EU und Großbritannien einigen sich auf Brexit-Handelspakt

Monatelang wurden sich Großbritannien und die EU nicht einig, wie ihre wirtschaftliche Beziehung in der Zukunft aussehen könnte. Nun gelang die Einigung - kurz vor Toresschluss.
dpa |
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Daumen hoch: Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien, jubelt nach der erzielten Einigung in den Brexit-Verhandlungen.
Daumen hoch: Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien, jubelt nach der erzielten Einigung in den Brexit-Verhandlungen. © Pippa Fowles/No 10 Downing Street/XinHua/dpa

Brüssel/London - Nach extrem langwierigen Verhandlungen haben die Europäische Union und Großbritannien an Heiligabend doch noch einen Brexit-Handelspakt vereinbart.

Damit ist ein harter wirtschaftlicher Bruch zum Jahreswechsel in letzter Minute abgewendet. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Premierminister Boris Johnson zeigten sich zufrieden. Bundeskanzlerin Angela Merkel maß dem Vertrag historische Bedeutung zu.

Das Abkommen soll die Beziehungen zwischen der Insel und dem Kontinent ab Januar 2021 neu aufstellen. Wichtigster Punkt ist, Zölle zu vermeiden, unbegrenzten Handel in beide Richtungen zu erlauben und Reibungsverluste so weit wie möglich zu begrenzen. Der Vertrag umfasst aber auch den Fischfang sowie die Zusammenarbeit bei Energie, Transport, Justiz, Polizei und vielen anderen Themen. Da die Brexit-Übergangsphase bereits am 31. Dezember endet, war der Zeitdruck am Ende enorm.

Michel Barnier, EU-Chefunterhändler für den Brexit, und EU-Kommisionspräsidentin Ursula von der Leyen während einer Pressekonferenz.
Michel Barnier, EU-Chefunterhändler für den Brexit, und EU-Kommisionspräsidentin Ursula von der Leyen während einer Pressekonferenz. © Francisco Seco/Pool AP/dpa

"Es hat gedauert, aber nun haben wir ein Abkommen", sagte EU-Kommissionschefin von der Leyen. "Es war ein langer und steiniger Weg. Aber das Ergebnis ist gut." Das Abkommen sei fair und ausgewogen. "Und es war ein Gebot der Vernunft für beide Seiten", fügte von der Leyen hinzu. Die EU habe sich in einer sehr guten Verhandlungsposition befunden und ihre Interessen voll gewahrt. Nun könne die Gemeinschaft den Brexit endlich hinter sich lassen.

In London äußerte sich Premierminister Johnson ähnlich. "Ich glaube, das ist ein guter Deal für ganz Europa", sagte er. Und er fügte hinzu: "Wir werden euer Freund sein, euer Partner, euer Unterstützer, und nicht zu vergessen, euer Nummer-Eins-Markt."

Aus Sicht seiner Regierung ist mit dem Abkommen alles erreicht, was die britische Öffentlichkeit mit dem Brexit-Referendum von 2016 wollte. "Wir haben wieder Kontrolle über unser Geld, unsere Grenzen, unsere Gesetze, unseren Handel und unsere Fischgründe zurückgewonnen", erklärte die Regierung. Zugleich gewähre das Abkommen Zollfreiheit und unbegrenzte Exporte in die EU.

Großbritannien hat die EU schon Ende Januar verlassen und ist nur noch in einer Übergangszeit bis 31. Dezember Mitglied im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Dann kommt der wirtschaftliche Bruch. Ohne Abkommen wären Zölle und aufwendigere Kontrollen notwendig geworden. Wirtschaftsvertreter auf beiden Seiten warnten vor Verwerfungen und dem Verlust Zehntausender Jobs.

Die Verhandlungen hätten eigentlich schon im Oktober abgeschlossen werden sollen, doch sie zogen sich immer weiter in die Länge. Mehrfach standen sie wohl kurz vor dem Scheitern. Nun kann der Vertrag auf EU-Seite nicht mehr rechtzeitig ratifiziert, sondern nur noch vorläufig angewendet werden. Um die nötigen Vorbereitungen zu treffen, berief die deutsche Ratspräsidentschaft für Freitag eine Sitzung der EU-Botschafter ein. Auf britischer Seite hat die Regierung angekündigt, das Parlament zu befassen.

Bundeskanzlerin Merkel würdigte die Einigung in Berlin. "Mit dem Abkommen schaffen wir die Grundlage für ein neues Kapitel in unseren Beziehungen", sagte die CDU-Politikerin. "Großbritannien wird auch außerhalb der Europäischen Union weiterhin ein wichtiger Partner für Deutschland und für die Europäische Union sein." Auch Außenminister Heiko Maas (SPD) zeigte sich erleichtert.

Im Gegenzug für einen Handel ohne Zölle und ohne Mengenbegrenzung verlangt die EU faire Wettbewerbsbedingungen - das sogenannte Level Playing Field. Gemeint sind gleiche Umwelt-, Sozial- und Subventionsstandards. Die Frage blieb bis zum Schluss ein höchst komplizierter Streitpunkt. Gesucht wurde ein Weg, fairen Wettbewerb auch für die Zukunft sicherzustellen und anderenfalls gegensteuern zu können. Das sei gelungen, sagte von der Leyen.

Danach blieb noch ein allerletzter Knackpunkt: der Zugang von EU-Fischern zu britischen Gewässern. Die Klärung der letzten Einzelheiten zog sich über viele Stunden bis Donnerstagmittag hin. Schließlich fand man auch hier einen Kompromiss.

Zuletzt hatte die Zuspitzung der Corona-Pandemie in Großbritannien weiteren Druck aufgebaut. Nachdem eine mutierte Variante des Coronavirus entdeckt wurde, hatte Frankreich zeitweise seine Grenzen für Verkehr aus Großbritannien geschlossen. Deshalb stauten sich auf britischer Seite Tausende Lastwagen - aus Sicht von Kritikern ein Vorgeschmack auf die Lage bei einem No-Deal-Brexit.

Die britischen Wähler hatten 2016 mit knapper Mehrheit für den EU-Austritt gestimmt. Premierminister Johnson gewann 2019 die Parlamentswahl unter anderem mit der Ansage, den Brexit nun tatsächlich durchzuziehen. Als zentralen Punkt nannte er immer wieder, Souveränität und Kontrolle über die eigenen Grenzen und Gesetze wiederzuerlangen.

© dpa-infocom, dpa:201224-99-803678/13

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  • Der wahre tscharlie am 25.12.2020 17:19 Uhr / Bewertung:

    "Wir haben wieder Kontrolle über unser Geld, unsere Grenzen, unsere Gesetze, unseren Handel und unsere Fischgründe zurückgewonnen", erklärte die Regierung."

    Oh mei, was erzählt der Boris da für einen Nonsens.
    Sie haben schon immer die Kontrolle über ihr Geld gehabt. Ich kann mich nicht erinnern, dass die EU dem brit. Finanzministerium gesagt hat, wofür sie ihr Geld ausgeben dürfen. Davon abgesehen, haben sie Millionen Euros für brit. Projekte bekommen.

    Die Kontrolle über die Grenzen haben sie auch immer gehabt, denn in Calais sitzen neben den Franzosen auch die Briten, die JEDEN Ausweis der Einreisenden kontrollieren.

    Kontrolle der Gesetze grinsen Kann mich nicht erinnern, dass bei dem jahrelangen "Theater" im Ober/Unterhaus die EU eingegriffen hätte.
    Und der Handel hat schon immer floriert und von den Fischen gingen schon immer ca. 70% in die EU.
    Aber abwarten bis Details aus dem 1000seitigen Vertrag veröffentlicht werden.

  • Heinrich H. am 25.12.2020 15:42 Uhr / Bewertung:

    Na dann wünschen wir den Engländer viel Erfolg, vielleicht merken Sie ja irgendwann, das es den British Empire, seit 1945 nicht mehr gibt ! Es wird für Europa und England nicht viel rauskommen dabei, aber die Engländer werden so richtige Nachteile bekommen, da ihre Wirtschaft nicht besonders viel hergibt ! Dafür haben sie aber nur den Zweitdümmsten Anführer, da Donald ja das Feld erst zum 20. Januar räumen " darf ".......!!!

  • sunny1 am 25.12.2020 00:45 Uhr / Bewertung:

    Schrecklich..was für eine Horrornachricht zu Weihnachten. Jetzt werden wohl Italien, Polen und Ungarn genau das gleiche machen und die Friedensidee EU die uns so lange ein Leben ohne Krieg garantiert hat, kaputt machen. Warum ist eigentlich Deutschland noch in der EU wenn man die Vorzüge auch ohne Beitragsleistung haben kann?? Man kann nur Vermuten dass angesichts der wirtschaftlichen Lage aller Mitgliedstaaten die EU in den Regierungen keine Fürsprecher mehr hat. Leider denken die Politiker hier zu kurz, denn die zwangsläufige Folge werden Gebietsforderungen von Folgeregierungen sein welche unausweichlich zum Krieg führen werden. Was für ein Horrorjahr 2020. Man sollte wenigstens daraus lernen, dass Politiker nur für 2 Legislaturperioden gewählt werden dürfen.

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