AZ-Kommentar: Die EU macht sich erpressbar

AZ-Vizechefredakteur Timo Lokoschat erwartet, dass der Bundestag in Kürze auch das dritte Hilfspaket für Griechenland durchwinken wird.
von  Timo Lokoschat

Ohne Vorschläge, dafür aber mit Forderungen und gewohnt viel Pathos ist Alexis Tsipras nach Brüssel gekommen, spricht von „nationaler Würde“ und dem „Ende der Belastbarkeit“. Die Regierungschefs der Gläubigerländer fabulieren wie immer von „letzter Chance“, „letzter Frist“ und „letztem Ultimatum“. Wörter, die in den vergangenen Monaten so inflationär gebraucht worden sind, dass ihnen jegliches Druckpotenzial abhanden gekommen ist.

Kein Wunder, dass Tsipras bei jeder Gelegenheit in die Kameras lacht. Der Premier weiß aus Erfahrung, dass er am Ende doch seinen Willen bekommt – wie ein kleines Kind, das sich im Supermarkt auf den Boden schmeißt und dessen dauernachgiebige, antiautoritäre Eltern schließlich doch die Süßigkeiten aufs Laufband legen.

Dienstagnacht ist es bereits gefallen, das H-Wort. H wie Hilfspaket. Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel, von manchen Boulevardmedien zur „eisernen Kanzlerin“ stilisiert, wird in Brüssel wachsweich und bringt weitere Milliardenhilfen ins Spiel.

Wer zwischen den Zeilen liest, kann sich denken, wohin die Reise geht: Am kommenden Sonntag wird ein neues Hilfspaket auf den Weg gebracht, das dritte. Tsipras’ Rechnung geht auf – und die EU zeigt, dass sie tatsächlich erpressbar ist.

Wer sich darüber am meisten aufregt, sind nicht die großen, sondern vor allem die kleinen Länder, jene, die Reformen durchgesetzt haben und deren Lohnniveau nach wie vor weit unter dem griechischen legt. Dortige Populisten klatschen begeistert in die Hände – die nächste Wahl kommt bestimmt.

Und der Deutsche Bundestag? Wird das Hilfspaket durchwinken, gegen den Willen einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung. Daran ändern auch einzelne Abweichler a la Wolfgang Bosbach und Dagmar Wöhrl nichts. Und in einem Jahr, wenn weitere Milliarden versickert sind, geht der Zirkus von vorne los.

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