Becksteins Sturz: Die CSU und ihr Tag im Hinterzimmer
MÜNCHEN - Der Ministerpräsident versucht, sich über sein schlechtes Wahlergebnis hinweg zu retten, doch am Ende hilft nichts mehr: Wie zuvor Erwin Huber muss auch Günther Beckstein zurücktreten. Aber wer kommt jetzt?
Tag drei im neuen Bayernland. Die CSU ist aus den Fugen geraten. In der Bibel ist das der Tag der Auferstehung. Für die CSU eher der Untergang. Die Apokalypse. In der Landtagskantine steht auf dem Speiseplan: Schlachtplatte mit Leber-, Blut- und Mettwurst auf Sauerkraut mit Nitritpökelsalz, Geschmacksverstärker (!) und Phosphat. Preis: 3,80 .
In der Nacht muss es Beckstein klar geworden sein, er kann sich nicht mehr halten. Er muss zurücktreten. Um 11.23 Uhr reicht er vor der Fraktion seine Kündigung ein. Doch es gibt keinen Ersatz für ihn. Die potentiellen Nachfolger blockieren sich gegenseitig. Und die Fraktion will den neuen CSU-Chef Horst Seehofer nicht auch noch als Retter Bayerns. Land unter bei der CSU – und der Freistaat Kopflos. Bis nächsten Mittwoch soll jetzt nach einem Ministerpräsidenten gesucht werden.
Die Bewerbungen liegen schon vor. Innenminister Joachim Herrmann. Fraktionschef Georg Schmid. Wissenschaftsminister Thomas Goppel. Auch Seehofer steht bereit, wenn sich die Fraktion auf keinen der Drei einigt. Europaminister Markus Söder hat das Handtuch geworfen. Er kandidiert nicht.
"Das ist kein guter Stil"
Die Schauplätze sind ausgerechnet zwei Hinterzimmer. Wo doch nichts mehr in Hinterzimmern stattfinden sollte. „Das ist kein guter Stil“, hat Horst Seehofer noch gesagt, als Stoiber von Beckstein und Huber in Kreuth entmachtet wurde. „Die Entscheidungen werden von der gesamten CSU gefällt und nicht in den Hinterzimmern des Landtags“, sagt an diesem Morgen der schwäbische Bezirkschef Markus Ferber. Doch da täuscht er sich. Das AZ-Protokoll der spannenden Stunden.
Die Pfalzstube: eng, klein, fensterlos. Hier findet der Kampf der Franken statt. Um 8.45 Uhr kommt Markus Söder, zehn Minuten später sein Konkurrent Joachim Herrman. Die fränkischen Abgeordneten beraten, wie es weitergehen soll. Es gibt Semmeln und Kaffee. Um 9.20 Uhr kommt Beckstein dazu. Er ist sichtlich gezeichnet. Alle sind sprachlos. Sechs Bodyguards schirmen das Hinterzimmer ab. Vor der Tür stehen zwei Türme mit roten Brotkisten. Hinter ihnen verstecken sich die Beckstein-Sprecher Michael Ziegler und Rainer Riedl: „Es gibt nichts zu sagen.“ Drinnen fallen folgenschwere Entscheidungen: Beckstein kündigt seinen Rücktritt an. Söder muss seinen Traum, Ministerpräsident zu werden, begraben und Herrmann den Vortritt lassen.
Um 9.55 Uhr geht Beckstein. Zu seinen Bodyguards sagt er: „Heut bin ich froh, dass ich Begleitschutz haben.“ Kurz hinter ihm folgt entspannt Joachim Herrmann. Als letzter kommt Markus Söder – mit Leichenmiene. Er drängt sich durch die Journalisten: „Ich finde immer meinen Weg.“
CSU-Fraktionssaal, 10 Uhr: Die 92 CSU-Abgeordneten kommen zu ihrer konstituierenden Sitzung. Beckstein sagt nur: „Nach der Fraktionssitzung gibt es eine Erklärung.“ Doch so lange wird es nicht mehr dauern. Stoiber kommt, der Racheengel, der im Hintergrund seine Fäden gezogen hat: „Ich bin als Ehrenvorsitzender eingeladen.“ Ex-Parteichef Erwin Huber: „Beckstein muss jetzt selber entscheiden, was er macht.“
Büro des CSU-Fraktionsvorsitzenden: Es ist klein. Georg Schmid hat gerade seinen Schreibtisch und den gläsernen Besprechungstisch hineingebracht. Das Quartett Huber, Beckstein, Seehofer, Schmid zieht sich hier zurück zum Acht-Augen-Gespräch. „Es gibt noch Gesprächsbedarf“, haben sie zuvor die Fraktion wissen lassen und die Sitzung unterbrochen. Die Abgeordneten stehen ratlos da. Die Vier handeln die Modalitäten für Becksteins politische Beerdigung aus. Sie können sich auf keinen Nachfolger einigen. Seehofer ist in der Fraktion nicht durchzusetzen. Herrmann im Moment aber auch nicht, weil Goppel und Schmid ebenfalls ihren Hut in den Ring geworden haben. Der alte Graben zwischen den Franken und Altbayern droht wieder aufzubrechen. Die Vier beschließen: Beckstein erklärt jetzt vor der Fraktion seinen Rücktritt. Danach wird ein Nachfolger gesucht.
"Ich stehe nicht mehr zur Verfügung"
CSU-Fraktionssaal: Um 11.07 Uhr geht die Sitzung weiter. Mit steinernen Gesichtern kommen die Vier zurück. Um 11.23 Uhr teilt Beckstein der Fraktion mit: „Ich muss davon ausgehen, dass ich nicht mehr von allen getragen werde. Deshalb stehe ich nicht mehr zur Verfügung.“ Die AZ meldet an die Agenturen: „Beckstein zurückgetreten“. Das Spektakel nimmt absurde Züge an: Als Seehofer einmal austreten muss, klettert er auf der Feuerleiter runter zu einer Toilette, um den Journalisten zu entgehen.
Konferenzzimmer: Um 12.38 stellt sich der gescheiterte Ministerpräsident im Maximilianeum mit versteinerter Miene vor die Kameras und erklärt seinen Rücktritt.
Gleicher Ort, ein paar Stunden später: Huber erklärt die Modalitäten des Wettkampfs. Seehofer wolle antreten – aber er sei bereit, das Vorrecht des Landtags zu respektieren, wenn sich die Fraktion doch noch auf einen gemeinsamen eigenen Kandidaten einigen kann. Doch dafür gibt es momentan zu viele.
Jetzt heißt es in der CSU: Ministerpräsident gesucht.
Angela Böhm