AZ-Kommentar: Der Krieg im Klassenzimmer

Da können noch so viele NS-Dokumentationszentren öffnen, noch so viele Dachau-Gedenktage stattfinden, noch so viele Kriegserinnerungen in der AZ und anderen Zeitungen veröffentlicht werden: Wenn im Jahr 2015, 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, der Ausdruck „Du Jude!“ als Schimpfwort an deutschen Schulen verwendet wird, dann ist das ein Alarmsignal und im Prinzip schlimmer als jede Demonstration Ewiggestriger.
Geht es doch darum, wie kommende Generationen sozialisiert, mit welchen Werten und Unwerten sie im Alltag aufwachsen und konfrontiert werden. Dass die grün-rote Landesregierung von Baden-Württemberg den Mut hat, auf dieses Tabu-Thema hinzuweisen, ist mindestens so wichtig wie staatstragende Erinnerungsreden, die viele Jugendliche ohnehin nicht interessieren.
Viel zu lange haben die Schulen aus falsch verstandener politischer Korrektheit weggeschaut, hetzerische Begriffe – gegen Juden, Christen und andere „Ungläubige“ – als Spielart der Jugendsprache verbrämt.
Zur überfälligen Reaktion gehört auch, dass pädagogische Konzepte an neue Gegebenheiten angepasst werden: So ist etwa der Geschichtsunterricht in Deutschland fast immer auf Schüler ohne Migrationshintergrund angelegt, erreicht zum Beispiel muslimische Jugendliche kaum.
Und natürlich muss auch jenseits der Schulen – von Verbänden, von Vereinen – am Problem gearbeitet werden. Damit der Religionskrieg wenigstens nicht im Klassenzimmer entbrennt.