AZ-Interview: So kontern Sie Hetze und Populismus

Die studierte Historikerin Franziska von Kempis (34) arbeitet als Video-Journalistin in Berlin. Als "Die besorgte Bürgerin" behandelt sie in Internet-Videos Themen wie Hass, Hetze, Verschwörungstheorien und falsche Fakten.
AZ: Frau von Kempis, die Bundesregierung hat ein Klimapaket auf den Weg gebracht. In ihrem Buch "Anleitung zum Widerspruch" geht es auch um Klimawandel-Leugner und -Skeptiker. Was würden Sie auf die These: "Deutschland kann den Klimawandel nicht allein bekämpfen" entgegnen?
FRANZISKA VON KEMPIS: Das ist ein Abwehrargument: "Den Klimawandel gibt es, aber wir können nichts tun." Wenn man sich die Fakten anguckt: Wir gehören zu den größten Verursachernationen, und müssen hier unsere Vorbildfunktion anerkennen. Und überhaupt: Wir haben uns mit dem Pariser Klimaschutzabkommen verpflichtet, unseren Klimaschutzverpflichtungen gerecht zu werden. Weiter gedacht wäre das Argument ja: Ich kann nichts tun. Dabei ist jeder von uns ein Konsument, eine Konsumentin, kann Parteien wählen, ist Teil eines Unternehmens oder einer sozialen Gruppe. Dadurch weiß man ja, dass individuelle Verhaltensänderungen Denkanstöße und Lösungen liefern können. Mal runtergebrochen: Ein Mädchen mit einem Pappschild (Greta Thunberg, d. Red.) hat die größte Jugendbewegung seit den 68ern angestoßen – dann wird ja wohl die deutsche Wirtschaft in der Lage sein, ihre Klimaziele umzusetzen.

Franziska von Kempis: "Wer Antworten sucht, kann sie finden"
Nicht schlecht. In Ihrem Buch beschreiben Sie aber, dass Sie sich oft hilflos gefühlt haben, wenn Ihnen jemand solche Totschlagargumente an den Kopf geworfen hat.
Man fühlt sich immer wieder aufs Neue hilflos. Die Absicht hinter dem Buch war auch nicht, zu sagen: Lies das, und alle deine Hilflosigkeit geht dahin. Ich wollte zeigen: Wer Antworten sucht, kann sie finden. Aber ich möchte auch anerkennen, dass es wahnsinnig schwierig ist, Antworten zu finden. Auch ich fühle mich immer noch hilflos, wenn ich ein Video oder einen Tweet poste und in den ersten Kommentaren absehbar übelste Beschimpfungen stehen oder es heißt: "Halt die Klappe".
Ist das an der Tagesordnung?
Man wird angegangen. Das ist nicht unüblich, wenn man eine Haltung hat. Aber es gibt auch die andere Seite. Leute, die schreiben: "Danke, dass du das machst, dass du mir hier eine Antwort geliefert hast." Und es gibt Leute, die dagegen halten und sagen: "Bis hierhin und nicht weiter."
Sie liefern Gegenargumente zu Klimawandel-Leugnung, Antisemitismus, Verschwörungstheorien, Islamfeindlichkeit, Gender und Geflüchteten. Warum diese Auswahl?
Bei diesen Themen wird extrem laut geschrien, und sie wirken emotional sehr stark. Außerdem sind sie ein Ausschnitt dessen, womit ich mich in den letzten Jahren sehr viel beschäftigt habe – natürlich mit dem vollen Bewusstsein, dass diese Themen-Liste nicht komplett sein kann.
Franziska von Kempis: "Es werden Gruppen aufgemacht"
Warum wirkt Populismus bei diesen Themen so stark?
Es werden Fremdgruppensysteme aufgemacht: Ich und meine Gruppe gegen eine andere. Und es wird gesagt: Ich habe die totale Ahnung und setze darauf, dass du keine Ahnung hast. Da kommt einem dann jemand mit kruden Argumenten oder mit vorgeblich wissenschaftlichen Argumentationen, in denen aber leider, leider selektiv nur ganz bestimmte Fakten herausgepickt werden, ohne sie in einen Kontext zu stellen.
Ist das eine Strategie, die Populismus ausmacht?
Ja, das nennt sich "cherry picking": Man greift sich bestimmte Fakten heraus, die super klingen, den Kontext aber überhaupt nicht berücksichtigen. Oder man beruft sich auf vermeintliche Experten und Expertinnen, die im besten Fall zwar vielleicht Professor oder Professorin sind, aber zum Beispiel gar nicht auf dem Gebiet, um das es geht. Manchmal hilft es in der Diskussion sogar mehr, solche Strategien zu durchschauen, als reines Faktenwissen anzuhäufen.

Franziska von Kempis: "Man muss Stopp sagen können"
Was hilft noch, um in eine solche Diskussion zu gehen?
Man muss den Kontext erkennen: Mit wem diskutiere ich? Was auch hilft: eigene Ziele zu formulieren. "Was erwarte ich von der Unterhaltung, was bezwecke ich? Will ich recht haben, will ich wirklich überzeugen?" Und natürlich sollte man ruhig und sachlich bleiben. Wobei sich das natürlich immer leicht sagen lässt. Mir fällt es leichter, sachlich zu bleiben, wenn ich die anderen Punkte vorher geklärt habe. Außerdem ist es ganz wichtig, rote Linien zu ziehen: Man muss Stopp sagen können und sich klar gegen bestimmte, etwa rassistische und menschenfeindliche Aussagen, abgrenzen, über die man dann auch nicht mehr diskutiert.
Haben Sie ein paar "Standardsätze" für gekonntes Kontern?
Man sollte Widerspruch immer klar formulieren, zum Beispiel mit: "Das kann ich so nicht stehenlassen". Taktisch wichtig ist, dass man nicht sofort selbst in eine moralische Haltung verfällt. Stattdessen sollte man lieber fragen: "Wie kommst du denn darauf?" Mit einer offenen Frage kann man manchmal besser entwaffnen. Was auch hilft, ist, eine persönliche Geschichte hineinzubringen.
Franziska von Kempis: Die Sache mit dem prsönlichen Angriff
Wie gelingt das?
Indem man fragt: "Was hast du denn erlebt?" Hinter pauschalen Aussagen steckt ja manchmal tatsächlich eine persönliche Erfahrung. Und wenn man dann nachfragt, hat man einen Bezugspunkt, an dem man weitermachen kann. Zum Beispiel, indem man sagt: "Das ist deine persönliche Erfahrung, aber jetzt fassen wir das mal in einen größeren Kontext".
Welche Fehler sollte man nicht machen?
Jemanden sofort zu beschimpfen oder in eine Ecke zu drängen. Es ist besser, zu sagen: "Diese Aussage finde ich rassistisch", als zu sagen: "Du bist ein Rassist." Denn damit greife ich die Person direkt an.
Also auch hier: auf Sachebene, nicht emotional diskutieren.
Genau. Ganz schwierig ist es auch, wenn man aufhört, zuzuhören – und das passiert jedem! Weil man so damit beschäftigt ist, nur zu überlegen, was man sagen muss, damit das Gegenüber einem selbst zuhört.

Franziska von Kempis: "Mir fehlt oft Transparenz"
Probieren wir das doch mal aus, mit ein paar Thesen, die Sie in Ihrem Buch behandeln: "Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, kriegen mehr Geld als die Deutschen". Was würden Sie erwidern?
Ich würde natürlich sagen, dass es sich hier um eine sehr pauschale Aussage handelt. Der Zusammenhang ist künstlich hergestellt, denn es wird suggeriert, dass, weil die einen mehr bekommen, die anderen weniger bekommen. Armut in Deutschland ist aber kein Problem, das an die Tatsache geknüpft ist, dass wir Zuwanderung haben. Außerdem stimmt die Aussage faktisch nicht. Ich verstehe aber tatsächlich, dass es hier ein Transparenzproblem gibt – weil nicht klar ist, wer eigentlich wie viel kriegt. Man muss ja immer bedenken, woraus solche Gerüchte entstehen und warum sie so viel Raum haben, sich zu entfalten.
Und warum?
Mir fehlt oft Transparenz und deutliche politische Kommunikation, um den Leuten die Fakten richtig an die Hand zu geben. Wenn ich google: "Kriegen Flüchtlinge mehr als Deutsche?", müsste doch der erste Treffer eine Seite des zuständigen Ministeriums sein, auf der eine Tabelle steht, die genau das widerlegt. Fakt ist: Sie kriegen nicht mehr. Fakt ist aber auch: Das Existenzminimum muss für deutsche Bedürftige und Geflüchtete gleichermaßen gesichert sein.
"Man sucht oft verzweifelt nach der perfekten Antwort"
Zweite These: "Junge Musliminnen bekommen das Kopftuch aufgezwungen. Das müssen Sie als westliche Frau doch auch schrecklich finden!"
Oh je, diese Diskussion habe ich schon so oft geführt, sie ist extrem ermüdend. Also: Viele Kritikerinnen und Kritiker eines Kopftuchverbots sagen, dass Verbote den Zwang nicht ändern. Denn das führt dazu, dass das Ganze ins Versteckte wandert und diese Frauen und Mädchen in Isolation gezwungen werden. Und das können wir uns in unserer Gesellschaft nicht wünschen. Wenn man das Kopftuch verbietet, werden andere Wege für den Zwang gefunden. Ich halte viel von dieser Aussage. Ich bin aber auch klar der Meinung: Wo jemand gezwungen wird, etwas zu tun, was in unserem Rechtsstaat nicht erlaubt ist, muss ihr oder ihm Hilfe angeboten werden.
Genug der populistischen Parolen. Sonst wollen Sie am Ende gar nicht mehr mit mir sprechen...
Nein, das ist natürlich in Ordnung. Ich weiß ja, dass das ein strittiges Thema ist. Aber man sucht oft verzweifelt nach der perfekten Antwort und hat sie trotzdem nicht immer parat.
Die Themenbereiche, die Sie im Buch ansprechen, lassen sich hauptsächlich dem rechten Populismus zuordnen.
Auch, aber nicht nur. Viele der Themen finden sich in allen politischen Lagern und Richtungen, Klimaleugnung zum Beispiel, aber auch Antisemitismus oder gewisse Vorbehalte gegenüber Feminismus.

"Alles immer nur in 'Rechts' und 'Links' zu teilen, ist gefährlich"
Braucht es eine Unterscheidung in Rechts- und Linkspopulismus?
Alles immer nur in "Die Linken", "Die Rechten", "Die Mitte", "Die Oben", "Die Unten" aufzuteilen, ist gefährlich, weil man sich dann darauf ausruhen und sagen kann: Das hat ja mit mir nichts zu tun, das kann bei mir nicht vorkommen. Und das halte ich für eine sehr vereinfachte Darstellung.
Aber ist Populismus von rechts aktuell nicht die größere Gefahr?
Rechtspopulismus ist eine große Bedrohung für eine liberale, offene Gesellschaft, wie ich sie mir wünsche. Ich glaube aber auch, dass populistische Ansätze, egal, wer sie verwendet, eine Bedrohung sein können.
Franziska von Kempis: "Widerspruch ist Teil der Meinungsfreiheit"
Wird es – auch vor dem Hintergrund, dass Populismus europaweit ein Problem ist – künftig noch wichtiger, zu widersprechen?
Widerspruch ist Teil der Meinungsfreiheit. Die haben wir in diesem Land zum Glück, auch, wenn immer wieder beklagt wird, dass sie angeblich beschnitten würde – was absolut nicht stimmt. Und natürlich müssen wir uns immer dagegen stellen, wenn die Demokratie in Gefahr ist, wenn Menschen niedergemacht, würdelos behandelt und falsche Informationen dazu verwendet werden, um im schlimmsten Fall – wie beim Klimawandel – einen gesamten Planeten abzufackeln.
Woher nehmen Sie die Kraft dazu – trotz Beschimpfungen und immer wiederkehrenden Diskussionen?
Weil ich es kann. Weil ich es muss. Und weil ich den Glauben daran habe, dass es sich lohnt. Ich freue mich wahnsinnig, wenn jemand unter einen fiesen Kommentar gegen mich etwas Positives schreibt. Genauso weiß ich, dass sich andere Leute freuen, wenn ich genau dasselbe tue. Ganz besonders, wenn ich damit jemandem helfen kann, der direkt betroffen ist – denn ich bin es ja von vielen Themen, die ich im Buch behandele, nicht. Wenn ich also jemand anderem die Unterstützung geben kann, der vielleicht manchmal müde ist, für sich selbst zu kämpfen, dann hat es sich gelohnt.
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