Bayern-SPD bezeichnet AfD als "neue Nazis": "Absoluter Fehler, aus Frust Faschisten zu wählen"

Ruth Müller ist seit 2023 Generalsekretärin der Bayern-SPD und vertritt den Stimmkreis Landshut im Landtag. Nasser Ahmed ist stellvertretender Generalsekretär und Vorsitzender der SPD Nürnberg. Die AZ hat mit den beiden gesprochen.
AZ: Frau Müller, Herr Nasser, große Demonstrationen gibt es aktuell gegen Rechtsextremismus. Was können diese bewirken?
NASSER AHMED: Die Demonstrationen waren überfällig. Sie sind ein Ausrufezeichen, dass die Mitte nicht mehr so lethargisch ist, wie sie es schon einmal war, und die Lehren aus Weimar ernst nimmt. Die Nationalsozialisten kamen auch an die Macht, weil zu viele das haben geschehen lassen. Weil sie dachten, die entzaubern sich selbst. Das war ein Fehler und wir haben gelernt: Wehret den Anfängen! Und über die Anfänge sind wir schon hinweg, wenn Menschen auf einer Wannseekonferenz 2.0 über Remigration reden und damit nichts anderes als eine ethnische Säuberung meinen. Deshalb bin ich nicht nur als Politiker, sondern auch als Mensch mit Migrationshintergrund dankbar, dass Millionen gegen Rechtsextremismus auf die Straßen gehen.
RUTH MÜLLER: Es ist auch ein Signal an all jene, die mit der AfD sympathisiert und deshalb Aussagen ihrer Vertreter immer wieder relativiert haben. Sie können jetzt nicht mehr darüber hinwegsehen, dass Relativieren nichts bringt. Sie werden zurückgeholt in den demokratischen Konsens und in die demokratische Mitte. Die Demonstrationen stärken den Zusammenhalt der Demokraten. Mehr Zusammenhalt würde ich mir ehrlich gesagt auch von Markus Söder, Hubert Aiwanger und Friedrich Merz wünschen, weil sie mit ihren Worten durchaus viele Grenzen verschoben haben.
Warum SPD-Generalsekretär Nasser Ahmed die AfD als die "neuen Nazis" bezeichnen will
Für Ihren Parteichef Florian von Brunn sind die Politiker der AfD die "neuen Nazis". Ist das die richtige Sprache, wenn es eigentlich darum gehen sollte, enttäuschte Wähler von rechts außen in die politische Mitte zurückzuholen?
AHMED: Auf der einen Seite stehen die politischen Funktionäre der AfD. Sogar für den Verfassungsschutz gelten weite Teile der AfD als gesichert rechtsextrem. Dazu zählen so prägende Figuren wie der Thüringer Landeschef Björn Höcke, den man ungestraft einen "Faschisten" oder "Nazi" nennen darf. Dann muss man das Kind auch beim Namen nennen, weil dann auch keiner mehr eine Ausrede haben sollte, diese Partei aus welchen Gründen auch immer zu wählen. Auf der anderen Seite stehen natürlich die Wählerinnen und Wähler der AfD. Unter ihnen sind auch Menschen, die vorher mal die SPD gewählt haben. Die wollen wir zurückgewinnen.
Was gar nicht so einfach ist...
AHMED: Es wäre ein absoluter Fehler, aus Frust Faschisten zu wählen. Ein Blick in deren Programm zeigt nicht nur ihre rechtsextreme Gesinnung, sondern auch, wie wenig sie für Arbeitnehmerfragen übrig haben. Wer dem Mittelstand angehört und vielleicht Abstiegsängste hat, wählt hier gegen die eigenen Interessen. Das gilt es deutlich zu kommunizieren.
Ruth Müller verspricht einen "engagierten Europawahlkampf" der SPD
Bei der bevorstehenden Europawahl ist eine der entscheidenden Fragen, wie stark Rechtsextreme und Rechtspopulisten zulegen werden. Rückt die Europäische Union im Juni weiter nach rechts?
AHMED: Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, das zu verhindern.
MÜLLER: Wir werden einen sehr engagierten Europawahlkampf führen. Es ist ja kein Geheimnis: Die Landtagswahlen sind nicht so ausgefallen, wie wir uns das als SPD vorgestellt haben. Das hat bei unseren Mitgliedern natürlich für Enttäuschung und Frust gesorgt. Deshalb dachte ich, dass es schwierig wird, sie wieder für den Europawahlkampf zu mobilisieren. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Genossen wollen jetzt wieder raus und möglichst viele Menschen erreichen und überzeugen, erstens, wählen zu gehen, und zweitens, nicht Rechtsextremen mit Deportationsfantasien ihre Stimme zu geben.
AHMED: Viele wichtige Fragen, die national diskutiert werden, sind eigentlich europäische Themen. Die Agrarpolitik ist der größte Haushaltsposten der Europäischen Union. Wenn man etwas bewegen will, dann sollte man für ein fortschrittliches, das heißt, ein sozialdemokratisch und grün dominiertes Parlament sorgen und damit vielleicht auch einen neuen Kommissionspräsidenten ermöglichen. Mit solchen Botschaften ist es manchmal schwierig, in der Öffentlichkeit durchzudringen. Europäische Politik ist sehr komplex. Aber wir als SPD sind glühende Europa-Anhänger und das gilt es zu vermitteln.