AZ-Reportage: Die Suche nach der Alternative

München - Ein schmuckloser Saal in Pasing, ein bisschen Holzverschalung an den Wänden, viele blau-rote Plakate. Auf der Bühne steht ein gut gelaunter Björn Höcke. Die AfD München hat den Thüringen-Chef der selbst ernannten Alternative für Deutschland eingeladen. Der 43-Jährige lächelt, der Saal ist voll, die Partei spricht von 350 Gästen, schon vor seiner Rede gibt es ermunternden Beifall.
Es ist Oktober 2015, Monate vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz, die an diesem Wochenende stattfinden. Wahlen, nach denen die AfD in drei Parlamenten mehr vertreten sein wird. Eine Partei auf Erfolgskurs, die viele Rätsel aufgibt, versucht man, sich ihr anzunähern.
Zurück nach Pasing, zu Höcke. Kurz zuvor war der umstrittene Rechtsaußen der AfD bei Günther Jauch aufgetreten – mit einer Deutschlandflagge. Höcke greift das gleich zu Beginn seiner Rede auf. Der Auftritt sei provokant gewesen, sagt er. Aber: „Ich glaube wir müssen als AfD im Augenblick provozieren.“
Es gibt in Höckes Rede an diesem Abend weitere, altbekannte Versatzstücke. Die Merkel-Kritik, die Rede vom „Asylchaos“. Es ist jedoch die Passage über die Provokation, die in Bezug auf die AfD, vor allem in Bayern und München, interessant ist. Beschreibt er doch gut den argumentativen Raum, in dem sich die AfD bewegt.
Die AfD schwankt zwischen bürgerlich und extrem
Was ihre Politiker sagen, bewegt sich gewissermaßen auf der Schwunglinie eines Pendels zwischen bürgerlich und extrem. In der Partei sitzen Menschen, die einst bei CSU, FPD oder sogar der SPD waren. Aber auch Politiker, die früher bei radikalen Organisationen wie dem „Bund freier Bürger“ mitliefen oder noch heute antisemitisch angehauchte Vorträge halten (siehe unten).
Bei der AfD lässt man das geschehen. Oder zumindest gibt es keinen Aufschrei, keine Empörung. „Höcke einzuladen, war ein deutliches, politisches Signal“, sagt Robert Andreasch vom Antifaschistischen Archiv Aida. Vor allem seit AfD-Gründer Bernd Lucke vergangenen Juli die Partei verlassen hat, ist der Ton schärfer geworden: „Die AfD fühlt sich nicht mehr verpflichtet, sich zurückzuhalten.“ Nach außen gebe sich die Partei bürgerlich: „Aber Bürgerlichkeit heißt ja nicht, dass man keine radikalen Inhalte vertritt.“
# Ulrich Neymeyr (50), Vize-Vorsitzender des Kreisverbands München-Süd, sieht sich nicht als radikal. Eher als konservativ-bürgerlich. Laut einer Studie der Hanns-Seidel-Stiftung vom Januar sehen sich die meisten Parteimitglieder so. Wenn sie auch seit dem Fortgang Luckes die Partei weiter rechts verorten als vorher.
Höcke würde der Partei seiner Meinung nach eher schaden, sagt Neymeyr: „Ich kann seinen Thesen eigentlich nicht folgen. Manches ist so provokativ, dass es sich als Rassismus interpretieren lässt. Und sollten das wirklich Höckes Ansichten sein, dann ist das verurteilenswert.“
Pegida findet der Patentanwalt „komplett nicht akzeptabel“. Beim vergangenen „Montagsspaziergang“ stand trotzdem ein AfD-Mitglied auf der Pegida-Bühne und warb für eine Parteiveranstaltung. Für Neymeyr fällt das unter das Recht der freien Meinungsäußerung. Die Veranstaltung erscheint auch als Werbeanzeige auf dem islamfeindlichen Portal „PI-News“ von Michael Stürzenberger.
Die NPD will die AfD infiltrieren: Bei der AfD ist man nicht begeistert
Michael Groß (60), Vorsitzender des Kreisverbands München-Nord äußert sich lieber nicht direkt zu Pegida. Der IT-Berater erzählt dann doch, dass er einmal als Beobachter bei einer Demo war und schockiert gewesen sei. Darüber, dass die Gegendemonstranten Pegida am marschieren gehindert haben. „Ich fand es nicht okay, dass die genehmigte Demonstration durch Gegendemonstranten rechtswidrig blockiert wurde.“
Auf die Radikalen in ihrer Partei angesprochen, verweisen beide auf ihr strenges Aufnahmeverfahren. Ende Januar stieß der Verfassungsschutz auf ein Video, in dem ein NPD-Funktionär Parteimitglieder aufforderte, Kontakt zur AfD aufzunehmen – sollten die Nationalen verboten werden. „Extremisten wie NPDler haben bei uns keine Chance“, sagt Neymeyr.
Wer mit seinen Ansichten der Partei schade, könne und werde ausgeschlossen.
Wilfried Biedermann, einst im „Bund freier Bürger“ ist aber immer noch Kreisvorstand in München-Ost. Der Bund existierte bis 2000, war erst eine rechtspopulistische Splitterpartei, wurde immer radikaler und schließlich vom Verfassungsschutz beobachtet.
Ebenfalls aktiv bei der AfD München-Ost: Thomas Fügner, der Januar 2015 bei Mügida mitgelaufen ist. Beides hat keine sichtbaren Konsequenzen.
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Die Partei ist kaum sichtbar, aber ständig präsent
Die AfD ist eine Partei, mit der man sich als Journalisten schwertut. Nicht nur, weil die Parteifunktionäre ausweichende Antworten geben, wenn es um Extreme geht.
Zu Medien hat man bei der Alternative ein kompliziertes Verhältnis. Man bedient sie zwar, lehnt sie aber eigentlich ab. „Ich lese mittlerweile kaum mehr klassische Medien, weil ich mich nicht objektiv informiert fühle“, sagt Groß. Sein Kreisverband empfiehlt auf seiner Webseite die „Junge Freiheit“. Ein konservatives Medium, sagt Groß. Das Leitmedium der Neuen Rechten, sagen Menschen wie Stephan Braun (SPD), Referent bei der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Die Partei ist kaum sichtbar und doch ständig präsent. Acht Prozent würden sie derzeit in Bayern wählen, heißt es im Bayern-Trend des BR vom Januar.
Ihr Personal kennt kaum jemand. „Die müssten gar nichts tun und würden trotzdem bei acht Prozent stehen“, sagt André Wächter, der für Alfa im Münchner Stadtrat sitzt. Der 43-Jährige hat die AfD vergangenes Jahr verlassen und ist mit Bernd Lucke in dessen neu gegründete Partei gewechselt. Wie viele in der Führungsebene der „alten“ AfD.
Bei den vier Kreisverbänden in München ist lediglich ein Vorsitzender gleich geblieben, im Süden. Bei den anderen Verbänden rückten Funktionäre auf oder es kam neues Personal. „In München ist eine neue Partei entstanden“, sagt Wächter. Eine, die ihm zu rechtspopulistisch ist.
Nach Köln hat die Partei Zulauf
Vielen anscheinend nicht. 500 Münchner Mitglieder hatte die AfD vor dem Spaltungsparteitag in Essen. Heute sind es wieder ähnlich viele. Bei der AfD spricht man von etwa 400. „Vor allem nach Köln hatten wir Zulauf“, sagt Groß. Zu einer Informationsveranstaltung im Februar seien 30 Interessierte gekommen. Die wöchentlichen Stammtische im Süden im Wirtshaus zum Isartal ziehen laut Neymeyr zwischen 40 und 50 Leuten an. Jedes Mal zwei bis drei neue.
Auf der Straße ist die AfD jedoch kaum sichtbar. Von Plakaten abgesehen. Sie ist eine Phantom-Partei. Im Frühling wolle man wieder aktiver werden, sagt Neymeyer. Auch mit Info-Ständen. Zum Stammtisch sei schon jetzt jeder eingeladen: „Wir haben nichts zu verbergen.“
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Einzelne Funktionäre bedienen rechte Sentiments
Mit Rechten will man bei der AfD nichts zu tun haben. Trotzdem fallen einzelne Funktionäre durch fragwürdige Aktionen auf.
- Florian Jäger (Kreisverband Dachau) war 2011 für ein halbes Jahr bei der islamfeindlichen Partei „Die Freiheit“. Er sei dort wegen der Europolitik eingetreten, sagt Jäger zur AZ. Sobald Michael Stürzenberger mehr Macht in der Partei bekommen hat, sei er ausgetreten. Seine damalige Mitgliedschaft bezeichnet er rückblickend als Fehler.
- Benjamin Nolte (KV Dachau) musste im Frühjahr 2014 seinen Posten als Vize bei der Jungen Alternative räumen – weil er in der vom Bayerischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Burschenschaft Danubia war.
- Wilfried Biedermann (Vorsitzender des KV München-Ost) war beim „Bund freier Bürger“ aktiv. Die rechtspopulistische Partei radikalisierte sich zusehends und wurde schließlich auch vom Verfassungsschutz beobachtet. 2000 löste sie sich auf.
- Ewald Stadler trat im März 2014 in einer von Biedermann beworbenen Veranstaltung auf. Stadler war in Österreich bei der rechtspopulistischen FPÖ und BZÖ aktiv. Sein Vortrag im Hofbräukeller am Wiener Platz beschäftigte sich mit der angeblichen Durchsetzung des EU-Parlaments durch Freimaurer. l Thomas Fügner (KV München-Ost) marschierte im Januar 2015 bei einer Mügida-Demonstration mit.
- Iris Wassill (KV München-Ost) hielt im Februar einen Vortrag über „Machteliten“ am Beispiel des US-Investors George Soros. Der Antisemitismus-Experte Jan Riebe von der Amadeo-Antonio Stiftung bewertet den Vortrag als strukturell antisemitisch, wenn auch Worte wie „Jude“ oder „jüdisch“ von Wassill nicht benutzt werden. Charlotte Knobloch vom Zentralrat der Juden: „Antisemitistische Ressentiments und Stereotype scheinen in diesem Vortrag unzweifelhaft durch. Es ist gefährlich, solche gefährlichen Thesen einer breiten Öffentlichkeit als Tatsachen zu präsentieren.“