Bayerns Hausärzte: Aufstand gescheitert
NÜRNBERG - Nur 40 Prozent der Mitglieder des Hausärzte-Verbandes wollen ihre Kassenzulassung zurückgeben. Verbittert sagt Rebell Hoppenthaller den Ärzten: „Sie enthaupten sich damit selbst.“ Aber noch lässt er sich eine Hintertür offen.
Er hat hoch gepokert – vermutlich vergeblich: Der Aufstand der bayerischen Hausärzte, den Verbandschef Wolfgang Hoppenthaller anstoßen wollte, ist gescheitert. Er wollte einen kollektiven Massen-Ausstieg aus dem Kassensystem: Doch statt der erhofften 60-Prozent-Mehrheit erklärten nur 40 Prozent der Mitglieder des Hausärzte-Verbandes, dass sie ihre Kassenzulassung zurückgeben wollen. Die Kassen sprachen erleichtert von einem „Sieg der Vernunft“. Aber noch hat Hoppenthaller nicht aufgegeben.
6000 Hausärzte waren in die Nürnberger Arena gekommen, bedachten die sehr emotionale Reden Hoppenthallers mit euphorischem Beifall. „Kehren wir dem kaputten System dem Rücken!“, rief er. „Wir müssen uns aus dem unwürdigen Unterdrückungssystem befreien! Wir müssen uns aufbäumen gegen ein kunstvoll konstruiertes Unrechtssystem! Lasst uns nicht aus Angst Sklaven der Kassen bleiben!“ Hintergrund ist erstens, dass Gesundheitsminister Philipp Rösler die vor wenigen Jahren eingeführten Hausarztverträge – die ihnen Sondervergütungen beschert hatten – wieder abgeschafft hat. Zweitens wollen die Hausärzte nicht mehr über die Kassenärztlichen Vereinigungen abrechnen, sondern mit den Kassen direkt: Sie hoffen so auf bessere Konditionen. „Nur so können wir uns von dem Spardiktat befreien.“
Während seiner Rede waren neun Urnen aufgestellt, in denen die Ärzte schriftlich erklären, dass sie ihre Kassenzulassung zurückgegeben, die Umschläge mit einem Barcode versehen, damit live mitgezählt werden kann. Diejenigen, die es tun, sind kämpferisch: „Es muss was passieren“, sagt die Ärztin Ottilie Wickles. „Ich fühle mich gegängelt.“ Uwe Born aus dem unterfränkischen Maßbach: „Sonst macht das bald keiner mehr.“ Vor allem die Landärzte sind es, die zur Revolte bereit sind. Aber das finanzielle Risiko? Immerhin machen die Kassenpatienten 70 Prozent der Erlöse aus. „Ich kann Tapezieren und Holzhacken“, sagt Ottmar Dettmer aus Hammelburg ironisch.
Doch die absoluten Zahlen fallen dann weit magerer aus: 2751 Austrittserklärungen finden sich – eine Quote von 39 Prozent. Hoppenthaller hatte die Latte auf 60 Prozent gelegt. Zunächst reagiert er verbittert: „Damit enthaupten Sie sich selbst!“, ruft er den Ärzten zu. „Es war der Traum der Ärzte, aus dem Kassensystem auszusteigen. Aber den Schritt ins Unbekannte, den trauen sie sich dann nicht.“ Aufgeben will er noch nicht: Eigentlich sollte die Abstimmung an diesem Mittwoch Abend ein. Nun verlängert er die Frist bis 18. Februar, 24 Uhr. Bis dahin könnten die Austrittserklärungen noch per Post geschickt werden, und bis dahin wolle er auf Regionalkonferenz für diesen Schritt werben.
Doch offenbar hatten zu viele Ärzte seiner riskanten Strategie misstraut. Hoppenthallers Kalkül war es, so viele Mediziner zum Ausstieg zu bewegen, dass die Versorgung derart gefährdet ist, dass die Kassen zu Verhandlungen über seine – teils gesetzlich nicht zulässigen – Vorstellungen bereit sind. Die Kassen dagegen mahnten: Wer aussteigt, ist sechs Jahre draußen. Vor allem in Oberbayern war die Beteiligungsquote niedrig, während unter den Ärzten aus Ober- und Unterfranken eine Quote von 50 Prozent erreicht wurde. Thomas Fastner (41) aus Reichenhall gehört zu denen, die nicht mitgemacht haben: „Die Ärztedichte ist in Oberbayern so hoch. Meine Patienten dürften keine Probleme haben, einen neuen Arzt zu finden. Ich setze meine Existenz aufs Spiel.“
Auch unter den Ärzte herrschte noch Unsicherheit, was jetzt aus den Austrittserklärungen wird. Hoppenthaller hatte ursprünglich erklärt, er werde die Schriftstücke nur beim Erreichen der 60-Prozent-Quote den Kassen übergeben. Damit seien sie nun gegenstandslos, sagten einige Ärzte in Nürnberg – das seien im übrigen reine Absichtserklärungen. Allerdings läuft die Frist ja nun noch bis Februar. Die Frage ist, wie viele Ärzte ihre Erklärung tatsächlich aufrechterhalten, wenn weniger als die Hälfte mitmacht. Der Versorgungsgrad mit Allgemeinärzten liegt in Bayern bei 112 Prozent. Von den 9000 praktizierenden Hausärzten gehören 7000 Hoppenthallers Verband an.
Von den Kassen wurde das Scheitern des Aufstandes begrüßt: „Eine Rückkehr zur Vernunft“, so die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände. „Die Ärzte haben das Vabanquespiel ihres Vorsitzenden beendet, zum Wohl der Patienten und zu ihrem eigenen Wohl.“
tan
- Themen:
- Philipp Rösler