Barack Obama - der Panther auf dem Sprung

Der Präsident hat erst in den letzten Tagen wieder mit seinem Herausforderer gleichgezogen. Wie sich Barack Obama bei seinem kämpferischen Endspurt präsentiert
von  Adrian Prechtel
"High Five" mit dem Kleinsten. Barack Obama in Denver, wo ihn begeisterte Anhänger empfingen. Dreimal war er in den letzten Tagen in dem umkämpften "Swing State".
"High Five" mit dem Kleinsten. Barack Obama in Denver, wo ihn begeisterte Anhänger empfingen. Dreimal war er in den letzten Tagen in dem umkämpften "Swing State". © AP

Der Präsident hat erst in den letzten Tagen wieder mit seinem Herausforderer gleichgezogen. Wie sich Barack Obama bei seinem kämpferischen Endspurt präsentiert.

Denver - Die Sonne ist schon untergegangen. Es wird empfindlich kalt in Denver am Fuß der Rockies. Dort, wo die Stadt nach Osten ausfranst, wird der Verkehr dichter, sieht man plötzlich im Halbdunkel eine Menschenschlange, die sich meilenweit zwischen Niemandsland, vergilbten Grünstreifen um ehemalige Kasernengebäude zieht, die heute das Community College beherbergen. Ein bunter Haufen aller Farben und Schichten, ganze Familien müssen durch Flughafen-ähnliche Sicherheitskontrollen, bis sie auf den fast schäbigen Campus kommen, wo im grellen Flutlicht eine Tribüne vor einer großen US-Flagge aufgebaut ist.

Erst nach vier Stunden wird vor dem Halbmond am diesigen Himmel ein dunkel-brummender, schwarzer Hubschrauber auftauchen. Der Präsident naht. Zuvor hat noch ein schwarzer Pastor für seinen Sieg gebetet. Dann kommt Obama breit grinsend dynamischen Schrittes auf die Bühne. Wild werden „Forward“-Schilder geschwenkt: „Vorwärts!"

Vor vier Jahren stand auf blauem Hintergrund noch „Hope" und „Change". Aber den „Wechsel"-Slogan hat ironischerweise jetzt Mitt Romney auf die Republikanerfahnen geschrieben. Obama ist in der Defensive, er weiß das. Aber er wirkt nicht mehr abgespannt, sondern wie ein Panther, den man in die Enge getrieben hat, der jetzt noch einmal um alles kämpft – sogar mit Selbstironie.

„Ich weiß, dass Euch nicht alle meine Entscheidungen gefallen haben. Da seid ihr nicht allein. Michelle war auch nicht immer einverstanden", ruft er der lachenden Menge zu, um dann immer schneller mit heiserer, aber fester Stimme alle noch einmal einzuschwören: „Die anderen hoffen, dass ihr erschöpft und enttäuscht seid, sie hoffen, dass wir aufgeben", ruft er mit starker Stimme: „Aber wir sind schon zu weit fortgeschritten, um jetzt aufzugeben, auf dem Weg." Es soll der Weg sein für bessere Schulen, für neue Energien, ein Weg, auf dem niemand zurückgelassen wird. Innerhalb weniger Tage ist Obama dreimal in Colorado gewesen. Denn dieser ehemalige Westernstaat ist ein unsicheres Terrain für die Demokratische Partei.

New York, Flughafen JFK, drei Wochen zuvor. Der Flugraum ist gesperrt. Die majestätische, glänzend zivile, weiß-blau leuchtende Air Force One fliegt ein, der Präsident landet. Und obwohl New York eine sichere Burg für demokratische Präsidenten ist, kommt Obama angeschlagen: Denn an diesem Abend muss er beweisen, dass er es noch einmal wissen will. Und er muss zeigen, was von „Hope" und „Change" nach vier Jahren geblieben ist, nach den Bush-Jahren mit Rekorddefizit, zwei verhassten Kriegen und dem moralisch ruinierten Bild der USA in der Welt.

Aber Amerikaner sehen sich als Macher und hassen Gejammer. So haben Berater dem Präsidenten verboten, dauernd an die Erblast zu erinnern. Und so konnte Mitt Romney, der lange belächelte Mormone mit seinem brutal-marktwirtschaftlichen Vize-Kandidaten Paul Ryan, die erste TV-Debatte klar für sich gegen einen müden Präsidenten entscheiden. Wie es vor zwanzig Jahren Bill Clinton vormachte, ist Romneys Dauerthema „Jobs" und „Wirtschaft".

Dazu verstärkte Militärausgaben, weitere Steuersenkungen für Reiche, bei gleichzeitiger Defizitreduzierung – ein Rechenkunststück, das nur aufgeht, wenn man Sozialausgaben drastisch kürzt. Obamas historische Krankenversicherungsreform, jetzt ironisch „Obamacare" genannt, will er rückgängig machen.

Selbst ein Großteil der jetzt zum ersten Mal krankenversicherten Amerikaner lehnt die Versicherungspflicht ab. Der „American Way of Life" verlangt Eigenverantwortung – auch von den Chancenlosen – und sei es um den Preis von Leben und Tod.

Hier in Long Island ist die zweite TV-Runde, 70 Millionen US-Bürger werden am Ende das TV-Duell verfolgt haben – wie hier in Harlem, dem lange verrufenen Viertel. An der Lennox Avenue, die Irving Berlin schon 1929 in seinem Song „Puttin’ on the Ritz" feierte, haben wieder die ersten schicken Bars und Restaurants eröffnet. Kurz vor 21 Uhr im Corner Social, einem Pub: Der Laden ist voll mit Studenten, Yuppies, Schönheiten, man sieht sogar einige der so auffallend seltenen gemischten Paare – er weiß, sie schwarz. Die ganze Bar hat sich zum großen Flachbildschirm ausgerichtet.

Als Obama auf dem Bildschirm die Studiobühne der Hofstra Universität in Hampstead betritt, bricht unfassbar lauter Jubel aus. Hier ist die Sache klar: Wenn Obama das Wort ergreift, wird er angefeuert, wie bei einem Boxkampf, „Go, Go, Go!" Wenn er einen Treffer landet: begeistertes Gejohle. Und wenn er droht, einen Fehler zu machen, zischen hier Zweihundert, um ihn zu warnen.

Hier, in Harlem und in ganz New York ist die Wahl für Obama gewonnen. Das war schon vor „Sandy“ so. Dass der Präsident die Krise nach dem Sturm gut gemanagt hat, unter dem lauten Applaus des republikanischen Gouverneurs von New Jersey, war zusätzlicher Schub für Obama. Ob es aber reicht?

Bis weit in den heutigen Wahltag tourt der Präsident durch die politisch unsicheren „Swing States". Er kämpft, und seine eigene Stimme hat er auch schon. Obama hat „Early Voting" gemacht, ist in sein Wahllokal in Hyde Park gegangen, dem schönen gemischt bürgerlichen Universitätsviertel von Chicago, hat lachend seinen Personalausweis vorgezeigt und gewitzelt, ja, er sei die Person auf dem Passfoto, auch wenn er jetzt, als Präsident mit 51 Jahren, viel grauere Haare bekommen habe.

In der Nachbarschaft hängen viele Sympathie-Plakate: „Wir stehen hinter Ihnen!" ist ein Slogan, das Bild Obama mit Frau und Töchtern. 98 Prozent der Amerikaner, die sich selbst als „colored", „schwarz" bezeichnen, sind für Obama.

Auch an der Westküste sieht es nicht schlecht aus: Kalifornien hatte sich zwar für acht Jahre hinter den konservativen Ex-Österreicher Arnold Schwarzenegger gestellt, aber bei Präsidentschaftswahlen ist man hier seit langem fest demokratisch. Das universitäre Berkeley in der Bucht von San Francisco ist ein besonders liberaler Ort. In den Vorgärten werben die Bürger für ihre Überzeugungen: „Yes on Proposition 34“ steht da auf in den Boden gesteckten Hochglanz-Schildern. Denn in den USA dürfen die Bürger über fast alles abstimmen: Steuererhöhungen für bessere Schulen stehen auf der Abstimmungsliste, der Chef der öffentlichen Verkehrsmittel oder der Sheriff sind hier Wahlämter, über die der Bürger entscheiden kann.

Eine Mehrheit für „Proposition 34" wäre ein großer zivilisatorischer Fortschritt für Kalifornien: Er sieht die Abschaffung der Todesstrafe im Sonnenstaat vor. Im Fernsehen laufen fast ununterbrochen privat finanzierte Wahl-Werbeeinblendungen. Eine Milliarde Dollar haben allein die TV-Spots der verschiedenen Unterstützergruppen an Wahlkampfgeldern verschlungen.

Zuletzt, da das Rennen irritierend knapp geworden ist, wurde noch einmal die ganze Energie und das ganze Geld in die unsicheren „Battleground States“ gepumpt. 270 Wahlmänner braucht man, um Präsident zu werden. Romney und Obama können sicher auf jeweils rund 200 zählen. Viele erwarten eine Zitterpartie wie 2000, als tagelang unklar blieb, wer Florida gewonnen hatte und damit die entscheidenden 29 Wahlmänner. Am Ende musste der – konservativ dominierte – Oberste Gerichtshof entscheiden. Er gab George Bush den Sieg. Besondere Ironie damals: Gore hatte landesweit mehr Stimmen als Bush. Ein geraubter Sieg.

Wenn diesmal Stunde für Stunde von der Ost- zur West-Küste über die Zeitzonen hinweg die Ergebnisse aufblitzen, wird vielleicht Colorado – mit Nevada, der westlichste Swing State – erst spät in der Nacht das Schicksal Amerikas entscheiden. Bei uns ist dann schon Tag.

 

 

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