Auftakt im Siemens-Prozess: Der Mann, der zu viel weiß

Am Montag beginnt vor dem Landgericht München I der Prozess um schwarze Kassen bei Siemens. Vor Reinhard S. zittert die ehemalige Führungs-Riege des Weltkonzerns. Die Anklageschrift liest sich wie ein Krimi.
von  Abendzeitung

MÜNCHEN - Am Montag beginnt vor dem Landgericht München I der Prozess um schwarze Kassen bei Siemens. Vor Reinhard S. zittert die ehemalige Führungs-Riege des Weltkonzerns. Die Anklageschrift liest sich wie ein Krimi.

Der Eingang zum Münchner Justizzentrum ist abgesperrt. Wer in den Sitzungssaal will, muss sich einer langen Untersuchung durch die Sicherheitskräfte unterziehen. Es ist nicht leicht, einen Platz als Zuhörer beim ersten Prozess zu Deutschlands größtem Schmiergeldskandal zu bekommen.

Ab Montag, 9.30 Uhr, steht hier, im Landgericht MünchenI, ein Mann vor der 5. Strafkammer, der als Schlüsselfigur in der Siemens-Affäre gilt. Reinhard S., ehemaliger Direktor in der Festnetzsparte, soll Architekt des Systems der schwarzen Kassen gewesen sein, mit dem der Konzern weltweit schmierte, um an Aufträge zu kommen.

Für S. wird die Sache nicht gut ausgehen. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn der Untreue in 58 Fällen, ihm droht eine lange Haftstrafe. Doch viel interessanter wird eine andere Frage sein: Wer außer S. wusste von der systematischen Korruption? Handelte Reinhard S. alleine – oder tat er dies mit dem Segen seiner Chefs? Waren sogar der Vorstand und sein ehemaliger Vorsitzender Heinrich von Pierer involviert?

Führungsriege auf der Zeugenliste

Auf der Zeugenliste steht das „Who is Who“ der alten Führungsriege von Siemens: Ex-Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger und die ehemaligen Chefs der Telekommunikationssparte, Thomas Ganswindt und Volker Jung. Gegen alle drei ermittelt die Staatsanwaltschaft ohnehin schon. Auch der amtierende Finanzvorstand Joe Kaeser soll als Zeuge auftreten. Und: Heinrich von Pierer – der Mann, der so gerne als unbefleckter Manager gelten will. Alle Zeugen müssen kommen. Sie dürfen nur die Aussage verweigern, wenn sie sich sonst selbst einer Straftat bezichtigen.

Für Oberstaatsanwalt Anton Winkler steht schon vor dem Prozessauftakt fest: „Der gesamte Siemens-Komplex wird für mehr Sensibilität in der deutschen Unternehmenskultur sorgen. Das Bilden von schwarzen Kassen ist strafbar – auch wenn viele die Korruption immer noch als nützliche Aufwendungen betrachten.“

Anklageschrift wie ein Krimi

Die 33-seitige Anklageschrift gegen Reinhard S. liest sich wie ein Krimi: Der Thriller nahm seinen Anfang schon lange vor der Zeit des Reinhard S., als Bestechung in Deutschland noch nicht strafbar war. Um Schmiergelder lockerzumachen, musste in der heutigen Telekommunikationssparte lediglich ein „Grundsatzpapier Provision für Kundenaufträge“ unterzeichnet werden. Die Unterschrift kam von den jeweiligen Regionalleitern – auch gerne auf einem Post-It-Zettel, den man später entfernen konnte. Wenn die „Kunden“ ihre Provision in bar wünschten, holten zwei für Bakschisch zuständige Mitarbeiter das Geld einfach an der Siemens-Kasse in der Hofmannstraße ab. Oder sie stellten Schecks aus, die bei einer Münchner Bank eingelöst und den Empfängern übergeben werden konnten.

Wenn eine Überweisung gewünscht war, hoben die Siemensianer das Geld per Scheck von der Deutschen Bank oder der Dresdner Bank am Promenadeplatz ab. Per Geldkoffer wanderte das Schmiergeld auf ein weiteres Konto und von dort auf Gelddepots in Österreich. Von dort konnte das Geld an den Empfänger überwiesen werden.

Die Drecksarbeit erledigt

Doch dann wurde Korruption illegal, ein neuer Mann musste her, der ein neues System der schwarzen Kassen erfand: Reinhard S. Er soll Beraterverträge für Aufträge ersonnen haben, die es gar nicht gab. Mit Hilfe eines iranischen Geschäftsmannes aktivierte er Scheinfirmen. Diese verteilten angebliche Berater-Honorare an die Bestochenen. Die Liste der Länder, aus denen die Firmen kamen, ist lang.

Weil Reinhard S., dem Range nach Direktor war, konnte er nach eigenem Gutdünken Gelder verteilen, behauptet die Staatsanwaltschaft. Insgesamt konnten die Ermittler ihm Schmiergeldzahlungen in Höhe von 50 Millionen Euro nachweisen. Und S. soll auch für andere Siemens-Sparten die Drecksarbeit erledigt haben.

Am 15. November 2006 wurde S. festgenommen, kam nach zwei Wochen aus der Untersuchungshaft in Stadelheim frei. Seitdem haben sich seine Anwälte akribisch auf den Prozess vorbereitet. Es gilt, die Last von Reinhard S. zu nehmen – und die Verantwortung für die Korruption auf ranghöhere Siemensianer zu schieben. Ihr Mandant soll angeblich sehr kooperativ gegenüber den Staatsanwälten sein. Das dürfte Heinrich von Pierer nicht gefallen.

Volker ter Haseborg

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