Berlins Bürgermeister Michael Müller: "Wir planen, auf ehemalige Friedhöfe zu bauen"
München - Die AZ hat Michael Müller zum Interview getroffen. Der SPD-Politiker (52) ist seit 2014 Regierender Bürgermeister von Berlin.
AZ: Herr Müller, der Bundestags-Wahlkampf der SPD läuft ja nicht ganz so gut. Haben Sie noch Hoffnung?
MICHAEL MÜLLER: Ja natürlich. Weil wir ja auch gerade bei den letzten Wahlen gesehen haben, dass es zwischen Umfragen und tatsächlichen Wahlergebnissen extreme Schwankungen gibt, da geht es hoch und runter für alle Parteien. Viele Wählerinnen und Wähler sind offensichtlich bis zum Wahltag unsicher und entscheiden sich erst in der Wahlkabine. Das bietet die Chance, noch was zu drehen.
Sie regieren in Berlin in einer rot-rot-grünen Koalition. Bundesweit ist das für viele ein Schreckgespenst. Und am Anfang hat es auch gerumpelt.
Die ersten Wochen sind in jeder neuen Koalition schwierig. So war es auch bei uns. Da kommen über Nacht Partner zusammen, die sich vorher im Wahlkampf nichts gegönnt haben. Aber nach drei, vier Monaten entsteht ein gemeinsamer Arbeitsrhythmus. Die Koalition läuft gut.
Könnten Sie sich das auch für den Bund vorstellen?
Nein.
Wieso nicht?
Sie brauchen in einer Regierung ein gutes Vertrauensverhältnis. Wir hatten zum Beispiel mit der Linkspartei gute Erfahrungen und ein Grundvertrauen aus zehn Jahren rot-roter Koalition in Berlin. Das ist mit den Akteuren auf Bundesebene schwer vorstellbar, wenn man zum Beispiel an Frau Wagenknecht denkt. Außerdem bearbeiten wir in Berlin kommunale Themen: ÖPNV, Krankenhäuser, Schulen. Auf Bundesebene ist auch wichtig, wie man sich außenpolitisch verhält. Das ist mit der Linkspartei schwer.
Was stört Sie besonders?
Unter anderem, wie sich die Linke zu internationalen Fragen positioniert, zu Fragen der Außenpolitik, Fragen der Nato oder EU. Da ist eher der Eindruck, dass mit der Linkpartei eine verlässliche Bündnispolitik auf europäischer Ebene schwierig ist.
Zurück auf die kommunale Ebene: Wann haben Sie gemerkt, dass es in Berlin beim Wohnen genauso unentspannt wird, wie in München?
An meinem ersten Amtstag als Stadtentwicklungssenator im Jahr 2011 war mir klar, dass wir in der Wohnungspolitik sofort umsteuern müssen. Die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften als aktives Instrument für mehr bezahlbare Wohnungen zu nutzen, das wurde in den zehn Jahren davor nicht gemacht.
"Ein Instrument wie die Mietpreisbremse braucht Sanktionen"
Und die Parallelen zwischen den Städten?
Die Mieten nehmen sich ja nicht mehr viel. Es sind schon noch erhebliche Unterschiede, im Bestand liegen wir gemessen an München im Mietspiegel ungefähr bei der Hälfte. Bei der Neuvermietung wird es aber tatsächlich auch in Berlin deutlich teurer. Eine gute wirtschaftliche Entwicklung und Wachstumsprozesse in Städten führen leider zu steigenden Mieten. Wohnen Sie eigentlich immer noch zur Miete in Tempelhof? Ja, natürlich. Der schönste Bezirk, der schönste Kiez!
Bei den Neuvermietungen greift die Mietpreisbremse auch in Berlin eher mäßig.
Schon, aber noch nicht gut genug. Bisher stehen die Vermieter zum Beispiel noch nicht unter dem Druck, den Mietbetrag der vorigen Mieter offenzulegen. Wir bringen am 22. September – auf der Sitzung werde ich auch zum Bundesratspräsidenten gewählt – eine Bundesratsinitiative ein, die Vermieter vor Neuvermietung zur Offenlegung der Alt-Miete zwingt.
Und welche Sanktionen haben Sie sich da überlegt?
Das Einzige, was wirkt, sind finanzielle Konsequenzen. Was vorher zu Unrecht vom Vermieter vereinnahmt wurde, muss zurückgezahlt werden. Ein Instrument wie die Mietpreisbremse braucht Sanktionen.
Sie haben sich die Hochbauten am Dantebad angeschaut – haben Sie sich so was schon mal für Ihre Stadt überlegt?
Unter anderem deshalb bin ich heute hier: Es ist gut, wenn wir voneinander lernen. Die großen Städte wachsen alle – unterschiedlich stark, unterschiedlich schnell. Aber wir stehen vor den gleichen Aufgaben. Und wenn in München die Politik mit Partnern neue Instrumente findet, die Möglichkeiten besser zu nutzen, schneller und günstiger zu bauen, um dann günstige Mieten anzubieten, bin ich daran sehr interessiert.
Was ist besser: In die Höhe bauen oder in die Breite?
In die Höhe und dichter. Das sind keine Geschmacksfragen oder Vorlieben, sondern wir müssen Flächen intensiver nutzen. Und das bedeutet, dass wir auch nachverdichten und eben auch dort, wo es stadtverträglich ist, in die Höhe bauen.
Wäre Ihr Vorschlag an München, die "Türme-der-Frauen-Kirche-Grenze" zu kippen?
Da muss jede Stadt für sich entscheiden, was verträglich ist.
"Wir planen, auf ehemalige Friedhöfe zu bauen"
Sie haben als Bausenator gesagt, dass auch alte Friedhöfe als Baufläche kein Tabu sein sollten. Sagen Sie das als Regierender Bürgermeister immer noch?
Das wird sogar gemacht! Wir haben große innerstädtische Friedhofsflächen gerade der evangelischen Kirche, die nach Auslaufen der Liegezeiten der Verstorbenen und Übergangsfristen nicht mehr genutzt werden. Es sind nach Gesprächen mit der Kirche Projekte in der Planung, auf solchen Flächen zu bauen.
Und werden Sie da etwas Kreatives hinbauen?
Tolle kreative Gebäude gibt es natürlich in Berlin. Aber kreative und aufsehenerregende Architektur ist für den Siedlungsbau oft nicht geeignet – also für das, was wir in der Masse brauchen, damit viele Menschen gut und günstig wohnen können. Da kann man ruhig zurückgreifen auf alte Konzepte von Bruno Taut oder Walter Gropius.
Das ist dann Platte, oder?
Platte ist der Begriff im Osten gewesen. Es geht uns um standardisierte Verfahren.
Wie immer man es nennt: Es erlebt ein Revival.
Na klar. Sie brauchen heute wie im Übrigen in den 60- und 70er Jahren auch Verfahren, wo man jenseits von großen Wettbewerben und ausgefallenen Formen und Materialien schnell in die Umsetzung kommt. Wie immer wir es am Ende nennen wollen – serieller Bau, Siedlungsbau, Plattenbau.
Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde im Wahlkampf zuletzt übel beschimpft: Wie ist das bei Ihnen, welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Es kommt gerade im Wahlkampf immer vor, dass da mal ein paar rumpöbeln. Aber die Art ist schlimmer geworden. Zum Beispiel letztes Jahr beim Einheitsfest in Dresden. Da waren alle schockiert wegen der Hemmungslosigkeit.
Wo kommt das her?
Die mitunter ja berechtigte Kritik der Bürger wird von interessierter Seite angeheizt. Da fallen Grenzen. Man wird persönlich diffamiert, bis ins Private hinein. Wir haben in Berlin mittlerweile sogar Bundestagsabgeordnete, die mit Personenschutz unterwegs sein müssen. Das ist eine Stimmung, die auch bewusst von Rechtspopulisten geschürt wird.
Nur von denen oder ist das vielleicht ein Symptom des Zustands der Gesellschaft?
Politische Gruppierungen arbeiten bewusst damit, um einzuschüchtern. Und es fallen Grenzen durch die Anonymität im Netz. Viele denken offenbar, wenn sie sich im Netz diffamierend anonym bewegen können, können sie das auch im täglichen Umgang.
Wie kann man gegensteuern?
Das ist ganz schwer zu sagen. Einerseits wohl so wie Heiko Maas: mit juristischen Mitteln gegen Hass im Netz. Aber es ist eine gemeinsame Aufgabe von Politik, Medien und Gesellschaft: immer wieder an bestimmte Umgangsformen zu erinnern und diese auch vorzuleben. Politische Auseinandersetzung muss eine bestimmte Qualität haben – denn ohne diese ist sie nicht mehr möglich.
Schwindet da die Lust auf den eigenen Job ein bisschen?
Nein, das ist ja nicht der Alltag. Aber ich merke schon die Veränderung. Als ich vor über 20 Jahren in der Politik angefangen habe, hatte man auch mal unter dem Scheibenwischer am Auto kleine Briefchen: "Blöder Bonze, park’ vor deiner Haustür". Was heute anders ist: Auch Familienmitglieder werden angepöbelt. Und bei Auftritten gibt es immer öfter ein massives Unter-Druck-Setzen, das früher nicht da war. Die Kontroverse ist deutlich radikaler, direkter und privater geworden. Da kann man irgendwann mit umgehen. Aber das belastet schon.
Und was macht eigentlich der Pannen-Flughafen?
Eine allerletzte Frage: Wie geht der beste BER-Flughafen-Witz, den Sie kennen?
Ohne Quatsch: Ich kenne keinen. Ich hab kein Problem, damit offen umzugehen, aber witzig ist das Thema nicht. Es ist bitter und eine Baukatastrophe, die von den drei Gesellschaftern Berlin, Brandenburg und dem Bund in Ordnung gebracht werden muss. Der Verweis, dass es zum Beispiel auch in München 20 Jahre gedauert hat, ist da kein Trost. Das macht die Sache in Berlin nicht besser. Aber nun zeichnet sich ein Ende ab. Im Herbst 2018 sollen die Bautätigkeiten beendet sein, und dann schließt sich etwa ein Jahr Probebetrieb der Systeme an.
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