Barley über Kaili: "Sie war immer schräg"

AZ-Interview mit Katarina Barley. Die 54-jährige SPD-Politikerin ist seit 2019 Abgeordnete im EU-Parlament. Die Juristin ist dort eine von 14 Vizepräsidenten und -präsidentinnen. Zuvor war sie Bundesjustizministerin.
AZ: Frau Barley, viele Menschen reagieren sehr wütend auf den Korruptionsskandal im EU-Parlament. Was antworten Sie den Bürgern?
KATARINA BARLEY: Ich kann den Ärger verstehen. Die Geschichte ist wirklich abscheulich, wie aus einem James-Bond-Film. Aber da, wo Menschen arbeiten, passiert leider oft auch Korruption - und die müssen wir aus dem Parlament herauskriegen. Diese Woche muss auch der Anfang von etwas Heilendem sein, obwohl das jetzt ein schwacher Trost ist.
"Kaili zieht den Ruf all derer, die anständig arbeiten, in den Dreck"
Wie haben Sie die Stimmung diese Woche in Straßburg im Kreis der Abgeordneten erlebt?
Es war furchtbar. Alle sind völlig fassungslos. Ich habe mit einer Abgeordneten-Kollegin gesprochen, die gut bekannt war mit Eva Kaili. Sie hätte es sich im Leben nicht vorstellen können, dass Kaili zu Hause Geld hortet. Aber natürlich werden im Rückblick einige Dinge klarer. Die Kollegin war zum Beispiel verwundert über Kailis Lebensstandard. Einmal habe sie ihr Hotels in Athen empfohlen, wo die Nacht 700 Euro kostet. Aber wir sind auch wütend. Eva Kaili zieht den Ruf all derer, die anständig arbeiten, in den Dreck.

"Wir werden unsere Vorschriften weiter verschärfen"
Wie wollen Sie das Vertrauen der Menschen in die Institution zurückgewinnen?
Das Einzige, was jetzt hilft, ist, die Affäre so schnell und so unbarmherzig wie möglich aufzuklären. Und wir werden unsere Vorschriften weiter verschärfen, die jetzt schon schärfer sind als die des Bundestages. Eines ist aber auch klar: Dieser konkrete Fall hätte sich mit keiner Geschäftsordnung und keiner Transparenz- oder Lobby-Register-Regelung der Welt verhindern lassen. Leider kommt man mit den besten Verhaltensregeln nicht vorwärts, wenn jemand eine solche kriminelle Energie aufbringt, sich korrumpieren lässt, Strafgesetze bricht und einer kriminellen Vereinigung angehört. Da hilft nur das Strafrecht.
"Politisch hat Kaili in vielen Punkten keine sozialdemokratischen Positionen vertreten"
Frau Kaili war wie Sie Mitglied in der sozialdemokratischen Fraktion. Was ist da intern schiefgelaufen? Wurden Signale ignoriert?
Wir haben über wenig anderes gesprochen diese Woche. Als ich vor drei Jahren in die Fraktion kam, hörte ich schon, dass Frau Kaili eigentlich keine von uns ist. Politisch hat sie in vielen Punkten keine sozialdemokratischen Positionen vertreten. Als es beispielsweise um den Beitritt Nord-Mazedoniens ging oder es in Griechenland Konflikte zwischen ihrer Pasok-Partei und den regierenden Konservativen gab, übernahm sie jeweils die Position der griechischen Regierung. Insofern war sie immer schräg. Ich persönlich bin mehrmals mit ihr aneinandergeraten, zum Beispiel als sie den Abhör-Skandal der konservativen griechischen Regierung herunterspielte. Aber dass sie zu Hause auf Tüten voller Bargeld sitzt, war außerhalb meiner und unserer Vorstellungskraft.
Europapolitiker gefielen sich oft in der Rolle, die christdemokratische Konkurrenz zu kritisieren, weil die sich angeblich nicht ausreichend von ihren italienischen oder ungarischen Schwesterparteien distanziert habe. Nun müssen Sie sich eingestehen, dass auch bei den Sozialdemokraten nicht alles sauber läuft.
Es gibt zwar überall schlechte Menschen, aber dass wir jetzt einen solchen Fall haben, das macht es für uns wahrscheinlich noch schmerzhafter als für andere Parteien. Auch für mich persönlich ist es ein Schlag in die Magengrube. Ich fühle mich regelrecht beschmutzt.
Ein Ethikrat als unabhängige Stelle bei Korruptionsverdacht
Wie geht es nun bei den Sozialdemokraten weiter?
Wir werden intern noch einmal sehr genau prüfen, wo wir hätten was verhindern und besser machen können. Eine Untersuchungskommission wird tief graben und keinen Stein auf dem anderen lassen.
Welche Maßnahmen kann das Parlament ergreifen? Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat die Bildung eines Ethikrats zur Überwachung von EU-Institutionen ins Spiel gebracht.
Wir brauchen eine unabhängige Stelle, an die sich Menschen, die Verdachtsmomente haben oder denen etwas komisch vorkommt, wenden können - und zwar geschützt. Das kann ein Ethikrat sein. Die schon existierenden Transparenz-Regeln können wir außerdem noch verschärfen, auch wenn es bei Eva Kaili an Transparenz nicht gemangelt hat. Sie hat die Treffen mit den Kataris und anderen arabischen Regierungsvertretern ja öffentlich gemacht, von ihnen berichtet und sich auf sie berufen.
Kritiker beklagen eine "Kultur der Straflosigkeit" im EU-Parlament, die Korruption begünstige. Gibt es die tatsächlich?
Ein Strafrecht kann sich das Parlament nicht selber geben. Aber wir haben das Transparenz-Register. Interessenvertreter wollen darin eingetragen sein, weil sie sonst keinen Zugang zu den entscheidenden Leuten wie EU-Kommissaren und Parlamentsberichterstattern haben. In Deutschland gilt es dagegen für Lobbyisten eher als Brandmarkung, in einem Register eingetragen zu sein. Ich finde unseren Ansatz sehr klug, aber wir stoßen an Grenzen, weil keine strafrechtlichen Maßnahmen möglich sind. Wer gegen die Regel verstößt, dem wird nur der Zugang entzogen. Deshalb müssten wir vielleicht ein Abgeordnetengesetz schaffen. Dadurch wäre es möglich, schärfere Sanktionen einzuführen.