Arbeiten hier, Rente im Süden?
Deutschland altert und schrumpft. Aber was bedeutet das: Wie bedrohlich ist das Phänomen? Und was kann man tun? Ein Demografie-Gipfel im Kanzleramt sucht Antworten
BERLIN - Deutschland altert und schrumpft. Aber was bedeutet das: Wie bedrohlich ist das Phänomen? Und was kann man tun? Zur Debatte über diese Fragen hatte Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern zum Demografie-Gipfel ins Kanzleramt geladen. Ihre Botschaften: Erstens, dieser Wandel muss keine Bürde sein. Zweitens, eine Lösung kann das vereinte Europa sein.
Es war schon die zweite Veranstaltung dieser Art. Bei der ersten im Oktober waren neun Arbeitsgruppen eingesetzt wurden, die gestern ihre ersten Ergebnisse präsentierten. Denn der demografische Wandel betrifft nicht nur die Rentenkassen und den Arbeitsmarkt, sondern viele Bereiche wie Verkehr, Infrastruktur, Gesundheitswesen.
Der Osten Deutschlands bietet sich ausdrücklich als Versuchskaninchen an: „Wir können ein Testfeld für neue Strategien sein. Wir sind der Seismograph für die Regionen im Westen, die einige Jahre später mit dem Bevölkerungswandel fertig werden müssen“, sagt Thüringens Regierungschefin Christiane Lieberknecht (CDU). Sie fordert einen Demografiecheck für jedes neue Gesetz. In einigen Ost-Ländern wird Prognosen zufolge schon 2030 jeder dritte Bürger über 65 sein, in ganz Deutschland ab 2060.
Die Ursachen sind nicht ganz dieselben – die Jungen im Osten ziehen weg, im ganzen Land kommen sie erst gar nicht auf die Welt. Der Effekt aber ist der gleiche: Immer mehr ältere Menschen wohnen zwischen immer weniger Jungen, die Zahl der Einwohner schrumpft. Kitas und Schulen schließen, Busverbindungen werden gestrichen, Läden und Banken machen dicht. In vielen Gemeinden werden deswegen neue Modelle getestet: Hol- und Bringservice für Kitakinder, um die wenigen jungen Eltern zu halten und ihnen eine Berufstätigkeit zu ermöglichen, auch wenn es am Ort keine Betreuung mehr gibt; Multifunktions-Bügerterminals (mit Videotelefon für Rückfragen), wenn Gemeinden zusammengelegt wurden; Onlinepaten, die Senioren fit fürs Internet machen; Bankbusse, die die Dörfer abklappern; Spielplätze, die auf rollator-taugliche Senioren-Fitness umgerüstet werden.
Die zentralen Herausforderungen bleiben aber Arbeitsmarkt und Rentenkasse. Bei diesem Punkt setzt Merkel nun auch immer mehr auf die EU, machte sie gestern deutlich. Erstens: „Wir sind ein europäischer Binnenmarkt, wir werden sicher noch mehr Mobilität im Arbeitsmarkt entwickeln müssen.“ Und zweitens müssten die Sozialsysteme angeglichen werden, damit man seine Rentenansprüche problemlos in andere Länder mitnehmen kann. Vereinfacht gesagt: Arbeiten im Norden, Lebensabend im Süden.
Auf Zuwanderung vor allem aus den südeuropäischen Krisenstaaten setzt auch die Wirtschaft. CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich warnte allerdings vor zu viel Migration. Zustrom von außen reicht allein ohnehin nicht, warnen viele Experten. Sie fordern, Arbeitsplätze für Ältere und Eltern deutlich attraktiver zu machen, etwa mit neuen Arbeitszeitmodellen. Und die Gewerkschaften schlugen als Antwort auf den demografischen Wandel vor, dass die Arbeitnehmer höhere Rentenbeiträge zahlen sollen.
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