Barocker Gipfel von Merkel und Medwedew
MÜNCHEN/MOSKAU - Deutschland und Russland treffen sich - überschattet von der Ermordung der Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa: „Sie hat Dinge getan, die sonst niemand wagte“
Die prachtvolle optische Kulisse hätte auch aus St. Petersburg stammen können – doch es war Schloss Schleißheim vor den Toren Münchens, wo sich Russlands Präsident Dmitri Medwedew und die deutsche Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag trafen: zu den deutsch-russischen Regierungskonsultationen. Gesprächsstoff hatten beide mehr als genug – und am Ende kam wie stets ein Geben und Nehmen heraus.
Die Deutsche lobte das Magna-Konzept für die Opel-Übernahme (an dem Russland beteiligt ist). Siemens und der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport freuen sich über Aufträge, im Gegenzug bekamen die Russen wertvolle Schlösser-Interieurs aus dem 18. Jahrhundert zurück. Ein deutscher Soldat hatte sie im Krieg gestohlen.
Tot im Straßengraben
Eine Rolle in den Gesprächen spielte auch der Mord an der russischen Menschenrechtsaktivistin Natalja Estemirowa: Während sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und der russische Präsident Dmitri Medwedew trafen, hat Amnesty International eine Mahnwache veranstaltet.
Wenige Stunden nach einer Pressekonferenz über Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien war die Aktivistin in der Kaukasusregion ermordet in einem Straßengraben gefunden worden. Ob es einen Zusammenhang gibt, ist bislang unklar. Medwedew kondolierte ihrer Familie und ordnete Ermittlungen an. Merkel sagte in München, sie habe im Gespräch mit ihrem Gast „ihrer Bestürzung Ausdruck verliehen“.
Eine Freundin von Anna Politkowskaja
Wie ihre 2006 ermordete Freundin Anna Politkowskaja galt Estemirowa als Kämpferin für die Menschenrechte im Nordkaukasus und schrieb Berichte für die regierungskritische Zeitung „Nowaja Gaseta“. Nun fordert Amnesty International „eine klare Stellungsnahme der russischen Regierung zu den Morden an Menschenrechtlern in Russland“.
„Sie hat die schrecklichsten Verstöße wie Massenhinrichtungen dokumentiert“, sagte Tatjana Lokischina von Human Rights Watch. „Sie war ein Schlüsselkontakt für ausländische Journalisten und internationale Organisation. Sie hat Dinge getan, die sonst niemand zu tun wagte.“
"Ich bringe keine Frauen um"
Estemirowa hatte auch immer wieder über Übergriffe der pro-russischen tschetschenischen Regierung berichtet und den Präsidenten Ramsan Kadyrow als Kriegsverbrecher bezeichnet. Der wies jede Schuld an dem Mord zurück: „Ich bringe keine Frauen um.“
In Russland wird der Fall Estemirowa klein gehalten: „Die Presse steht unter dem Einfluss des Kremls. Nachrichten über die ermordete Aktivistin sind nicht erwünscht“, berichtet der Russlandexperte Boris Reitschuster. Estemirowas Tod war den russischen Zeitungen nur eine kurze Nachricht auf den hinteren Seiten wert. Vielen Russen wissen nicht einmal, wer die mutige Menschenrechtlerin war.ff