Bedingte Kapitulation

Er ist endlich am Ziel: Horst Seehofer wird CSU-Chef und Ministerpräsident. Seine Mitbewerber Joachim Herrmann und Thomas Goppel haben ihre Kandidatur in letzter Sekunde zurückgezogen. Aber ihr Verzicht hat einen Preis: Stoibers Leute sollen nicht wieder in die bayerische Machtzentrale einziehen
Der Machtpoker geht bis zur letzten Sekunde. Der eine traut sich nicht in ein offene Abstimmung, fürchtet sich vor Wunden, die ihn als designierten CSU-Chef schwer verletzen könnten. Die beiden andere stehen gegen ihn wie eine Eiche, wollen keinen Zentimeter weichen, und es darauf ankommen lassen. Auf das Horrorszenario: Auf eine Kampfabstimmung über den bayerischen Ministerpräsidenten heute in der Fraktion. Erst um 16 Uhr kommt es zu einer bedingten Kapitulation: Horst Seehofer wird bayerischer Ministerpräsident. Innenminister Joachim Herrmann wird sein zweiter Vize, den ersten Stellvertreter bekommt der Koalitionspartner. Die CSU-Fraktion, die Seehofer vorher kastrieren wollte, legt ihm jetzt die Daumenschrauben an. Joachim Herrmann und Thomas Goppel lassen sich ihren Rückzug teuer erkaufen.
Um 14.45 Uhr treffen sich Seehofer und Herrmann zum Vier-Augengespräch im bayerischen Innenministerium am Odeonsplatz und einigen sich. Herrmann zur AZ: "Bevor es heute in der Fraktion zu einem Riesenkrach kommt mit ungewissem Ausgang, haben wir uns verständigt um der Geschlossenheit Willen, Seehofer den Vortritt zu lassen." Um 16 Uhr holen die beiden den zurückgetretenen CSU-Chef Erwin Huber und Thomas Goppel dazu. Um 16.30 lassen sie dann den weißen Rauch aufsteigen.
Die Telefone liefen den ganzen Tag heiß
Die Telefone waren den ganzen Tag heiß gelaufen, selbst als sich schon eine Mehrheit für Seehofer als künftigen bayerischen Ministerpräsident abzeichnete. Bereits morgens sagte der scheidende Präsident des bayerischen Landtags, Alois Glück (CSU), er halte eine Kampfabstimmung heute in der Fraktionssitzung für unwahrscheinlich. Er rechne damit, dass es zuvor zu einer Verständigung komme: "Eine Kampfabstimmung würde die Partei in eine riskante Situation bringen." Seehofer sollte Bedingungen erfüllen, die ihm und der Fraktion eine Zwangsehe erträglich machen. Die Bedingungen: Stoibers "Grusel-Kabinett" mit seinem Schattenmann Martin Neumeyer und dessen Adlatus Bernhard Schwab darf nicht die Staatskanzlei regieren. Davon hat sich Seehofer schon verabschiedet, heißt es danach.
Und: Es gibt keine große Blutauffrischung aus der Berliner Landesgruppe im künftigen bayerischen Kabinett. "Seehofer muss eine ausgewogene Basis finden, um die Fraktion zu befrieden", so einer der CSU-Vermittler. "Er kann nicht mit eine völlig instabilen Situation in die Regierung gehen. Fünf Jahre mit einer Fraktion, die die geballte Faust in der Tasche hat, hält er nicht durch."
Doch die Spannung bleibt. Während Seehofer und Herrmann schon zusammen sitzen, sagt Goppel noch, er werde nicht weichen: "Ich bin frohen Mutes. Ich gehe von der Gemengelage letzter Woche aus: Horst Seehofer will wissen, ob es einen aus der Fraktion gibt, der die nötige Mehrheit hinter sich vereinigen kann."
Die Entscheidung um den Fraktionsvorsitz soll verschoben werden
Im Laufe des Tages aber wird die Stimmung in der Fraktion immer katastrophaler. Denn auch Stoiber greift mit seinen Fußtruppen ein, um Seehofer endgültig gegen die Fraktion zu installieren – und sich damit auch selbst wieder indirekt an die Macht zu bringen. Dagegen aber laufen jetzt vor allem die Franken Amok. "Die sind gegen Stoiber zu allem bereit, bis zur Selbstzerstörung", wird in der CSU-Alarm geschlagen.
Am Nachmittag ist die Lage völlig unübersichtlich, die Parteispitze ratlos, wie sie den heutigen Tag gestalten soll. Die Oberbayern-CSU drängt jetzt auch noch ihre Kollegen in München, den Antrag zu stellen, die Wahl des Fraktionsvorsitzende zu verschieben. Damit noch ein Posten frei ist. Angeblich spekuliert Oberbayern-Chef Siegfried Schneider auf das Amt, um Seehofer die nötige Unterstützung in der Fraktion zu geben. Er will sein ungeliebtes Schulministerium loswerden und sich nicht mehr mit G8 herumschlagen.
Auf den doppelten Seehofer kommt nun eine schwere Aufgabe zu. In Bayern muss er eine Koalitionsregierung zustande bringen. In Berlin soll er die CSU zu alter Macht führen. Nur wie? Was viele im Chaos des Wahldesaster völlig vergessen haben: Er kann nicht agieren wie einst Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber, die ihre Muskeln im Bundesrat spielen ließen. Als Vertreter einer CSU/FDP-Koalition kann er nämlich im Bundesrat nicht für die Stimmen Bayerns garantieren. Aber das wird er erst merken, wenn er, vom Landtag gekürt, im Amt ist. Angela Böhm