Atompoker bei Merkel - Wir brauchen Entscheidungen
Ein stundenlanger Koalitionsgipfel sucht die Entscheidung im vertrackten Streit um die längeren Laufzeiten. Vermutlich wird es eine extra-komplizierte Paketlösung
BERLIN Sie will jetzt die Entscheidung: Beim Atomgipfel von Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde gestern ein Durchbruch erwartet, wie das Energiekonzept der nächsten Jahre und vor allem die Zukunft der Atomkraft aussehen soll. Die Verhandlungen dauerten bei Redaktionsschluss noch an, aber so viel sickerte schon durch: Es wird wohl eine äußerst komplizierte Paketlösung aus unterschiedlichen Laufzeiten je nach Alter des Reaktors und eine zeitlich befristete Brennelementesteuer geben – ein wackliges Gerüst, von dem ohnehin nicht klar ist, ob es den Weg am Bundesrat vorbei schafft.
Beim Wahlsieg vor knapp einem Jahr schien es aus Sicht von Schwarz-Gelb ein Selbstläufer zu werden: Wir versorgen die Republik mit billigem Atomstrom. Von wegen: Die Regierung hat sich darüber tief zerstritten, die Minister Norbert Röttgen (Umwelt, CDU) und Rainer Brüderle (Wirtschaft, FDP) sind quasi in allen Punkten anderer Meinung. Das Verhältnis zur Atom-Industrie ist seit Ankündigung der Brennelemente-Steuer beim Sparpaket stark abgekühlt. „Das kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel“, so Eon-Manager Ralf Güldner. Im Bundesrat, der einer deutlichen Verlängerung zustimmen müsste, ist die Mehrheit verloren gegangen. Und die Bevölkerung lehnt die Pläne ohnehin mehrheitlich ab.
Dazu passend wurden die Gipfelteilnehmer gestern vor dem Kanzleramt von aufgebrachten Demonstranten mit Vuvuzelas empfangen. Die Spitzenrunde begann am Vormittag mit einer Runde aus Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel, den Hauptkontrahenten Röttgen und Brüderle sowie Finanzminister Wolfgang Schäuble. Um 14 Uhr stießen dann CSU-Chef Horst Seehofer, FDP-Chef Guido Westerwelle sowie die Fraktionschefs dazu. Die Kanzlerin hat deutlich gemacht, dass sie von diesem Treffen einen Entscheidung will: Allen Teilnehmern wurde gesagt, sie sollten sich auf eine Nachtsitzung einstellen.
Die Materie ist aber höchst kompliziert. Unter anderem geht es um Zeit, Geld und Gesetze – und alles hängt miteinander zusammen. Der erste Konflikt ist die Frage, wie viele Jahre die Meiler noch laufen sollen: Merkel hält inhaltlich 10 bis 15 Jahre für sinnvoll, Röttgen will acht, die FDP bis zu 20. Hier kommt aber der Bundesrat ins Spiel: Innen- und Justizministerium sollten ein Gutachten erstellen, wie viele Jahre ohne Länderkammer möglich seien. Bis zu zehn, wurde das Innenministerium zitiert; maximal drei sieht das Justizministerium. Bundespräsident Christian Wulff hat laut Medienberichten ein eigenes Gutachten erstellen lassen, das eine zweistellige Zahl ausschließt – und er müsste das Gesetz unterschreiben. Die Frage ist nun, wie risikobereit die Koalition ist: Zahlreiche Länder haben die Klageschrift für Karlsruhe schon in der Schublade.
Von der Länge der Laufzeit hängt aber auch ab, wie und wie viel Geld man bei der Atombranche holt. Als möglicher Kompromiss sickerte am Nachmittag durch: eine dreigliedrige Paketlösung mit unterschiedlichen Laufzeiten je nach Alter und Sicherheitsstandard des einzelnen Meilers. Dazu eine Brennelemente-Steuer in Höhe von 2,3 Milliarden im Jahr, die auf vier bis sechs Jahre befristet werden soll. Im Gespräch sind verschiedene Berechnungsmethoden – nach Jahren oder nach Reststrommengen. Vorteil aus Merkels Sicht: Das ganze ergibt dann keine plakative, fassbare Zahl. tan