Aus vielen Stücken ein Filet: Das Puzzle-Fleisch

Das Enzym Transglutaminase vollbringt wahre Wunder: Aus Fleischresten wird ein Filet. Im Internet werben die Hersteller unverhohlen mit ihrem Produkt und die Verbraucherschützer sind alarmiert.
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MÜNCHEN - Das Enzym Transglutaminase vollbringt wahre Wunder: Aus Fleischresten wird ein Filet. Im Internet werben die Hersteller unverhohlen mit ihrem Produkt und die Verbraucherschützer sind alarmiert.

Bisher dachten wir, ein schönes saftiges Stück Filet ist das zarteste und teuerste Stück eines Rindviehs. Von wegen. Die Lebensmittelindustrie wird immer kreativer. Inzwischen können Verbraucher nicht mehr sicher sein, ob ein Steak auch immer ein Stück Fleisch ist: Denn das Enzym Transglutaminase vollbringt wahre Wunder. Es macht aus Fleischresten ein Puzzle-Filet – das täuschend echt aussieht. Der perfekte Betrug: Der natürliche Klebestoff ist nach seiner Verwendung nicht mehr nachzuweisen. Mit bloßem Auge ist das zusammengeklebte Filet nicht zu erkennen, bewies das ZDF-Wirtschaftsmagazin WISO.

Die wundersame Fleischwerdung ist auch noch kinderleicht. Rindfleischreste in eine Schüssel. Transglutaminase, ein unscheinbares weißes Pulver, dazu. Ein bisschen Wasser. Alles vermengen. Mit Frischhaltefolie in Form bringen. Ein paar Stunden im Kühlschrank ruhen lassen. Und heraus kommt: ein wunderbares Stück Mogel-Fleisch.

Im Internet werben die Hersteller unverhohlen mit ihrem Produkt: „In Verbindung mit einem Schweine-, Rinder- oder Geflügeleiweiß kann man aus Abschnitten, Kleinstücken (gewolfter Ware) ein ganzes Stück in beliebiger Form wieder herstellen (Rekonstruierte Ware).“ Übrigens: Auch mit Fischresten funktioniert’s. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Nach Angaben der Hersteller verkauft sich das Enzym besonders in der Gastronomie.

Verbraucherschützer und Lebensmittelkontrolleure sind alarmiert. Unklar ist jedoch, ob der Fleisch-Kleber Transglutaminase im Zutatenverzeichnis der Lebensmittel angegeben werden muss. Im Bundesverbraucherministerium herrscht die Auffassung: Bisher nicht, weil es sich bei dem Enzym um einen Verarbeitungshilfsstoff handelt. Künftig aber sehe eine neue EU-Verordnung vor, dass die Verbraucher auch über die Lebensmittelenzyme informiert werden. Ein Sprecher des Bundesministeriums: „Grundsätzlich gilt: Alle Lebensmittel in Deutschland müssen so gekennzeichnet sein, dass eine Irreführung der Verbraucher ausgeschlossen ist, egal ob auf der Verpackung oder der Speisekarte.“ Wer zusammensetze, müsse den Verbraucher darüber auch informieren. „Nicht aus einem Stück bestehendem Fleisch muss das Wort ,Formfleisch’ vorangestellt werden. Eine vorsätzliche Täuschung ist eine Straftat“, heißt es im Ministerium.

Im bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit geht man dagegen davon aus, dass der Fleisch-Kleber auch schon jetzt für den Verbraucher erkennbar sein muss. „Wer ihn nicht angibt, wird geahndet“, so eine Sprecherin. Die staatlichen Kontrolleure haben sich schon auf die Jagd gemacht: allerdings nicht aufs Filet, sondern auf zusammengeklebte Schnitzel in Kantinen. Die wurden genau unters Mikroskop genommen. Fündig geworden aber sind sie bisher nicht. „Bei Frischfleisch haben wir keinen einzigen Fall entdeckt“, heißt es im Landesamt.

Bayerns „Lebensminister“ Markus Söder bereitet gerade eine Bundesratsinitiative vor: „Der Verbraucher hat Anspruch darauf zu erfahren, wenn er zusammengesetztes Fleisch kauft – nur so kann er seine Kaufentscheidung bewusst treffen, dafür müssen die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden“, so sein Ministerium.

Die Lebensmittelkontrolleure des Münchner Kreisverwaltungsreferats, die für die Gaststätten zuständig sind, müssen sich da mehr auf ihre Augen verlassen. Sprecherin Daniela Schlegel: „Unseren Kontrolleuren geht’s nicht besser als den Verbrauchern. Wir sind darauf angewiesen, Hinweise auf einen Verdacht zu bekommen.“bö

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