Berlin - Es ist eine historische Entscheidung: Deutschland steigt bis 2022 aus der Atomkraft aus und geht damit als (bisher) einziges großes Industrieland einen ganz neuen Weg. In einem 13-stündigen Gipfel hat sich Schwarz-Gelb darauf geeinigt – und damit auch die eigene, gerade erst beschlossene Laufzeit-Verlängerung komplett rückgängig gemacht. Ein großer gesellschaftlicher Konsens ist in Reichweite.
Was kommt? Die sieben alten Meiler plus das AKW Krümmel, die nach Fukushima abgeschaltet worden sind, bleiben aus – für immer. Eines soll allerdings als „Standby“-Option bis 2013 reaktivierbar sein. Die übrigen Kraftwerke bleiben bis 2021 am Netz. Auch hier eine Ausnahmeklausel: Im Jahr 2018 soll eine Kommission entscheiden, ob der Umbau des Energiesystems gut vorangeht. Sollte dies nicht ausreichend der Fall sein, können drei Kraftwerke maximal zwölf Monate – also bis Ende 2022 – länger laufen. Insgesamt, so der Beschluss, sei es möglich, binnen zehn Jahren auszusteigen, ohne dass die Preise nicht mehr bezahlbar, die Wirtschaft oder die Klimaziele gefährdet wären. Eine Revisionsklausel gibt es nicht, das Datum 2022 ist fix.
Wo kommt mein Strom dann her? Herzstück soll Windkraft auf See sein. Dazu müssen aber die Leitungen massiv ausgebaut werden, damit auch der Süden Deutschlands beliefert wird. Außerdem: andere alternative Energien (Sonne, Wind an Land, Biomasse), konventionelle wie Gas. Ein anderer zentraler Punkt ist auch eine bessere Verwertung von Energie: Durch Gebäudesanierung und eine Abwrackprämie für alte Stromfresser ließen sich alleine zehn Kernkraftwerke einsparen. In Spitzenzeiten muss Strom aus dem Ausland zugekauft werden.
Wird der Strom dann teurer? Erstmal ja – etwas. Wie stark die Preise steigen, ist unter Experten umstritten: Die Schätzungen variieren je nach Auftraggeber. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung beziffert die maximalen Mehrkosten pro Haushalt auf 20 Euro pro Monat. Mittelfristig wird aber mit Preisvorteilen gerechnet, wenn andere Länder stärker als Deutschland durch steigende Rohstoffpreise getroffen werden. Und: Zunächst darf sich für den Verbraucher gar nichts ändern. „Der Strom von heute wurde schon vor zwei, drei Jahren an der Strombörse eingekauft“, so Uwe Leprich von der Hochschule für Technik und Wirtschaft. Tipp: Wenn Ihr Anbieter es dennoch versucht – wechseln Sie einfach.
Wer hat sich durchgesetzt? Der Beschluss folgt weitgehend der Vorgabe der Ethikkommission, die Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Fukushima eingesetzt hatte (bis auf die drei Reserve-AKWs bis 2022). Er kam ihr – und CSU-Chef Horst Seehofer – gelegen, um die Bremser in den eigenen Reihen, vor allem die FDP, umzustimmen. Diese erklärte danach, manchmal müsse man eben Kompromisse eingehen.
Wie reagiert die Opposition? Merkel will unbedingt einen Konsens mit SPD und Grünen, hatte sie extra nachts ins Kanzleramt dazugebeten. Während die SPD gestern grundsätzliche Zustimmung signalisierte, sind die Grünen skeptischer. Sie warnen vor Hintertürchen und halten ein noch schnelleres Tempo für möglich. Ähnlich reagierten Aktivisten wie Greenpeace.
Was sagt die Wirtschaft? Verbände und Firmen reagierten teils mit großer Wut. „Mit großer Sorge“ erfüllten ihn diese „mit deutlich erkennbarer politischer Absicht“ betriebenen Pläne, so BDI-Chef Hans-Peter Keitel. Die Politik hätte sehr „emotional“ (lies: „wenig rational“) entschieden, so Daimler-Chef Dieter Zetsche. Energie-intensive Betriebe rechnen mit dem Verlust zahlreicher Arbeitsplätze. Allerdings werden in anderen Bereichen auch Jobs entstehen, in zukunftsträchtigen neuen Technologien. Die Ethikkommission: „Dieser Weg ist Herausforderung und Chance.“