Auch Deutschland sagt Rassismuskonferenz ab
Bis zuletzt wurde in Berlin gezögert und vergeblich versucht eine europäische Linie abzustimmen. Im Gegensatz zu anderen EU-Ländern wird Frankreich an der UN-Konferenz gegen Rassismus teilnehmen.
In Genf hat die umstrittene Antirassismuskonferenz der Vereinten Nationen begonnen. Diplomaten betonten allerdings, dass das fünftägige Treffen ohne die wichtigen UN-Mitglieder an Gewicht verlieren werde. Zuletzt hatte Deutschland seine Teilnahme abgesagt. Zur Begründung teilte Außenminister Frank- Walter Steinmeier (SPD) am späten Sonntagabend mit, es sei zu befürchten, dass das Treffen ebenso wie die Vorgängerkonferenz im Jahre 2001 «als Plattform für andere Interessen missbraucht wird». Es ist das erste Mal seit Jahrzehnten, dass Deutschland eine Konferenz der Vereinten Nationen boykottiert. Die Entscheidung sei nach einer Telefonkonferenz mit mehreren EU-Amtskollegen gefallen, sagte Steinmeier.
Zuvor hatten auch Israel, die USA, die Niederlande und Australien ihre Teilnahme an dem bis Freitag geplanten Treffen abgesagt. Frankreich wird dagegen nach Angaben von Außenminister Bernard Kouchner teilnehmen. Der französische Vertreter werde die Veranstaltung aber sofort verlassen, falls sie zu einer Plattform für rassistische Äußerungen gegenüber Israel werden sollte. Kouchner sagte im Radiosender France-Info, der Beschluss sei nach nächtlichen Erörterungen gefallen. Der französische UN-Botschafter in Genf werde das Land bei der Konferenz vertreten. Bundesaußenminister Steinmeier appellierte an alle Teilnehmer, sich zur wirksamen Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung zu bekennen «und die bevorstehende Konferenz nicht anderweitig zu instrumentalisieren». «Wir werden den Konferenzverlauf als Beobachter sehr genau verfolgen», erklärte Steinmeier. «Wir werden uns weiterhin eng mit unseren EU-Partnern abstimmen und behalten uns vor, zu einem späteren Zeitpunkt wieder aktiv teilzunehmen.»
Keine einheitliche EU-Position
Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat den deutschen Boykott der Anti-Rassismus-Konferenz der Vereinten Nationen in Genf begrüßt. Der Vizepräsident des Zentralrats, Dieter Graumann, sprach am Montag von einem «couragierten Schritt». Zugleich kritisierte er, dass sich die Europäische Union nicht auf eine gemeinsame Linie einigen konnte. «Dass Europa sich hier so uneinig zeigt, ist eine Schande», sagte Graumann dem Internet-Portal handelsblatt.com. «Eine gemeinsame europäische Außenpolitik ist offenbar leider noch immer eine reine Illusion.»
Der CDU-Außenexperte Willy Wimmer kritisierte dagegen die Absage. Er verstehe Außerminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nicht, sagte Wimmer am Montag im Deutschlandfunk. Man könne die Teilnahme nicht davon abhängig machen, ob ein Redner einem passe oder nicht, sagte Wimmer mit Blick auf einen Auftritt des iranischen Präsidenten Mahmut Ahmadineschad. Unsinnige Äußerungen, die bei dem Treffen möglicherweise vorkämen, müsse man direkt an Ort und Stelle zurückweisen, forderte Wimmer.
«Heuchlerische Vorwürfe»
US-Präsident Barack Obama führte die Absage der USA darauf zurück, dass die Organisatoren darauf bestanden hätten, «heuchlerische» Rassismus-Vorwürfe gegen Israel zu präsentieren. Zu den Konferenzteilnehmern gehört Irans Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad. Er ist für seine scharfen Verurteilungen Israels bekannt. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, bedauerte die Entscheidung der US-Regierung. Sie sei «schockiert und tief enttäuscht» über das Fehlen der USA, teilte sie am Sonntag in Genf mit. Nach Angaben der Vereinten Nationen haben bislang mindestens 35 Staaten ihre Teilnahme zugesagt. Papst Benedikt XVI. lobte indes die Konferenz als wichtige Initiative im Kampf gegen Intoleranz. Trotz der Lehren aus der Vergangenheit gebe es auch heute noch «solche bedauerlichen Phänomene», erklärte das Oberhaupt der katholischen Kirche am Sonntag in Castel Gandolfo. Er hoffe, das die Delegierten in Genf in einem «Geist des Dialogs und der gegenseitigen Akzeptanz» zusammenarbeiteten, um Rassismus, Diskriminierung in Intoleranz zu beenden.
Einschmeicheln auf schändliche Weise
Israel will, dass der Auftritt Mahmud Ahmadinedschad boykottiert wird. Der israelische Rundfunk meldete am Sonntag, Jerusalem dränge den Schweizer Bundespräsidenten Hans-Rudolf Merz, ein geplantes Treffen mit Mahmud Ahmadinedschad abzusagen und diesem nicht die Hand zu schütteln. Der iranische Präsident unterstütze den Terror und erkenne das Existenzrecht Israels nicht an. Der israelische Botschafter bei den Vereinten Nationen in Genf, Ronny Leschno Yaar, sagte dem Sender, die Schweiz wolle sich mit dem Treffen «auf schändliche Weise bei einem Holocaust-Leugner und Israel-Hasser einschmeicheln». Auch wenn die Absicht sein sollte, Mahmud Ahmadinedschad zu einer Mäßigung seiner Positionen zu bewegen, werde das Treffen sicherlich das Gegenteil erreichen, sagte der israelische Repräsentant. Israel fühlt sich durch den Iran in seiner Existenz bedroht, der neue israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sieht eine mögliche iranische Aufrüstung mit Nuklearwaffen als größte globale Gefahr.
Eklat in Durban
Der niederländische Außenminister Maxime Verhagen sagte am Sonntag, einige Staaten versuchten weiterhin, die UN-Konferenz zu missbrauchen, um religiöse Anschauungen über die Menschenrechte zu stellen. Ausgerechnet von Ländern, «die auf dem Gebiet der Menschenrechte selbst noch viel zu tun haben», werde versucht, «einseitig Israel auf die Anklagebank zu setzen», erklärte der Minister. Australiens Außenminister Stephen Smith sagte, es sei zu befürchten, dass einige Teilnehmer das Treffen als «Plattform für anstößige und antisemitische Äußerungen missbrauchen könnten».
Das Treffen setzt die große Antirassismus-Konferenz von Durban im Jahr 2001 fort. Damals hatten sich rund 170 Länder auf ein Aktionsprogramm zur Bekämpfung von Diskriminierung verständigt. Gleichwohl endete die Konferenz mit einem Eklat. Die Vertreter der USA und Israels reisten wegen massiver Kritik an Israel empört ab.
Recht auf freie Meinungsäußerung
Diesmal begründen die USA ihre Absage auch damit, dass die am Freitag ausgehandelte Schlusserklärung sich ausdrücklich auf die Vereinbarungen von Durban bezieht. Diese aber könne Washington wegen einseitiger Bezüge zum Nahostkonflikt nicht unterstützen. Außerdem gebe es neue Passagen, die dem Recht auf freie Meinungsäußerung widersprechen könnten. Wegen der langen Ungewissheit über das Abschlussdokument hatten bis Freitag nur wenige hochrangige Gäste zugesagt. Eröffnet wird die Konferenz am Montag von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, Mahmud Ahmadinedschad will am Nachmittag eine Pressekonferenz geben. Papst Benedikt XVI. schreibt der UN-Konferenz gegen Rassismus eine wichtige Rolle im Kampf gegen Diskriminierung und Intoleranz zu. In seiner Sommerresidenz Castel Gandolfo verlangte Benedikt am Sonntag ein «entschiedenes und konkretes Handeln auf nationaler und internationaler Ebene», um jede Form von Rassismus und Benachteiligung aus der Welt zu schaffen. (dpa/AP/epd)