#btw13: Merkel & Steinbrück zum Nachlesen

Kanzlerin und Kandidat im TV-Schlagabtausch: Der SPD-Herausforderer kann nach ersten Daten gegen die Amtsinhaberin punkten. Das Protokoll, die Moderatoren, die Umfragen
von  Georg Thanscheidt, Matthias Maus, Anja Timmermann

BERLIN Merkel gegen Steinbrück, Kanzlerin gegen Kandidat: Gestern Abend sind die CDU-Amtsinhaberin und der SPD-Herausforderer im einzigen TV-Duell des Bundestagswahlkampfes aufeinandergetroffen. Geschätzte 15 Millionen Deutsche haben zugeschaut, als Anne Will, Maybrit Illner, Peter Kloeppel und Stefan Raab die Spitzenpolitiker interviewt haben. Wer war besser, wer überzeugender?

Die ersten Umfragen waren nicht eindeutig - Steinbrück hat zwar gepunktet und lag bei der ARD-Unfrage vorn. Das ZDF sieht aber Merkel als Sieger.. Der Herausforderer traf eine Viertelstunde vor der Amtsinhaberin vor dem Studio ein – und wurde von etwa 200 Merkel-Fans mit Buh-Rufen begleitet. Erst schaute er grimmig, dann begrüßte er strahlend 20 SPD-Anhänger.

Bundeskanzlerin Angela Merkel kam um 19.35 Uhr. Pünktlich um 20.30 Uhr begann der 90-minütige Schlagabtausch. Lesen Sie hier das Minuten-Protokoll der Debatte, entscheiden Sie selbst, wer den besseren Eindruck hinterlassen hat und stimmen Sie heute noch ab unter www.abendzeitung.de.

20.30 Los geht’s. Erste Frage von Maybrit Illner: „So schlecht regiert wie nie, haben Sie gesagt: Warum trägt sie nicht Welle der Empörung ins Amt?“ Steinbrück antwortet nicht direkt: „Jeder soll von der Hände Arbeit leben können.“ sagt der Kandidat. Und: Er werde das Land „aus dem Stillstand holen“ Die Menschen könnten „einen Test machen heute Abend“. Und: „Lassen Sie sich nicht einlullen".

20.32 Stefan Raabs erster Einsatz ist ganz staatsmännisch: „Wenn Sie den Wahlomat ehrlich ausfüllen, sind Sie sicher, dass das nicht SPD rauskommt, Frau Merkel?“ Die Kanzlerin: „Ich bin sicher, dass gut CDU rauskommt. Wir haben gezeigt, dass wir's können.“

20.34: „Tut Steinbrück Ihnen Leid“, fragt Peter Klöppel Merkel über Steinbrück: „Das hat er doch nicht nötig!“ Politiker seien es doch gewöhnt, kritisiert zu werden. „Die Frage ist doch: Wem können die Menschen vertrauen?“

20.35 Anne Will ganz ironisch: „Sie beherrscht Ihren Namen mühelos, Herr Steinbrück.“ Ob er denn nicht nicht verzweifle beim Versuch, Merkel aus der Reserve zu locken. „Wir wollen doch hier über Politik reden und nicht über Nebensächlichkeiten“, sagt Steinbrück. Es gehe um Niedriglohnsektor, um Wohnraum um Pflege, um Infrastruktur, um Mieten.

20.37: „Sie antworten nicht auf unsere Fragen, sagt Anne Will: Ob die Menschen Nach vier Jahre mehr oder weniger Geld in der Tasche? Mehr sagt Steinbrück.

20.40: Merkel lobt sich: „Die Schere zwischen Arm und Reich“ gehe nicht weiter auf. „Wir haben 1,9 Mio neue Arbeitsplätze geschaffen.“ Das wolle sie fortsetzen

20.41 Jetzt antwortet Merkels erstmals direkt, ohne den Umweg über die Moderatoren. Beim Thema Mindestlohn will sie einhaken – sonst bleibt zu sehr hängen, dass die SPD das Original ist. „Ich bin der Meinung, dass die Beteiligten in den Branchen mehr von Löhnen verstehen als wir Politiker.“ Sie wirft einen Blick auf Stefan Raab, wie eine Lehrerin einen notorischen Schwätzer kurz rügt, aber auch nicht zu sehr aufwerten will. „Herr Raab, das würde ich gerne kurz ausführen.“ Dann fährt sie Richtung Publikum fort: „Der Flickenteppich, von dem Herr Steinbrück sprach, das kennen wir doch für alle Branchen, das hat sich bewährt.“

20.43 Raab bohrt noch mal nach und fragt – Stimme-des-Volkes-mäßig – warum Deutschland eigentlich nicht sofort mit dem Schuldenmachen aufhört. Merkel erklärt geduldig, mit einer winzigen Spur Genervtheit: Es sei doch „sensationell“, dass Schwarz-Gelb trotz der schwersten Wirtschaftskrise seit langem mit nur so wenig neuen Schulden auskommt.

20.44 Jetzt kommt Anne Will: „Den Deutschen geht’s doch gut, Herr Steinbrück. Vielleicht haben die gar keine Lust auf Wechsel?“ Steinbrück stellt die gleiche Reihe von Fragen, die er vor zehn Minute schon mal aufgezählt hat: „Wie ist es mit der Energiewende? Der Pflege? Die Lage der Kommunen?“ Dafür dreht er Merkels letzte Aussage um: „Ja, die Einnahmen sprudeln. Aber auch bei diesen relativ günstigen Ausgangsbedingungen hat die Neuverschuldung in den letzten vier Jahren um 100 Milliarden zugenommen.“ Leichter Vorteil Steinbrück, wenn auch mit leichten Abzügen wegen Wiederholung.

20.45 Dann pflegt wieder Raab sein Stammtisch-Image: „Wie wär’s denn mal mit kreativen Finanzierungsideen, Frau Merkel? So wie die Pkw-Maut von Horst Seehofer. Meint er das ernst oder spinnt er mal wieder rum?“ Darauf geht die präsidiale Merkel nicht wirklich ein. „Das ist europarechtlich schwierig. Die Autofahrer sind schon erheblich belastet.“ Das muss reichen für Raab, signalisiert sie und lenkt zurück zur Verschuldung. Erst als sie hier alles gesagt hat, was sie will, hört sie auf, Raabs Nachfragen zu ignorieren: „Damit Sie jetzt zufrieden sind: Wir werden einen Weg finden. Heute geht es darum, dass wir in die Lage kommen, überhaupt Koalitionsverhandlungen zu führen.“

20.46 Illner wirft das nächste Thema auf: das dritte Griechenlandpaket. „Hand aufs Herz: Wird es das letzte sein?“ Merkel setzt ihre ernste Krisen-Managerinnen-Miene auf. „Gucken wir doch mal, worum es geht. Der Euro sichert unseren Wohlstand. Er ist unser Vorteil.“ Illners Versuche, nachzuhaken, bügelt Merkel ab. Bei jeder Nachfrage wiederholt Merkel etwas lauter ihren letzten Halbsatz und macht dann weiter im Text. Nämlich: „Ich diskutiere die Dinge, wenn sie anstehen.“ Also jetzt nicht. Unterbrechungen, und seien es nur Versuche, schätzt sie sichtlich nicht. Leichter Nachteil Merkel: Sie weicht aus.

20.48 Raab fragt Merkel zu Seehofers Maut-Bedingung. Merkel möchte schnell das Thema wechseln. Aber Steinbrück lässt sich die Chance nicht entgehen.

20:51 „Merkel nennt die Maut schwierig“, sagt er. Das sei falsch: „Maut nur für Ausländer geht gar nicht.“ Das sei „ein gewisser Irrsinn“. Das gehe nur, indem es Maut für alle PKW-Fahrer geben. Steinbrück schafft es deutlich besser, Merkel in die Enge zu treiben als vorher Stefan Raab. Er freut sich königlich: Schöne Grüße nach München zu Herrn Seehofer. Vorteil Steinbrück.

20:53 Thema Griechenland. Steinbrück. „Ich habe immer gesagt: Das kostet Geld, wir sind eine Haftungsunion seit 2012. Merkels Krisenstrategie ist gescheitert.“ Es fehle ein Wachstums-Programm.

20:55 Illner: Können die Griechen das Geld zurückzahlen? „Das wäre zu wünschen“, sagt Steinbrück. Wichtig sei aber: „Die Krisenländern müssen Wind unter die Flügel kriegen!“ Man solle sich erinnern: „Sie haben uns damals die Hand gereicht zur Einigkeit.“ Daraus entstehe „die Verpflichtung, ihnen auf die Beine zu helfen“.

20:56. Merkel sagt, es gehe aber jetzt darum, die Krisenländern zu Reformen zu ermuntern. Es dürfe „keine falsche Solidarität geben“. Aus der Krise komme man nur nach dem Prinzip Leistung und Gegenleistung 20:58. Merkel wird jetzt süffisant. Sie sagt: „Sie wissen, dass die Krisenpolitik nicht gescheitert ist.“ Steinbrück lässt nicht locker: „Ihre Krisenstrategie ist gescheitert.“ Dadurch werde die Zentralbank zu einer Zinspolitik gezwungen, „die die Sparer Geld kostet“.

21:00 Steinbrück fordert, dass die „Sanierung der Bankenkrise nicht auf Kosten der Steuerzahler“ passieren darf.

21.01 Merkel wird lockerer. Sie scherzt mit den Moderatoren. „Jetzt stellen Sie doch erstmal Ihre Frage“, sagt sie zu Anne Will. „Wie nett“, sagt diese. „Die Deutschen sorgen sich um ihre Spareinlagen. Haben Sie Verständnis dafür?“ Eine konkrete Antwort gibt Merkel hier nicht. „Was Ursache und Wirkung anbelangt, muss man hier genau diskutieren.“ Ah so.

21.04 Raab lenkt bei Steinbrück schon zum nächsten Thema. „Sie wollen Steuerbetrug bekämpfen.“ Steinbrück freut sich und zählt auf, wie man gegen Steuerbetrüger vorgehen könnte. Jetzt wird auch er lockerer. „Das war ein Ausflug in meine Western-Film-Erfahrung“, spottet er über seine blumigen Ansagen. Wieder eine neue Frage, wieder neues Thema – manchmal hat man mehr den Eindruck einer Pressekonferenz als eines Duells. RTL-Mann Kloeppel leitet zum Arbeitsmarkt über. Wie können wir Stellen schaffen, sie sichern, was ist mit Niedriglohn-Jobs? Prompt sagt Merkel: „Erst nochmal ein Wort zu vorher.“ Und dann zu den Arbeitsplätzen. Hier tritt der Merkelsche Dreiklang in Reinform auf. Erstens: Es ist doch ziemlich gut. Zweitens: Ich erkenne kleinere Probleme an. Drittens: Deswegen suchen wir ja einen Kompromiss. Merkel sagt: „Es muss jeder von seiner Arbeit leben können.“ Wer will da widersprechen.

21.08 Ist jede Arbeit besser als keine? Da Steinbrück kommt er ein bisschen in Fahrt: „,Sozial ist, was Arbeit schafft’, das ist nicht meine Meinung. Sozial ist, was gute Arbeit für einen fairen Lohn schafft.“ Illner stichelt, das habe sich noch anders angehört, als Rot-Grün die Agenda 2010 beschlossen hat. „Die Agenda 2010 hatte Fehlentwicklungen. Und ja, dazu sind wir bereit.“

21:12 Illner will von Steinbrück etwas zur Frauenquote wissen, bekommt aber keine Antwort: „Frau Merkel stellt schöne Schachteln ins Fenster“ – es gebe kein Rentenkonzept. Keinen Mindestlohn. Es gebe zwar ein „Jahr der Pflege“, aber kein Konzept: „Ich möchte die Wähler motivieren, in die Schachteln zu schauen.“

21:13 Steinbrück gelingt ein kleines Highlight an Ehrlichkeit. Auf die Frage nach der Höhe von Politiker-Gehältern sagt der Kandidat: „Sie erwarten doch nicht, dass ich dazu noch was sage!“

21.16 Will Steinbrück die Beamtenpensionen kürzen? Er spricht von Ungerechtigkeit, die nicht sein könne. Merkel hakt ein: Polizisten sollten jetzt genau zuhören und bei der SPD nachfragen. Vorteil Merkel.

21:19 Raab will wissen, ob die SPD jetzt die Rente auf 65 senken will oder ob es bei Rente mit 67 bleiben wird. Steinbrück äußert sich schwer verständlich. Er fordert Flexibilität. Das einzige Konzept, das vorliegt, ist das von der SPD, sagt er.

21.20 Illner bringt das Thema Energiewende: Die Preise schießen in die Höhe, kein Management erkennbar. Merkels wolkige Antwort: „Wir sind uns einig, dass Strom bezahlbar sein muss.“ Und dass die Netze ausgebaut werden müssen. Steinbrück kontert sofort. Er listet auf, was zu tun ist, zum Beispiel eine schnelle Reform des EEG-Gesetzes, positioniert sich als Kraft der Mitte – zwischen Schwarz-Gelb und den Grünen. Vorteil Steinbrück: Er vermittelt den Eindruck, viel konkretere Ideen zu haben.

21:35 Uhr Klöppel spricht jetzt von der Herdprämie. Sollen Frauen Wahlfreiheit haben? Jetzt ist Steinbrück dran. Er habe gar kein Problem mit Wahlfreiheit. Integrationspolitisch und arbeitsmarktpolitisch sei es aber völlig falsch. Alle Frauen bräuchten faire Chance, erwerbstätig zu sein. Das Betreuungsgeld sei das erste, was seine Regierung abschaffen werde.

21:37 Hat sich die mächtigste Frau der Welt von Seehofer beim Betreuungsgeld über den Tisch ziehen lassen? Nein, sagt Merkel, alle könnten wählen. Das sei „etwas ganz wichtiges“. Familien sollen entscheiden, wie sie’s wollen. Punkt für Steinbrück.

21:39 Thema NSA. Raab will, dass Steinbrück den Vorwurf wiederholt, Merkel habe den Amtseid verletzt. Steinbrück tut es nicht. Es sei „ungeklärt, ob Unternehmen abgefischt wurden, ob deutsche Dienststellen verwanzt wurden“. „Wir haben Fragen an die Amerikaner“, wehrt sich Merkel, „und sie haben uns Auskunft gegeben“. Sie sieht keinen Anlass, zu glauben, Deutsche würden flächendeckend ausspioniert.

21.40 Will grillt Merkel beim Thema NSA. Diese sagt: „Jedes Land hat seine eigenen Regeln. Deswegen verhandeln wir international. Wir haben da noch viel zu arbeiten, keine Frage.“ Sie klingt defensiv, sie weiß, dass sie hier so oder so nicht punkten kann. „Ich bin sehr froh, dass es eine inneramerikanische Diskussion gibt.“ Also ist sie auch Snowden dankbar? „Das hab ich nicht gesagt.“ Hätte ein Kanzler Steinbrück Snowden Asyl gewährt. Steinbrück: „Nein, er muss nach den gleichen Gesetzen behandelt werden wie jeder andere.“ Aber: „Selbstverständlich sind hier Rechte deutscher Staatsbürger betroffen, Grundrechte deutscher Bürger verletzt. Das wird von der Regierung mit einer Lässigkeit behandelt, das macht mich fassungslos.“ Das lässt Merkel nicht auf sich sitzen. „Von Lässigkeit kann keine Rede sein.“ Sie reißt es nicht raus, Vorteil Steinbrück.

21.46 Dann kommt noch das Thema Syrien. Die Frage an beide lautet gleich: Würde sich Deutschland unter Ihrer Führung beteiligen? Die Antwortet beider lautet gleich: „Nein.“ Der SPD-Mann sagt: „Und ich würde es auch bedauern, wenn Amerikaner ohne völkerrechtliches Mandat einen Militärschlag unternehmen.“ Merkel sagt, es müsse einen politischen Prozess geben, aber es müsse etwas passieren: „Das ist nicht ein kleines Vorkommnis, das ist ein wahnsinniges Verbrechen.“

21:51 Die Schlussphase. Raab sagt, er wünsche sich einen starken Steinbrück in einer großen Koalition: „Olli Kahn ist auch als Nr. Zwei zur WM.“ „Ich will Sekt oder Selters“, sagt Steinbrück. Raab fragt: „Was soll ich denn wählen?“ „Mich natürlich!“ sagt Steinbrück. Merkel findet das befremdlich: „Als erstes geht es um Land, dann Partei, dann Person. Will sie mit der einst als „Gurkentruppe“ geschmähten FDP weitermachen? Merkel sagt: „Es hat nicht besonders erquicklich angefangen, aber später hatten wir jede Menge Erfolge.“

21:57 Illner: Warum nicht rot-rot-grün? Steinbrück: „Die Linke ist nicht koalitionsfähig. Mit denen lässt sich Deutschland nicht verlässlich reagieren. Jedenfalls jetzt nicht.“ Und: „Wir werden noch 21 Tage weiter kämpfen. Wir machen weiter.“

21:59 Raab stellt fest: Merkel bettelt um die große Koalition. Darauf Steinbrück: „Sie will die Liebesheirat weiter machen.“

Dann die Schlussmonologe: Steinbrück sagt: Sie allein entscheiden: Brauchen wieder Aufbruch wie vor 44 Jahren, als ich in die SPD eingetreten bin. Merkels Sätze sind sehr kurz: „Sie kennen mich. Sie wissen, was ich anpacken möchte. Wir hatten vier gute Jahre. Ich will, dass auch die nächsten vier Jahr gut sind.“ Sie inszeniert sich als Dienerin des Volks: „Wenn Sie möchten, dass ich weiter als Ihre Bundeskanzlerin arbeiten kann, bitte ich Sie um Ihre Stimme. Und jetzt einen schönen Abend.“

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