Bleibt alles anders: Das politische Paradoxon der Deutschen
Berlin - Wenn am Sonntag die Spitzen von CDU, CSU und SPD zu ihrem ersten Sondierungstermin zusammenkommen, sind sie ziemlich genau an dem Punkt, an dem Mitte November 2017 die Möchtegern-Jamaikaner scheiterten. Ob die Verhandlungen über die Aufnahme von Koalitionsgesprächen, also die Vorstufe zur Verhandlung über eine Regierungsbildung, dieses Mal von Erfolg gekrönt sein werden, steht in den Sternen.
Nachdem die SPD sich nach dem Wahl-Debakel zunächst kategorisch einer erneuten Regierungsbeteiligung verweigert hatte, wurde sie nun von der politischen Realität zurück auf GroKo-Kurs gebracht. Dass sie dabei ein angenehmer Verhandlungspartner für die schwach wie nie wirkende Noch-und-vermutlich-auch-weiterhin-Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel sein wird, ist so gut wie ausgeschlossen. Vielmehr muss der noch viel angeschlagenere Parteichef Martin Schulz dafür sorgen, dass man als Juniorpartner in einer Großen Koalition mindestens auf Augenhöhe verhandelt und wird wohl dementsprechend hart auftreten.
Familiennachzug erlauben oder weiterhin aussetzen, Solidaritätszuschlag behalten oder abschaffen, Steuererhöhungen für Reiche und Steuerentlastungen für Unter- und Mittelschicht, Bürgerversicherung, Rentenniveau oder Vereinigte Staaten von Europa - es wirkt so, als seien die SPD und ihre potentiellen Partner von der Union in allen wichtigen Fragen soweit es nur geht voneinander entfernt. Für eine tatsächliche Neuauflage der Großen Koalition müssten also beide Seiten zu weitreichenden Kompromissen bereit sein. Dass dabei am Ende ein Regierungsbündnis herauskommt, das deutlich mehr macht, als nur den Status quo zu verwalten, scheint schwer vorstellbar.
Neuwahlen ja, anders wählen nein
Das weiß auch der Wähler und ist "GroKo-müde": 52 Prozent der Deutschen lehnen laut aktuellem ARD-Deutschlandtrend die Neuauflage einer Großen Koalition ab, nur 45 Prozent halten ein erneutes schwarz-rotes Bündnis für gut oder sehr gut. Doch wie es stattdessen weitergehen soll, ist dem Wähler offenbar auch nicht klar. Eine Minderheitsregierung wird deutlich abgelehnt (nur 42 Prozent hielten dies für sinnvoll) und Jamaika ist ohnehin vom Tisch.
Damit blieben als letzter Ausweg nur noch Neuwahlen. Die würden jedoch ernüchternd ausfallen: Keines der möglichen politischen Bündnisse wird vom Wähler befürwortet, doch im Falle von Neuwahlen bliebe alles beim Alten. Die CDU/CSU käme laut aktueller Sonntagsfrage auf 33 Prozent, die SPD auf 21, die AfD auf 13, die FDP auf 9, die Linke auf 9 und die Grünen auf 11 Prozent. Damit würden (mit minimalen Verschiebungen von der FDP zu den Grünen) alle Parteien erneut das Ergebnis der Bundestagswahl vom September 2017 einfahren.
Bloß nichts ändern, aber bitte alles anders machen - das politische Paradoxon Deutschlands im Winter 2017/18.