AZ-Interview: Publizist Lüders zu Mord an Saudi-Kritiker
Als er am 2. Oktober Papiere für seine Hochzeit in der saudischen Botschaft in Istanbul holen will, wird Jamal Khashoggi (die AZ ändert die Schreibweise von Dschamal Chaschukdschi in Jamal Khashoggi) brutal ermordert. Sieben Minuten lang soll sein Martyrium gedauert haben, wie neue Ton- und Videodokumente belegen sollen.
Mord an Saudi-Kritiker - Es soll kein Verhör-Versuch gegeben haben
Laut Online-Nachrichtenportal "Middle East Eye" hallen zuerst Schreie durchs Konsulat, dann zerren 15 Saudi-Diplomaten Khashoggi auf einen Tisch, schlagen ihn, spritzen ihm eine unbekannte Substanz. Der Journalisten ist betäubt. Er lebt, als ihn einer aus dem Killer-Kommando mit einer Knochensäge zerteilt. Einen Verhör-Versuch soll es gar nicht erst gegeben haben.
Steckt Kronprinz Mohammed bin Salman hinter der Tat? Warum deckt US-Präsident Donald Trump das Riad-Regime? Darüber hat die AZ mit einem Nahost-Experten gesprochen:
AZ: Herr Lüders, nach anfänglichem Schweigen im Fall Khashoggi hat Saudi-Arabien nun zu erkennen gegeben, dass offenbar ein Verhör aus dem Ruder gelaufen sei.
MICHAEL LÜDERS: Das ist natürlich der Versuch einer Schadensbegrenzung. Khashoggi ist ermordet worden und die Verantwortung dafür trägt die saudische Führung, konkret der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, er ist der eigentliche Machthaber.
Offenbar ist ein Team von Riad nach Istanbul geflogen, um den Mord vorzubereiten. Das ist doch auffällig und plump?
Man hätte wissen können, dass diese Vorgehensweise auffliegt. Khashoggi ist in den USA gut vernetzt gewesen. Der Mord ist ein PR-Gau für Saudi-Arabien. Möglicherweise hat man die türkischen Behörden falsch eingeschätzt. Die Aktion reiht sich ein in eine Politik des saudischen Kronprinzen, die generell nicht von Intelligenz und langfristigem Denken geprägt ist. Der Kronprinz hält sich für einen großen Strategen, aber er ist wenig mehr als ein sehr ungeschickt agierender Wüsten-Machiavelli.
Saudi-Arabien ist ein wichtiger Verbündeter der USA
Das ist auch ein Problem für Donald Trump, der kein Interesse daran hat, dass der Kronprinz als Mörder dasteht. Er braucht ihn im Kampf gegen den Iran.
Saudi-Arabien ist eine wichtige Säule der amerikanischen Nahost-Politik und neben Israel der wichtigste Verbündete vor Ort. Die US-Regierung ist alles andere als glücklich über die Skrupellosigkeit der saudischen Führung, dennoch werden die Amerikaner ihre militärisch-wirtschaftlichen Beziehungen nicht reduzieren. Das Land ist der Großeinkäufer von US-Rüstungsprodukten. Gleichzeitig ist Saudi-Arabien neben Israel ein wichtiger Verbündeter in der Konfrontation gegen den Iran. Es wird symbolische Strafen geben, aber im Kern bleiben die amerikanisch-saudischen Beziehungen sehr eng.
Welchen Grund haben die USA, so feindselig gegen die Regierung in Teheran zu sein?
Die Feindseligkeit der US-Regierung gegenüber Teheran geht zurück auf das Jahr 1979, das Jahr der iranischen Revolution und der Geiselnahme von 52 US-Diplomaten in der Botschaft in Teheran. Seitdem gibt es keine diplomatischen Beziehungen mehr zwischen den beiden Ländern. Der Iran gilt seitdem als "Schurkenstaat" in den USA und hat da auch keinerlei politische Lobby mehr. Der Atomkonflikt hat die Spannungen noch verschärft. Das Atomabkommen hat Donald Trump am 8. Mai dieses Jahres bekanntlich aufgekündigt, mit dem Ziel einen Regimewechsel im Iran herbeizuführen, auch wenn er das so in aller Deutlichkeit nicht sagt. Man will dieses Ziel zunächst durch die Erhöhung des wirtschaftlichen Druckes auf den Iran erreichen.
Ab dem 4. November ist es aus US-Sicht illegal, mit dem Iran noch wirtschaftliche Beziehungen zu unterhalten.
Auf diese Art und Weise will man erreichen, dass die Bevölkerung gegen das Regime revoltiert. Das wird nicht geschehen. Stattdessen werden sich die Hardliner gegenüber den gemäßigten Kräften durchsetzen. Für die iranische Bevölkerung ist das sicher schwierig.
"Donald Trump kann gezielt Atomanlagen ins Visier nehmen"
Sie zeigen ja deutlich, dass die westlichen Medien dem Narrativ "Bündnispartner Saudi-Arabien" und "Schurkenstaat Iran" oft folgen. Ist das Unwissen oder Bequemlichkeit?
Generell kann man sagen, dass die Berichterstattung über außenpolitische Themen sehr stark der Wahrnehmung folgt, wie sie von Seiten der Politik betrieben wird. Es gibt Länder in der Region, die haben ein gutes Image und es gibt andere, die haben ein schlechtes. Der Iran ist in der Zwitterstellung: Einerseits sind wir nicht einverstanden mit dem Regime, andererseits gibt es dieses Atomabkommen, an dem die Russen, China und die Europäer festhalten wollen. Es ist aber selten, dass in den Medien die geopolitischen Zusammenhänge in der Region genannt werden. Vor allem gibt es die Tendenz, Akteure in gut und böse zu unterteilen. Das ist ein Fehler. Alle Akteure folgen ihren eigenen Interessen.
Hat der Iran Zeit gewonnen durch den Skandal, den Saudi-Arabien verursacht hat?
Ja. Es wird keinen Krieg gegen den Iran geben, so wie es 2003 einen gegen Saddam Hussein gegeben hat. Der Iran ist ein viel zu großes, gebirgiges Land. Aber man kann gezielt militärische und wirtschaftliche Ziele ins Visier nehmen und die Atomanlagen. Aber man sollte nicht die Möglichkeiten des Iran unterschätzen. Durch die Straße von Hormus erreichen 60 Prozent der weltweiten Erdölexporte den Markt. Wenn die Iraner diesen Weg schließen und Ölanlagen in Saudi-Arabien in Brand setzen, dann kostet der Liter Benzin schnell drei Euro an der Zapfsäule.
Sie sprechen in Ihrem Buch den Leser direkt an: "Bei der Lektüre werden vermutlich nicht wenige denken: Das kann doch gar nicht sein. Der Autor übertreibt."
Bei der Recherche habe ich Dinge erfahren, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Die USA sind eine Demokratie, aber die Oligarchisierung amerikanischer Politik ist extrem vorangeschritten, was wir hier nicht so wahrnehmen. Und was mich auch erschüttert hat, ist die unglaubliche Verflechtung der Wirtschaft der USA mit Saudi-Arabien. Dieser Umstand erklärt auch, warum es in den USA nie ein Interesse gegeben hat, die Hintergründe der Terroranschläge vom 11. September, was eine mögliche saudische Beteiligung anbelangt, jemals aufzuklären.