Bürgerkrieg in Syrien: „Rettet mein Volk“

Der syrische Oppositionelle und Flüchtling Sheikh Ahmad Al-Djerba berichtet in der AZ von der Situation seiner Landsleute. Der Westen erfahre nur ein Viertel der Realität.
von  Annette Zoch
Eine syrische Frau und ihr verletzter Sohn im Wadi Khaled, einem Flüchtlingslager im Norden Libanons. Im kleinen Bild: Der syrische Oppositionelle Sheikh Ahmad Al-Djerba und Dolmetscherin Susanne Osthoff in der AZ.
Eine syrische Frau und ihr verletzter Sohn im Wadi Khaled, einem Flüchtlingslager im Norden Libanons. Im kleinen Bild: Der syrische Oppositionelle Sheikh Ahmad Al-Djerba und Dolmetscherin Susanne Osthoff in der AZ. © AP/Daniel von Loeper

Der syrische Oppositionelle und Flüchtling Sheikh Ahmad Al-Djerba berichtet bei einem Besuch in der AZ von der Situation seiner Landsleute. Der Westen erfahre nur ein Viertel der Realität.

Am Samstagabend sitzt Sheikh Ahmad Al-Djerba wie Hunderttausende andere Menschen vor dem Fernseher: Deutschland gegen Portugal. Es ist die 72. Minute – Gomez köpft, Tor! Al-Djerba freut sich, er mag den FC Bayern. Aber jubeln, so wie die Menschen draußen auf der Straße – das kann er nicht. „Ich muss immer an meine Heimat denken“, sagt er.

Dort gibt es auch ein großes Fußballstadion. Das Abbasiden-Stadion in Damaskus. Doch Fußball gespielt wird dort schon lange nicht mehr. Das Abbasiden ist jetzt ein Gefängnis. Tausende Oppositionelle sind dort inhaftiert. Oppositionelle wie Sheikh Ahmad Al-Djerba. Er stammt aus Syrien. Vor sieben Monaten floh der 37-jährige Schriftsteller vor dem Regime von Diktator Baschar Al-Assad über den Libanon nach Jordanien.

Weil er sich für die Freiheit einsetzte, für Demokratie und gegen das Morden. Vor einigen Tagen kam Ahmad mit der Organisation „Orienthelfer“ des Münchner Kabarettisten und Orientalisten Christian „Fonsi“ Springer nach Deutschland. Gemeinsam mit Susanne Osthoff, die perfekt Arabisch spricht und für ihn dolmetscht, reist Al-Djerba nun durch Deutschland. „Ich versuche, auf die syrischen Flüchtlinge in Jordanien und dem Libanon aufmerksam zu machen, Öffentlichkeit herzustellen“, sagt Al-Djerba.

Leicht fällt ihm das nicht. „Meine Familie ist noch in Syrien“, erzählt er. „Meine Frau, meine Kinder, meine Eltern. Sie sind auch schon beschossen worden, mein Vater wurde dabei verletzt. Ich habe jeden Tag Angst um meine Familie.“ Al-Djerba stammt aus Qamischli, das ist Kurdengebiet. Als der arabische Frühling auch nach Syrien schwappte, begann er, sich am Aufbau einer Gegenregierung zu beteiligen. „Aber viele meiner Mitstreiter sind inzwischen tot“, sagt er.

Auch die Lage in den Flüchtlingslagern sei schlecht: „Die Menschen stehen auf der untersten Stufe. Die Kranken bekommen keine medizinische Behandlung, die Kinder können nicht in die Schule.“ Aber Hoffnungslosigkeit will Al-Djerba nicht zulassen: „Ich vergleiche meine Arbeit mit der einer Biene“, sagt er. „Sie muss immer wieder fleißig rausfliegen, sie kann jede für sich nur Kleinigkeiten bewirken, aber alle zusammen machen Honig. So sehe ich die Arbeit des Widerstandes.“

Per Internet hält er Kontakt zur Opposition im Land. Das, was der Westen mit Hilfe von Journalisten aus Syrien erfahre, das sei nur ein Viertel dessen, was wirklich passiert, sagt Al-Djerba. „Es ist alles wesentlich schlimmer. Stellen Sie sich vor, in Ihrer Heimat würde so etwas passieren. Ihre Heimat würde zerstört, Ihre Mitbürger umgebracht. Das ist ein furchtbares Gefühl.“ Seine Dolmetscherin Susanne Osthoff erzählt, er rauche viel: „Die ganze Zeit. Man merkt, wie nervös und wie wütend er ist.“

So brutal es klingt: Sheikh Ahmad Al-Djerba wünscht sich Bomben. Bomben aus dem Westen, eine Militär-Intervention. „Wenn westliche Soldaten eingreifen würden, wären die Verluste immer noch geringer, als wenn Assad einfach so weitermacht. Das westliche Militär wird nicht unsere Frauen vergewaltigen, unsere Kinder töten und Schulen in die Luft sprengen, so wie Assads Leute es tun.“ Von der Mission der UN-Beobachter hält er wenig. „Vor deren Augen lässt Assad Kinder und Mütter schlachten. Seine Soldaten tanzen auf ihren abgeschnittenen Köpfen. Und die UN-Beobachter? Die fragen: Wer war das jetzt, war das nicht vielleicht doch El-Kaida? Und wer ist hier überhaupt wer? Es ist absurd.“

Immerhin sei es ein guter Schritt gewesen, dass die europäischen Staaten die syrischen Botschafter ausgewiesen haben. „Dafür möchte ich mich auch bei Deutschland bedanken“, sagt er. „Und ich hoffe, dass auch noch die restlichen Botschaftsmitarbeiter ausgewiesen werden. Denn sie bespitzeln und bedrohen Exil-Syrer auch im Ausland.“ Daran, dass Russland irgendwann einlenken könnte und härteren Sanktionen gegen Syrien zustimmen könnte, glaubt Al-Djerba nicht. Deshalb müsse der Westen auf andere Weise helfen. Zum Beispiel, indem schwer verletzte Flüchtlinge in deutschen Spezialkliniken behandelt werden – wie es schon im Libyen-Konflikt praktiziert wurde.

Al-Djerba denkt auch an die intellektuelle Zukunft seines Landes: „Wir brauchen auch Austauschprogramme für syrische Studenten. Die sind im Moment komplett von ihrer Ausbildung abgeschnitten, aber sie brauchen eine Perspektive. Die jungen Leute gleiten sonst ab. Und für den Aufbau eines neuen Syrien brauchen wir gut ausgebildete Leute. Wenn es hier Visa-Erleichterungen geben könnte, hätte Deutschland dem syrischen Volk sehr geholfen.“ Al-Djerba engagiert sich heute im „Tribal Council“. In diesem Rat wollen sich Stämme für die Zeit nach Assad aufstellen. Doch große Illusionen macht sich Al-Djerba auch nicht: Noch immer gebe es im Volk auch Rückhalt für den Machthaber.

„Er herrscht seit 40 Jahren in Syrien. Egal, was sie in der Vergangenheit machen wollten, wenn sie was werden wollten, einen Job wollten, was auch immer: Dann mussten sie sich mit dem Geheimdienst gut stellen.“ Das stecke in vielen Leuten immer noch drin. Für die Zukunft wünscht sich Al-Djerba ein friedliches, demokratisches Syrien. „Wenn uns unsere Freunde im Westen beistehen, dann ist der Umsturz sehr nah. Aber wenn die Freunde uns nicht beistehen – selbst dann wird Baschar al-Assad stürzen. Selbst wenn am Ende kein syrisches Kind mehr übrigbleibt, selbst wenn er alle Syrer umbringt – der Untergang von Baschar ist besiegelt. Jetzt geht es um die Rettung unseres Volkes.“

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