Interview

Bezahlkarte: Söder spricht Klartext über Bayerns Asylplan

Die deutsche Politik diskutiert über Taurus-Marschflugkörper für die Ukraine. Im AZ-Interview erklärt CSU-Chef Markus Söder, warum er für eine Lieferung ist und was er vom Zögern des Kanzlers hält.
von  Natalie Kettinger, Markus Peherstorfer
Markus Söder sieht das Handeln der Bundesregierung in der Taurus-Debatte kritisch.
Markus Söder sieht das Handeln der Bundesregierung in der Taurus-Debatte kritisch. © IMAGO / Metodi Popow

AZ: Herr Söder, Sie werfen der GDL einen Missbrauch des Streikrechts vor und fordern Bundesverkehrsminister Volker Wissing von der FDP zum Eingreifen auf. Wie soll das gehen? Eine "Zwangsschlichtung" ist laut Arbeitsrechtlern nicht möglich.
MARKUS SÖDER: Die Situation ist für unser Land unhaltbar: Jeden Tag entstehen enorme Schäden. Das Streikrecht ist ein hohes Gut, wird in seinen Grundfesten aber gerade diskreditiert. Ein Großteil der Bevölkerung hat kein Verständnis mehr dafür, dass die Infrastruktur lahmgelegt wird. Der Streik ist unverhältnismäßig. Deshalb müssen endlich Maßnahmen getroffen werden, um ihn zu beenden. Das Mindeste wäre, dass sich der Bundesverkehrsminister selbst aktiv einbringt. Er könnte mit seiner Autorität eine Schlichtung herbeiführen. Mittelfristig muss darüber nachgedacht werden, das deutsche Streikrecht zu ändern. Wir müssen solche missbräuchlichen Taktiken zum Schaden der Menschen und Wirtschaft verhindern.

Von Pendlern hört man oft, zumindest wäre während eines Streiks sicher, dass der Zug nicht kommt. Viele sehen das generelle Chaos bei der Bahn auch durch eine Reihe von CSU-Bundesverkehrsminister verursacht, die lieber in die Straße als in die Schiene investiert haben.
Das ist nachweislich falsch. In den Zeiten dieser Bundesverkehrsminister ist mehr denn je investiert worden im Vergleich zu den Jahrzehnten zuvor. Das Grundproblem ist, dass Investitionen in die Schiene endlos lange dauern. Und die Bahn selbst ist leider ein schwerfälliger Großkonzern.

 Blicken wir nach Brüssel: Wie überzeugt sind Sie eigentlich, wenn Sie im Europawahlkampf die Werbetrommel für Ursula von der Leyen (CDU) rühren? Sie haben in den vergangenen fünf Jahren ja oft genug Kritik an der EU-Kommission geäußert...
Die Kommission hat viele herausfordernde Entscheidungen getroffen. Diese waren allerdings oft von Kommissaren geprägt, die links der Mitte stehen, etwa Frans Timmermans. Auch das Parlament ist nicht mehrheitlich bürgerlich. Insofern war die Arbeit der Kommissionspräsidentin bemerkenswert: eine klare Positionierung pro Ukraine, für die Verteidigungsfähigkeit der EU, ein sehr klarer Kurs gegen unkontrollierte Zuwanderung und Migration sowie für den Schutz der Grenzen und für Verträge der EU mit Ländern in Nordafrika. Hinzu kommt ihr großer Einsatz für die Landwirtschaft. Ursula von der Leyen garantiert Stabilität in Europa. Wir unterstützen sie mit voller Kraft.

"Gibt ein sehr schlechtes Bild ab": Markus Söder kritisiert Bundesregierung in der Taurus-Debatte

Das Wahlprogramm von CDU und CSU setzt auf Aufrüstung. Sie selbst fordern aktuell, dass Deutschland der Ukraine Taurus-Marschflugkörper liefert. Was soll das bringen?
Die Ukraine darf diesen Krieg nicht verlieren. Alle Europäer sind bei der Unterstützung im Rückstand: bei Artillerie, Munition, einfachstem Waffengerät. Bei diesem Krieg handelt es sich um eine Materialschlacht. Die Ukraine verteidigt auch unsere Freiheit. Wenn Europa die zugesagten Leistungen nicht erbringt, kann die Front zusammenbrechen. Taurus würde zwar keine Kriegswende, aber eine Verschnaufpause ermöglichen. Die Bundesregierung gibt in dieser Frage seit Wochen international ein sehr schlechtes Bild ab. Der Kanzler sagt nein, FDP und Grüne sagen ja. Wir wollen weder Bodentruppen in der Ukraine haben noch Kriegspartei werden. Das würde mit Taurus unserer Auffassung nach auch gar nicht erfüllt. Aber wir müssen die Ukraine in die Lage versetzen, vernünftige Gespräche führen zu können, wann und in welcher Form der Konflikt beendet werden kann. So wie es jetzt läuft, wird der Konflikt einseitig durch einen Sieg Russlands beendet – mit dramatischen Folgen für ganz Europa.

Markus Söder mit den Redakteuren Natalie Kettinger, Markus Peherstorfer – und dem goldenen bayerischen Löwen im Besprechungszimmer der Staatskanzlei.
Markus Söder mit den Redakteuren Natalie Kettinger, Markus Peherstorfer – und dem goldenen bayerischen Löwen im Besprechungszimmer der Staatskanzlei. © Daniel von Loeper

Im August haben Sie die Frage, ob Deutschland der Ukraine Marschflugkörper liefern soll, noch mit einem klaren "Nein" beantwortet. Warum haben Sie Ihre Meinung geändert?
Weil wir mit den anderen Lieferungen nicht hinterherkommen. Sonst müssten wir nicht über Taurus-Marschflugkörper reden. Wenn dieser Krieg verloren geht, bedeutet das ein massives Erstarken Russlands und massiven Druck auf die Nato. Und sollte in den USA Donald Trump wieder Präsident werden, wird die Schutzfunktion der Nato völlig neu diskutiert werden. Dann sind wir weitgehend auf uns selbst gestellt.

Sie plädieren für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht. Wäre es vor dem Hintergrund der Verteidigungsfähigkeit nicht sinnvoller, in Qualität statt Quantität zu investieren – also in Hightech-Ausrüstung anstellen von Bürokratie, die es wohl bräuchte, wenn jedes Jahr Hunderttausende junge Menschen ihren Dienst ableisten? Auch Ausbilder und Kasernen gibt es nicht genug.
Die Dimension der Herausforderung wird unterschätzt. Der erste Schritt in einem Verteidigungs-Masterplan ist immer, die vorhandene Ausrüstung zu komplettieren und zu 100 Prozent verteidigungsfähig zu werden. Dafür fehlen dem Bundesverteidigungsminister offenkundig erneut zig Milliarden Euro, das ist ein schweres Versäumnis. Ein zweiter Schritt ist die Ausrüstung mit neuen Waffensystemen. Wir brauchen eine eigene Drohnen-Armee, weil Drohnen die mit Abstand effektivsten Waffensysteme sind. Und das Dritte ist: Wenn sich der Verteidigungsauftrag ändert, verändert sich die Struktur einer Armee.

Bei der Bundeswehr hat Markus Söder "Einordnung gelernt"

Was genau meinen Sie?
Wir hatten in den vergangenen 30 Jahren vor allem punktuelle Auslandseinsätze mit vergleichsweise wenigen Soldaten. Jetzt geht es um den Schutz der eigenen Landesgrenze und der gesamten Nato-Grenze. Denken Sie etwa an die Soldaten, die für Litauen abgestellt werden. So etwas wird es in Zukunft häufiger geben und dazu braucht es schlichtweg mehr Soldaten. Die Wehrpflicht wäre durch eine einfache Gesetzesänderung leicht durchsetzbar und bindet junge Menschen an Demokratie, Freiheit und Land. Das geht natürlich nicht über Nacht. Es bräuchte fünf bis sieben Jahre, aber wir müssen jetzt die Entscheidung treffen und dann mit dem Aufbau beginnen. Das ist vorausschauende und verantwortungsvolle Politik.

Sie selbst haben 1986 im Transportbataillon 270 in Nürnberg Ihren Wehrdienst geleistet. Was verbinden Sie mit dieser Zeit?
Einschneidend für mich als junger Abiturient war sicherlich, jeden Tag um fünf Uhr aufstehen zu müssen (lacht). Aber der Wehrdienst hat mir nicht geschadet. Ich habe nicht nur einen Lkw-Führerschein gemacht. Ich habe dort Einordnung gelernt, Teamarbeit und die einfachen Dinge des Lebens zu erledigen: vom Bettenmachen bis zum Reinigen der eigenen Stube. Für junge Männer ist das eine gute Schule. Und: Ich stehe heute noch um kurz nach fünf Uhr auf.

"Der Wehrdienst hat mir nicht geschadet", sagt CSU-Chef Markus Söder.
"Der Wehrdienst hat mir nicht geschadet", sagt CSU-Chef Markus Söder. © Daniel von Loeper

Bayern ist bei den Bezahlkarten für Geflüchtete vorgeprescht. Im März sollen sie in vier Pilot-Kreisen verteilt werden. Ziel ist es, Geldtransfers in die Heimatländer zu unterbinden. Der Flüchtlingsrat und der Deutschland-Chef des Kreditkartenanbieters MasterCard weisen jedoch darauf hin, dass es für die Überweisung nennenswerter Beträge keine Belege gibt. Sind die Karten also doch nur "Gängelei", wie Kritiker behaupten – und ein Zeichen an die eigene Bevölkerung, auch mit Blick auf die Popularität der AfD?
Die Bezahlkarte ist ein wichtiges Instrument. Wir reduzieren die sozialen Anreizfaktoren, nach Deutschland zu kommen. Bayern ist da schneller als andere und wir werden die Karte konsequenter anwenden. Bei uns gibt es nur 50 Euro Taschengeld, in anderen Bundesländern möglicherweise 200. Wer sich in einem Asyl-Anerkennungsverfahren befindet, bekommt Schutz, Unterkunft, Essen, Kleidung und Hygieneartikel. Er braucht aber kein Bargeld, mit dem womöglich Schlepper und Schleuser finanziert werden.

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