Beck ist krank – die SPD hat Fieber

Wie krank ist Kurt Beck wirklich? Beinahe zwei Wochen schon hat das Land die Stimme des kernigen Pfälzers nicht mehr vernommen. Am Tag nach der Hamburg-Wahl hatte die SPD-Zentrale verkündet.
Der Parteichef leide an einer verschleppten Grippe, die sich zu einer hochfiebrigen Mandel- und Stimmbandentzündung ausgewachsen habe. Mittlerweile wird jedoch in der SPD heftig spekuliert: „Das ist keine Grippe, das ist was Schlimmeres“, raunt ein besorgter Genosse. Beck sei „wirklich krank, das muss richtig übel sein.“
Der Chef sei „auf dem Wege der Besserung“, bemühen sich dagegen Becks Strippenzieher, alle Zweifel zu zerstreuen. Vielleicht werde er sich ja bald via Interview zurückmelden. Im Übrigen habe Beck mit Generalsekretär Hubertus Heil telefoniert, der nach einer Operation ebenfalls ans Krankenbett gefesselt ist: „Kurt Beck wäre am Montag gerne wieder an Bord, aber das letzte Wort hat der Arzt.“
„Bitte nicht schon wieder!“, flehen sie derweil in SPD-Kreisen. Die Erinnerung an den letzten kranken Vorsitzenden steckt der Partei noch tief in den Knochen: „Der Chef hat Grippe“, hatte es auch damals geheißen, als der SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck 2006 wochenlang öffentlich abgetaucht war. Irgendwann trat er dann mit feuchten Augen vor die Presse und berichtete von einem Kreislauf- und Nervenzusammenbruch sowie mehreren Hörsturzen – nach nur 146 Tagen im Amt war Schluss – auf „dringenden ärztlichen Rat“ zog sich Platzeck nach Potsdam zurück.
Keine Schwäche zeigen
Dass auch das pfälzische Kraftpaket Kurt Beck gesundheitlich straucheln könnte, wollte man sich im Willy-Brandt-Haus bislang nicht vorstellen – zumal es in der politischen Klasse gang und gäbe ist, keine Schwäche zu zeigen und sich lieber fitspritzen zu lassen: Stolz erzählt Helmut Kohl noch immer davon, wie er sich 1989 trotz bestialischer Prostata-Schmerzen auf einen Parteitag geschleppt hat, um einen Putsch gegen ihn niederzuschlagen. Bislang schien es auch Kurt Beck nichts auszumachen, permanent zwischen Mainz und Berlin hin- und herzupendeln. Morgens in seiner Staatskanzlei Weinköniginnen zu busseln und abends im Koalitionsausschuss mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Erwin Huber über Details der Pflegereform zu feilschen.
Selbst innerparteiliche Gegner Becks sagen: „Wir hoffen, dass er bald zurückkommt.“ Sollte die SPD schon wieder einen neuen Parteivorsitzenden wählen müssen, wäre das nach Müntefering, Platzeck und Beck bereits der vierte, den die CDU-Chefin Merkel im ihrer kurzen Amtszeit als Kanzlerin erleben würde.
Dabei wäre die Anwesenheit des Vorsitzenden in Berlin gerade in diesen Tagen für die SPD extrem wichtig – die zerrissene, kopflose Partei fiebert einer klaren Ansage von oben entgegen: Seit Andrea Ypsilantis Ankündigung, sich tatsächlich mit den Stimmen der Linken zur hessischen Ministerpräsidentin wählen lassen zu wollen, herrscht Ratlosigkeit, Wut und Verzweiflung unter den Genossen. Vor allem der konservative Parteiflügel kann kaum noch an sich halten: „Sollte Herr Beck vor der Bundestagswahl behaupten, er würde sich auf keinen Fall mit den Stimmen der Linken zum Kanzler wählen lassen, dann wäre das nur noch politisches Kabarett“, schimpft Hessens Vizefraktionschef Jürgen Walter. „Ich befürchte, dass die Glaubwürdigkeit von Kurt Beck in dieser Frage nicht mehr vorhanden ist.“
Genossen äußern sich subtiler
Andere Genossen äußern sich subtiler: Fragt man sie nach der Machtstellung des SPD-Chefs, kommt sofort eine SMS zurück: „Kurt Beck ist ein guter Parteivorsitzender“, steht da, versehen mit „:)“, einem ironietriefenden Smiley. Übersetzt heißt die Botschaft: Die Kanzlerkandidatur kann er sich abschminken, aber für den Vorsitz haben wir derzeit leider keine Alternative.
Desaströs fallen die neuesten Umfragewerte für Beck und seine Partei aus: Forsa sieht die SPD im Bund nur noch bei mageren 24 Prozent, und gerade mal ein Viertel der SPD-Anhänger wollen Beck noch als Kanzler. „Nüchtern betrachtet erscheint eine Kanzlerkandidatur für Beck völlig aussichtslos“, senkt Forsa-Chef Manfred Güllner den Daumen. Die Entscheidung der Hessen-SPD, mit Hilfe der Linken zu regieren, habe das Vertrauen in die Partei heftig beschädigt: „Je stärker die SPD nach links rückt, desto stärker verliert sie in der Mitte.“
Viele SPD-Funktionäre blicken jetzt hilfesuchend auf die beiden „Stones“, wie die beiden Beck-Vizes Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier parteiintern genannt werden. Obwohl Beck seine Stellvertreter bei seiner Kehrtwende nach links zum wiederholten Mal eiskalt übergangen hat, halten sie vorderhand noch zu ihm. Das Problem nämlich ist: Der schnodderige Hanseat Steinbrück mit seinem Hang zu Arroganz und Sarkasmus ist in weiten Teilen der Parteibasis ungeliebt. Und der frühere Schröder-Strippenzieher Steinmeier hat sich zwar zum beliebten Außenminister gemausert, taugt aber noch nicht recht zur Integrationsfigur für die Partei. Der soll erst einmal sein Bundestagsmandat in der brandenburgischen Provinz gewinnen, heißt es in der SPD.
Wie vergiftet das innerparteiliche Klima in der Partei ist, zeigt die jüngste Attacke aus der Bundestagsfraktion auf Schleswig-Holsteins SPD-Landeschef Ralf Stegner. Der hatte Steinbrück vorgeworfen, den kranken Beck zu treten, statt ihn zu vertreten. „Dieser Provinzpolitiker, der zu Hause selber nichts gebacken kriegt, sollte lieber weiter Kommunalpolitik machen, anstatt dem erfolgreichsten Finanzminister aller Zeiten in peinlicher Art und Weise ans Knie zu pinkeln“, sagte Seeheimer-Sprecher Johannes Kahrs der AZ.
Die SPD habe vielmehr „ein Problem Ypsilanti“, so Kahrs. Mit ihrem dilettantischen Ranwanzen an die „unsicheren Kantonisten von der Linkspartei“ habe sich die Hessin „komplett vergaloppiert“. Vornehmer drückt es Fraktionschef Peter Struck aus: „Die Hessen haben eine schwere Verantwortung für die Partei und sollten sich das nochmal überlegen“, fasste er die Meinung der Bundestagsabgeordneten zusammen. Selbst aus dem linken SPD-Flügel wird Ypsilanti angesichts der äußerst knappen Mehrheitsverhältnisse im Wiesbadener Landtag gebeten, auf ihr „hessisches Roulette“ zu verzichten. Freilich aus einem anderen Grund: Schließlich wollen sich die Linken um Parteivize Andrea Nahles die Option Rot-Rot-Grün nicht jetzt schon zerdeppern lassen.
MARKUS JOX