Bayern gegen Brüssel: Zoff ums Geld
Brüssel - Die einen sehen es als "Juwel", ein Stück Bayern inmitten der Herzkammer der Europäischen Union. Für die anderen ist es ein Zeichen von Edmund Stoibers Übermut, sie nennen es spöttisch "Schloss Neuwahnstein": die Vertretung des Freistaats Bayern in Brüssel, seit 2004 einen Steinwurf entfernt vom EU-Parlament. Im Prunkpalast feiert sich Bayern nicht nur beim Oktoberfest nach Wiesn-Vorbild regelmäßig selbst - Diskussionsrunden eignen sich auch dazu, den EU-Vertretern die freistaatliche Meinung zu geigen.
Zu denjenigen, die kein Blatt vor den Mund nehmen, gehört Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw). Am Mittwochabend hatte die vbw bei fränkischem Wein und Rahmschwammerl mit Semmelknödel zu einer Podiumsdiskussion in das Marstallgebäude der bayerischen Vertretung geladen, Brossardt hatte einiges loszuwerden.
Kritik der Kommission: "Unternehmen sind keine Sparkassen"
Es geht ums liebe Geld. Dem 58-Jährigen stinkt es, dass Partnerländer und die europäische Kommission regelmäßig die wirtschaftliche Stärke Deutschlands und den hohen Handelsbilanzüberschuss monieren. Brossardts Ärger richtet sich vor allem gegen EU-Kommissar Pierre Moscovici.
"Die Kritik ist absurd", schimpft Brossardt in Richtung von Moscovicis stellvertretendem Kabinettschef Reinhard Felke, der sich anstatt des verhinderten Kommissars in die Höhle des bayerischen Löwen traut. "Unternehmen sind keine Sparkassen", hatte Felke über zu hohe Ersparnisse und zu wenige Firmeninvestitionen geklagt.
Brossardt lässt diesen Vorwurf nicht auf sich sitzen. "Deutschland ist die Wirtschaftslokomotive in Europa", sagt der vbw-Hauptgeschäftsführer. Eine Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft würde die EU-Partner schwächen und Arbeitsplätze kosten.

Eine Prognos-Studie, welche die vbw in Auftrag gegeben hat, untermauert Brossardts These. Würde Deutschland weniger exportieren und so das Bruttoinlandsprodukt bis 2020 stagnieren, könnte die Wirtschaftsleistung der anderen Länder um 13 Milliarden Euro sinken. EU-weit hängen 4,9 Millionen Jobs an der deutschen Wirtschaft - Hunderttausende könnten wegfallen.
Mit seinen Ansichten steht EU-Ökonom Felke an diesem Abend alleine da - weil Bertram Brossardt auch Unterstützung von Angelika Niebler erhält, Vorsitzende der CSU-Europagruppe. "In Deutschland wird nicht zu wenig investiert", schmettert Niebler die Aussagen von Felke ab. "Mit dem Vorwurf führt die EU-Kommission unsere Firmen vor!"
Elf, zwölf Wirtschaftsvertreter im Publikum applaudieren - in der ersten Reihe schüttelt ein Politiker den Kopf: Ismail Ertug, SPD-Europaabgeordneter aus der Oberpfalz. "Deutsche Firmen haben bis zu 600 Milliarden Euro verbrannt, weil sie während der Krisenjahre falsch angelegt haben", grantelt Ertug. "In spanische Immobilien etwa." Immer wieder muss er sich zurückhalten, der SPDler hätte gerne auf dem Podium mitdiskutiert, sich auf die Seite von Felke geschlagen. Ohne Einladung ist das schwierig.
Dafür plaudert Ertug im Anschluss an die Diskussion lange mit den Gästen - sehr lange für einen Sozialdemokraten im Schlösschen der bayerischen Staatsregierung.