist viel geredet worden und (zu) wenig passiert. Gerade genug zwar, um keine massive Wechselstimmung im Land aufkommen zu lassen. Aber viel zu wenig für ein "Weiter so!". Stattdessen macht sich Angst breit bei jenen, die sich im ach so reichen Deutschland benachteiligt fühlen - oder es sogar sind.
Ein Wunsch nach mehr Charisma
Die SPD ist in der Opposition nun besser aufgehoben als in einer weiteren GroKo, deren Ende sie womöglich als Splitterpartei erlebt hätte. Und die Union, abgestraft mit dem schlechtesten Ergebnis seit 1949, muss zwangsläufig heraus aus ihrer Komfortzone, weil zu viele Menschen eine Politik des Aussitzens als Lahmarschigkeit empfinden - und satthaben. Das spiegelt die gestiegene Wahlbeteiligung. Das wiedererstarkte Interesse ist auch ein Ausdruck der Unzufriedenheit - und der Zuwachs bei Lindners Ein-Mann-FDP zeigt den Wunsch nach charismatischen Persönlichkeiten. Von denen gab es in der GroKo zu wenige.
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