„Beide Seiten haben massive Fehler gemacht“

Im AZ-Interview übt Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter Kritik an den Protagonisten im Schulden-Theater
von  Jens Knüttel
Anton Hofreiter.
Anton Hofreiter.

AZ: Herr Hofreiter, die Griechen haben die allerallerletzten Reformvorschläge der Gläubiger im Referendum klar abgelehnt. Können die Geldgeber mit Alexis Tsipras noch ernsthaft verhandeln?

Anton Hofreiter: Es muss unbedingt verhandelt werden. Ein Grexit wäre kein Ende mit Schrecken, sondern der Auftakt zu neuem Schrecken. Es ist ja nicht so wie bei einem Unternehmen, dass Griechenland nach dem Bankrott abgewickelt werden könnte. Griechenland bliebe Mitglied der EU, rechtlich sogar der Euro-Zone und als Land auch weiter Teil Europas. Es kann weder im Sinne der Deutschen noch der Menschen im restlichen Europa sein, dass aus Griechenland ein zerfallener Staat wird. Die Menschen dort bräuchten dann erst recht Hilfe.

Aber ist nicht auch die harte Haltung der internationalen Geldgeber verständlich, die ständig neue Kehrtwenden in Athen erleben mussten?

Es ist absolut nachvollziehbar, dass nach dem monatelangen Hin und Her alle Seiten genervt sind. Aber es geht hier um professionelles Krisenmanagement und nicht um persönliche Befindlichkeiten.

Wo gibt es die größeren Versäumnisse im Schuldendrama – bei den Geldgebern oder der griechischen Regierung?

Beide Seiten haben massive Fehler gemacht. Griechenland hat von der Lebenslüge gelebt, dass die Schwierigkeiten im Land nichts mit dem Versagen der eigenen Regierungen zu tun haben. Bei der Korruptionsbekämpfung und dem Aufbau eines vernünftigen Staatswesens oder einer funktionierenden Steuerbehörde gibt es grobe Versäumnisse. Auf der anderen Seite haben die Kreditgeber und auch die Bundesregierung von der Lebenslüge gelebt, dass Griechenland Reformen durchführen und die harten Sparvorschläge umsetzen kann.

Gibt es noch einen Ausweg aus dem Schuldendrama?

Die Kreditgeber müssen eine Umschuldung anbieten. Bis 2020 muss bei der Schuldentilgung erst mal Ruhe sein, das Schreckgespenst Grexit muss weg. Anders wird sich die griechische Wirtschaft nie erholen. In dieser Zeit muss die Athener Regierung mit ihren laufenden Einnahmen die Ausgaben decken. Solange darf es aber auch keinen Cent neues Geld geben, denn nur so wird die griechische Regierung wieder eigenverantwortlicher handeln.

Ministerpräsident Tsipras will neue Reformvorschläge präsentieren und hat einen Antrag auf Hilfen aus dem Euro-Rettungsschirm ESM gestellt. Hilft das auf Dauer weiter?

Die ESM-Hilfen wären nur dazu da, alte Kredite durch neue zu ersetzen. Bei den Griechen direkt käme von dem Geld gar nichts an. Das muss man wissen. Griechenland hilft nur eine Mischung aus gerechten Reformen, neuen Investitionen und Erleichterungen beim Schuldendienst.

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