Bayern mit schwerer Kritik am neuen EU-Asylrecht: "Das wird eine Katastrophe"

Die EU-Staaten haben sich auf eine Reform des Asylrechts geeinigt – die Möglichkeiten, Asylbewerber mit geringer Bleibechance wieder abzuschieben, wurden dabei deutlich ausgeweitet.
Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat ist skeptisch, ob der Europäischen Union damit der große Durchbruch gelungen ist. Warum er vielmehr mit einer "Katastrophe" an den EU-Außengrenzen rechnet, verrät der Soziologe – der an der Ludwig-Maximilians-Universität in München studierte – im AZ-Interview.
AZ: Herr Dünnwald, was halten Sie von den geplanten einheitlichen Asylverfahren an den EU-Außengrenzen?
STEPHAN DÜNNWALD: Das wird eine Katastrophe sein. Wir sehen jetzt schon, dass Asylverfahren in Griechenland oder Spanien nicht funktionieren. Da gibt es keine Anwälte oder die Menschen werden nicht über ihre Rechte informiert. Wir bezweifeln, dass an den EU-Außengrenzen rechtsstaatliche Prinzipien gelten – das ist eine Scharade. Zumal jeder einzelne Mitgliedsstaat seine Nachbarstaaten, die oft Transitländer sind, als sicher deklariert. Griechenland behauptet das über die Türkei, obwohl von dort aus Afghanen abgeschoben werden.

Wie schnell kann ein Asylgrund aus Ihrer Sicht geprüft werden?
Die Schnellverfahren sollen innerhalb von zwölf Wochen geschehen. Ich bezweifle, dass die Verfahren in zwölf Wochen machbar sind, von einer gerichtlichen Überprüfung ganz abgesehen. Wir sehen ja, wie lange das sehr gut und mit Tausenden Mitarbeitern ausgestattete Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dafür braucht.
Migrations-Experte Stephan Dünnwald: "Wir sind verpflichtet, Geflüchtete aufzunehmen"
Rechnen Sie damit, dass noch weniger Länder künftig Flüchtlinge in der EU aufnehmen, weil sie sich künftig freikaufen können?
Das Problem wird sein, dass künftig nicht weniger Flüchtlinge kommen. Aber sie werden künftig illegal, und nicht als Flüchtlinge kommen. Arbeitskräfte werden ja gesucht. Wir werden mehr Schwarzarbeit und eine heftige Kriminalisierung erleben. Das ist jetzt schon Praxis, auch in Deutschland. Durch die Abschiebungen in den Irak geschieht das derzeit bereits. Es ist eine Illusion, dass Menschen, die abgeschoben werden sollen, zurückgehen. Sie gehen dann in die Illegalität. Da werden viele Folgeprobleme, beispielsweise die gesundheitliche Versorgung, Ausbeutung und Schwierigkeiten beim Schulbesuch der Kinder geschaffen.
Dennoch wollen zwei Drittel der Deutschen, dass Deutschland weniger Flüchtlinge aufnimmt. Soll sich die Regierung nicht daran orientieren?
Man muss sich ansehen, wo die Verpflichtungen liegen und das ist die Genfer Flüchtlingskonvention, die nicht nur Deutschland, sondern auch alle anderen EU-Staaten ratifiziert haben. Wir sind verpflichtet, Geflüchtete aufzunehmen, so wie wir Steuern zahlen müssen, und uns an die Verkehrsregeln halten müssen. Im vergangenen Jahr wurden Geflüchtete zum Sündenbock für alles gemacht: fehlende Wohnungen, überlastete Behörden, Kitaplätze, Zahnarzttermine. Wenn wir uns erinnern, wie heftig die CSU die Einrichtung und Finanzierung von Kitas bekämpft hat, dann können wir nicht sagen: Daran sind die Flüchtlinge schuld.
"Wir brauchen eine ordentliche Diskussion und nicht nur den Slogan 'Es kommen zu viele'"
Es gibt offenbar viele Länder, die sich darum drücken.
Ja, die gibt es. Ebenso, wie es viele Politiker und Landräte gibt, die sich um dieses Thema drücken wollen. Aber das ist doch keine Haltung für die Gegenwart! Ich finde das unanständig. Es wird unterschlagen, dass wir verpflichtet sind, Flüchtlinge aufzunehmen und ordentlich zu versorgen. Wir können uns kein Beispiel an Bulgarien nehmen – das kann doch für die Bundesrepublik Deutschland kein Maßstab sein! Zumal wir einen sehr dringenden Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel haben: Wenn der Supermarkt nicht mehr aufmacht, weil es niemanden mehr gibt, der die Sachen in die Regale räumt. Wir brauchen eine ordentliche Diskussion und nicht nur den Slogan "Es kommen zu viele". Ein Beispiel: Da wird immer von "illegalen Migranten" gesprochen. Das stimmt aber nicht, weil das Menschen mit Anspruch auf ein Asylverfahren sind, zum Teil auch mit Anspruch auf Asyl – etwa Menschen aus Afghanistan.