Bittere Demütigung
SCHWÄBISCH GMÜND - Die grüne Basis lässt den künftigen Parteichef Cem Özdemir gleich zweimal gnadenlos durchfallen - unter Gejohle. Ein alter Grundreflex gegen Führungsfiguren - auch die eigenen.
Die Basis der Grünen hat wiedermal mit Wonne einen Spitzenmann fertig gemacht: Der künftige Bundesparteivorsitzende Cem Özdemir fiel bei der Aufstellung der Bundestagskandidaten gleich zweimal durch. Nach dieser Demütigung verließ er wortlos und erschüttert den Parteitag. Ein herber Rückschlag für sein geplantes Comeback.
Eigentlich war für Özdemir laut Parteitagsregie der sichere sechste Listenplatz ohne Gegenkandidaten reserviert. Doch in letzter Minute erklärte der Linke Winfried Herrmann seine Kampfkandidatur, hielt eine Rede gegen den Afghanistan-Einsatz und darüber, dass die Finanzkrise doch auch super sei, weil sie den Börsengang der Bahn gestoppt habe. Özdemir bemühte sich in seiner Rede dagegen tapfer um Sachlichkeit – Ergebnis: 53,5 Prozent für Herrmann und 46,5 Prozent für den künftigen Parteichef. Die Basis kreischte freudig auf, Özdemir war geschockt.
"Das hat ihn sehr getroffen"
Er gab nicht auf, ging auch in den Kampf um den letzten sicheren Platz acht (die ungeraden sind für Frauen) – und verlor noch krachender mit 41,3 zu 58,7 Prozent. Wiederum schriller Jubel unter den Delegierten, Özdemir nun fassungslos. Er schnallte sich seinen Rucksack um und ging. Mit so einer Demütigung hatte er nicht gerechnet. Grünen-Landeschef Daniel Mouratidis: „Die Entscheidung hat ihn sehr getroffen.“ Özdemir wolle aber „vorerst“ keine Konsequenzen für den Bundesvorsitz ziehen. Führende Grüne erklärten, sie hofften, das Özedemir antreten werde. Das sei kein Votum gegen die Person Özdemir gewesen, sondern der Wunsch der Basis nach Trennung von Amt und Mandat. Mit diesem und anderen Argumenten hat die grüne Basis schon manchen Parteipromi abgewatscht – eine Art Grundreflex gegen Führungsfiguren, auch die eigenen.
Der Bad Uracher war 1994 der erste türkischstämmige Bundestagsabgeordnete. 2002 stolperte er über die private Nutzung von Vielflieger-Rabatten und einen Kredit von PR-Berater Moritz Hunzinger. 2004 ging er ins EU-Parlament. Nun versucht er sein Comeback in Berlin – als Parteichef. Das kann er auch ohne Bundestagsmandat, doch so eine Demütigung beschädigt seine Position schon jetzt. Und es beschert ihm im Vergleich zu seiner Co-Chefin Claudia Roth eine schlechtere Ausgangsbasis, die anders als er im Bundestag vertreten ist – samt schlagkräftigem Stab.