Brutalstmöglich: Der Absturz des Roland Koch
Der Hessen-Regent verliert dramatisch – und sieht sich als Kampagnen-Opfer. Roland Koch ist nicht nur für seinen polarisierenden Wahlkampfstil abgestraft, er hat zugleich seine Rolle als CDU-„Kronprinz“ verloren.
VON MARKUS JOX
Was für ein Desaster, was für eine dramatische Niederlage für Roland Koch! Als der hessische Ministerpräsident am Sonntagabend um halb acht vor seine frustrierten, entsetzten Anhänger tritt, sieht der CDU-Mann schlecht aus, seine Gesichtsfarbe ist teigig.
Nur noch klägliche 36,8 Prozent hat Kochs Hessen-CDU erreicht. Das ist nicht nur ein Minus von zwölf Prozent im Vergleich zu den 48,8 Prozent von 2003. Es ist, wie auch immer die schwierige Regierungsbildung in Hessen ausgeht, vor allem die persönliche Niederlage für Roland Koch.
Auch die Rolle als Kronprinz verloren
Nach einem Wahlkrimi zeichnete sich am späten Abend ab: Koch ist nicht nur von den Bürgern als Ministerpräsident abgeschoben und für seinen polarisierenden Wahlkampfstil abgestraft worden, sondern hat zugleich seine langjährige Rolle als „Kronprinz“ von Kanzlerin und CDU-Chefin Bundeskanzlerin Angela Merkel verloren. Und zwar mit brutalstmöglicher Klarheit. Das Wahlergebnis sei „nicht einfach für uns und auch für mich persönlich“, presst der bleiche Koch heraus und sieht sich als Opfer einer „Diffamierungskampagne“ der Linken.
Doch der bisherige Alleinherrscher in der Wiesbadener Staatskanzlei ist nicht unschuldig an dem Erdrutsch-Ergebnis: Koch hatte den Urnengang im Hessenland zur „Richtungsentscheidung für ganz Deutschland“ aufgeblasen. Und das vermeintlich „bürgerliche Lager“ mobil zu machen versucht gegen „die versammelte Linke“.
Der General der Truppe
Noch am Samstagabend hatte der Regierungschef gemeinsam mit einem Rudel Getreuer von der Jungen Union Flugblätter in Wiesbadener Wohngebieten verteilt. Die verzweifelte Parole darauf lautete: „Am Sonntag: Wählen gehen! Jetzt Linksblock verhindern! Herzlichst: Ihr Roland Koch.“ Besonders herzlich klang der Ministerpräsident zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr: „Als General der Truppe“, zischte er, „sehe ich es als meine Pflicht, selbst an der Front zu stehen“.
Bei der Stimmabgabe am Sonntagmittag in einem Eschborner Kindergarten wirkte Koch angespannt und nervös. Die Schlacht war geschlagen, der General machtlos geworden, die verheerenden Prognosen schon in die Staatskanzlei durchgesickert. Der Ministerpräsident machte gequälte Scherze, posierte mit Kleinkindern und tippte fahrig auf seinem Handy herum. Dann gingen er und Ehefrau Anke nach Hause. Es war wohl das Ende einer Dienstzeit.
Lange war der hessische Landtagswahlkampf bieder vor sich hingedümpelt. Alles sah danach aus, als fahre der 49-Jährige im Schlafwagen einem neuerlichen Wahlerfolg entgegen. Koch redete über neue Jobs am Frankfurter Flughafen, pries seine Schulpolitik und lobte Hessen als das Land mit den höchsten Durchschnittsverdiensten der Arbeitnehmer. Dann kam der Überfall auf den Rentner Bruno N. in der Münchner U-Bahn – und der Instinktpolitiker Koch schlug knallhart zu. Um die SPD-Unterschriftenaktion für einen Mindestlohn zu kontern, brach er eine populistische Kampagne gegen junge ausländische Kriminelle vom Zaun.
Reizfigur für den politischen Gegner
Aus dem Koch, der in den letzten Jahren haufenweise Kreide vertilgt zu haben schien, vor der Kanzlerin Kratzfüße machte und auf Merkels Mitte-Kurs eingeschwenkt war, wurde wieder der bissige Gralshüter des Konservativen, die Reizfigur für den politischen Gegner: Prompt ätzte SPD-Altkanzler Gerhard Schröder über „diesen merkwürdigen Menschen da“, und Grünen-Denkmal Joschka Fischer juckte es wieder in den Fingern, gegen Koch in die Bütt zu steigen.
Im Unterschied zum Kuschelkurs des Niedersachsen Wulff trat Koch derart angriffslustig auf, als wäre er der Herausforderer und nicht seit neun Jahren Regierungschef. Kleinlaut musste er eingestehen, dass die hessische Justiz bei Jugendstrafverfahren sehr langsam arbeitet. Folgerichtig bescheinigen die Wahlanalysen Koch, der in Berlin bereits als möglicher neuer Bundeswirtschaftsminister gehandelt wird, ein schweres Glaubwürdigkeitproblem: Vor allem die unter 60-Jährigen hätten sich von ihm abgewandt. Forsa-Chef Manfred Güllner sieht eine klare „Anti-Koch-Wahl“, und der konservative Berliner Politologe Paul Nolte spricht von der „dramatischsten Selbstzerlegung eines Ministerpräsidenten, die wir jemals in der Geschichte der Bundesrepublik erlebt haben“.