Betreuungsgeld stürzt CDU in Zerreißprobe
Das Ja der Kanzlerin zum Betreuungsgeld ist eindeutig. Doch die Zahl der Gegner steigt. Experten erwarten deutlich höhere Kosten. Arbeitgeber und Kommunen fordern die Aufgabe des Projekts.
Berlin - Auch nach Merkels klarem Bekenntnis wächst der Widerstand in der Union. Der Hamburger CDU-Abgeordnete Jürgen Klimke schloss sich den bislang 23 Fraktionskollegen an, die mit der möglichen Ablehnung der bisherigen Pläne im Bundestag gedroht haben.
Klimke befürchtet dadurch eine Fehlsteuerung von Sozialleistungen. Die Mittel für das Betreuungsgeld fehlten dann an anderer Stelle, sagte er dem "Hamburger Abendblatt" (Dienstag). Der CDU-Rentenexperte Peter Weiß verteidigte die Argumente der Gegner in den eigenen Reihen. "Eine solche Frage muss in der Fraktion ausdiskutiert werden", forderte er im Deutschlandfunk.
Nach Ansicht von Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt geht das Vorhaben in eine völlig falsche Richtung. "Das Betreuungsgeld ist nach meiner Überzeugung grundverkehrt. Ich hoffe sehr, dass die Koalition von diesem unsinnigen Vorhaben Abstand nimmt", sagte er der "Bild"-Zeitung. Die Leistung sei teuer und setze Anreize, nicht zu arbeiten.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund verlangte ebenfalls, auf das Projekt zu verzichten. "Solange der Ausbau der Kindergartenplätze nach wie vor unterfinanziert ist, sollten zusätzliche Mittel besser dafür eingesetzt werden", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg "Handelsblatt Online".
Die Kosten für das Betreuungsgeld drohen laut einem Medienbericht deutlich höher auszufallen als bislang angenommen. Nach Angaben der "Financial Times Deutschland" könnten jährlich Eltern von rund 1,1 Millionen Kindern die geplante Barzahlung in Anspruch nehmen - rund 445 000 mehr als nach Kalkulation der Regierung. So gehe das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW/Mannheim) von Kosten in Höhe von rund 2 Milliarden jährlich aus, da nicht genügend Betreuungsplätze zur Verfügung stünden.
Die Regierung veranschlagt bislang für 2014 Ausgaben in Höhe von 1,2 Milliarden Euro. Die monatliche Leistung für Eltern, die ihre Kleinkinder zu Hause erziehen, soll nach Vorstellungen von CDU/CSU ab 2013 zunächst 100 Euro und danach 150 Euro betragen.
Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums ist derzeit offen, ob der Bundesrat dem vor allem von der CSU geforderten Betreuungsgeld zustimmen muss. Dies hänge vom Inhalt des erst für den Sommer angekündigten Gesetzentwurfs ab, erklärte Sprecher Christoph Steegmans. Falls deswegen Länder zusätzlich Personal einstellen müssten, könne die Mitsprache des Bundesrats notwendig werden. In diesem Fall könnten die SPD-geführten Länder das Vorhaben blockieren.
Heftig gerungen wird in der Union vor allem darüber, ob die neue Leistung bar an die Eltern ausgezahlt werden soll. Der CDU-Landeschef in Schleswig-Holstein, Jost de Jager, wandte sich dagegen. Eine solche Kursänderung lehnte wiederum die Vize-Generalsekretärin der CSU, Dorothee Bär, in der "Märkischen Allgemeinen Zeitung" strikt ab.
Die Vorsitzende der Frauen in der Unions-Fraktion, Rita Pawelski (CDU), warb in der Berliner "Tageszeitung" (taz) für einen Kompromiss: "Eine Lösung wäre, das Betreuungsgeld nicht ausschließlich bar auszuzahlen. Der Staat könnte alternativ dem Elternteil, das zu Hause bleibt, nachhaltige Hilfen finanzieren."
Thüringen wird bei einer bundesweiten Einführung des Betreuungsgeldes seine Landesprämie wahrscheinlich streichen. Ansonsten gebe es eine unvertretbare Doppelförderung, sagte Sozialministerin Heike Taubert (SPD) in Erfurt. Das Land zahlt derzeit für Kinder nach dem ersten Geburtstag ein Erziehungsgeld von in der Regel monatlich 150 Euro an Eltern, die ihren Nachwuchs zu Hause betreuen.
Kanzlerin und CDU-Chefin Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Montag über Regierungssprecher Steffen Seibert deutlich gemacht, dass sie an der Koalitionsvereinbarung festhalten will. Aus der FDP kam neue Kritik. "Das Betreuungsgeld passt nicht in die Zeit", sagte Generalsekretär Patrick Döring der "Passauer Neuen Presse" (Dienstag). "Wenn die Union dieses Projekt aufgibt, werden wir nicht im Wege stehen."
Die Opposition sieht Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen des Konflikts zunehmend handlungsunfähig. "Merkels Machtworte verhallen im Chaos der Koalition", sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast zeigte sich überzeugt: "Mit der Herdprämie stellt sich Merkel gegen die Interessen von Frauen, Kindern, Gesellschaft und Wirtschaft." Die Linke forderte Merkel auf, "sich endlich von der antiquierten Kinder-Küche-Kirchen-Ideologie der Unions-Fundis" zu distanzieren.