Bayerische Landespolitik: So turbulent war 2015

München - Über weite Strecken schafften es die CSU und ihr Ministerpräsident Horst Seehofer sogar, die bundespolitische Szene zu bestimmen. Nicht durch den G7-Gipfel in Elmau im Juni. Der lief dank eines gewaltigen Polizeieinsatzes ab wie am Schnürchen. Innenminister Herrmann ließ für jeden potenziell gewalttätigen Demonstranten gefühlte 50 Polizeibeamte antreten. Die wolkigen Resultate waren schnell vergessen, etwas länger wurde noch über die Kosten in dreistelliger Millionenhöhe gestritten.
Die innenpolitische Debatte in Deutschland bis zum Jahresende zu bestimmen gelang CSU-Chef Seehofer, nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel im Spätsommer Tausende Flüchtlinge aus Ungarn einreisen und ihr inzwischen zum Kult gewordenes „Wir schaffen das“ vom Stapel gelassen hatte. Seither tobt in der Union ein Streit zwischen den Obergrenzlern und den Reduzierern. Ein Höhepunkt war der CSU-Parteitag im November in München als Seehofer das Grußwort der Kanzlerin in ihrer Anwesenheit mehrere quälende Minuten lang kritisierte. So wenig Union war schon lange nicht mehr.
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Wenige Wochen lang stand der Münchner Hauptbahnhof im Mittelpunkt des bundesweiten Interesses. Dann verlagerte sich das Flüchtlingsgeschehen an die bayerisch-österreichische Grenze, wo an Spitzentagen bis zu 13 000 Asylsuchende eintrafen. Zeitweise sorgte der durch Österreich geschleuste Flüchtlingsstrom zu erheblichen Verstimmungen zwischen München und Wien.
Aufnahme und Integration der Flüchtlinge, aber auch verstärkte Sicherheitsanstrengungen nach den Terroranschlägen von Paris ließen den bayerischen Nachtragshaushalt überproportional anschwellen. Dennoch will Finanzminister Markus Söder (CSU) am ausgeglichenen Haushalt nicht rütteln lassen.
Die Zahlung von 1,3 Milliarden Euro aus Österreich im Zuge eines Kompromisses um den Streit zwischen der Bayerischen Landesbank und ihrer ehemaligen Tochter HGAA sorgten für leichte Entspannung an der Finanzfront. Ministerpräsident Seehofer bekräftigte das Ziel, den Freistaat bis 2030 schuldenfrei zu machen. Helfen soll dabei auch der Kompromiss der Länder über die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs, der Bayern um mehr als eine Milliarde Euro jährlich entlasten soll.
Gegenüber diesen Herausforderungen verblassten die sonstigen landespolitischen Themen und Skandale, die unter normalen Umständen die Gemüter mehr erregt hätten.
Eine schier unglaubliche Räuberpistole
Da war zum Beispiel der Streit um die Stromtrassen. Bayern wolle nur eine neue Trasse akzeptieren, hieß es im Januar. Im Juni gab es die Nachricht: Probleme gelöst, die Kabel verschwinden an allen heiklen Abschnitten unter die Erde. Was das wem am Ende kostet, ist freilich noch nicht absehbar. Am 27. Juni wurde das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld abgeschaltet. Auch die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft gibt Entwarnung: Die Versorgungssicherheit ist nicht gefährdet, aber der Strom ist zu teuer.
Im August eskaliert der schon seit längerem schwelende Skandal um salmonellenverseuchte Eier aus dem Großbetrieb „Bayern-Ei“ in Niederbayern. Der Geschäftsführer wird verhaftet. Anfang Dezember platzt die nächste Bombe: Ein Amtstierarzt wird ebenfalls verhaftet. Er soll bei Vertuschungsaktionen von „Bayern-Ei“ aktiv mit geholfen haben. Verbraucherschutzminister Ulrike Scharf (CSU) muss sich im Landtag schwere Vorwürfe gefallen lassen. In der Opposition denkt man über einen Untersuchungsausschuss nach.
In der zweiten Jahreshälfte begann die Justiz mit der Aufarbeitung eines weiteren Skandals: Die ehemalige Sozialministerin Christine Haderthauer erhielt wegen Steuerhinterziehung im Rahmen der Modellbaufirma „Sapor“ einen Strafbefehl, ihr Ehemann Hubert muss sich noch weit bis ins kommende Jahr hinein vor Gericht verantworten (die AZ berichtete mehrmals exklusiv).
Das Wort vom „Untersuchungsausschuss“ fiel auch in Zusammenhang mit einer schier unglaublichen Räuberpistole unter Verwicklung des bayerischen Landeskriminalamts. Ein V-Mann soll sich mit Billigung oder sogar Aufforderung an Straftaten im Rockermilieu beteiligt haben. Mit im Visier: Innen-Staatssekretär Gerhard Eck (CSU), der mit Auskünften zu dem Fall gegenüber dem Landtag zumindest sehr zurückhaltend war.
Magere Ergebnisse auf den Parteitagen für Seehofer und Pronold
Für die Vorsitzenden der beiden großen Parteien CSU und SPD hielt sich die Freude in diesem Jahr in Grenzen. CSU-Chef Horst Seehofer, der vorübergehend einen müden Eindruck machte, erhielt auf dem jüngsten Parteitag nur magere 87,2 Prozent bei der Wiederwahl. Viele Delegierte nahmen am Wahlgang gar nicht teil. Noch schlimmer erging des dem Chef der bayerischen SPD Florian Pronold, der auf einem Landesparteitag im Juni nur 63,3 Prozent der Stimmen erhielt – im Gegensatz zu Seehofer allerdings gegen einen 71-jährigen Herausforderer.
Pleiten und Pannen musste Seehofer auch von der Bundespolitik kassieren: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erklärte das von der CSU durchgesetzte „Betreuungsgeld“ auf Bundesebene für verfassungswidrig. Umgehend wurde es in Bayern eingeführt. Die Pkw-Autobahnmaut, ebenfalls ein CSU-Projekt, wurde erst einmal von der EU-Kommission gestoppt.
Ein schwieriges Thema mit erheblichem Konfliktpotenzial schleppt die CSU ins neue Jahr hinüber: Es geht um den Bau einer umstrittenen dritten Startbahn am Flughafen München. Eine Mehrheit der Fraktion und wichtige Mitglieder des Kabinetts haben sich dafür ausgesprochen, Ministerpräsident Seehofer scheint eher anderer Ansicht zu sein, hält aber mit seiner Position eisern hinter dem Berg.
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Und die Landtags-Opposition? Von den Mega-Ereignissen überrollt tat sie sich schwer, Gehör zu erlangen. Gar nicht gut erging es den Freien Wählern. Sie rutschten nicht nur in der Wählergunst ab, zwei ihrer 19 Landtagsabgeordneten, Günther Felbinger und Bernhard Pohl, bekamen es 2015 auch noch mit dem Staatsanwalt zu tun.
Dasselbe passierte kurz vor Jahresbeginn auch noch dem CSU-Landtagsabgeordneten und früheren Umweltminister Otmar Bernhard. Der ehemalige CSU-Fraktionsvorsitzende Georg Schmid wurde am 18. März wegen Sozialbetrugs und Steuerhinterziehung zu 16 Monaten Gefängnis zur Bewährung verurteilt.
Wo bleibt das Positive? Die Münchner sollen nach 13 Jahren Suche endlich einen neuen Konzertsaal bekommen – auf dem Gelände einer ehemaligen Knödelfabrik. Die Grundsatzentscheidung traf am 8. Dezember der Ministerrat. Doch vor allem bei den München-fernen Landespolitikern hält sich die Freude darüber, dass der Freistaat dafür tief in die Tasche greifen will, in Grenzen.