Anton Hofreiter kontert Markus Söder in der AZ: "Den sollte man nicht so ernst nehmen"

AZ: Herr Hofreiter, die FDP hat auf ihrem Parteitag am Wochenende den umstrittenen Zwölf-Punkte-Plan zur Wirtschaftswende verabschiedet, der bei Grünen und SPD bereits im Vorfeld für viel Kritik gesorgt hatte - auch, weil die Liberalen an der Schuldenbremse festhalten wollen. Wie gefährdet ist die Ampel-Koalition?
ANTON HOFREITER: Überhaupt nicht. Ich würde das einfach als Wahlkampf der FDP subsumieren. Entscheidend ist, was in den nächsten Monaten passiert. Dieser Staat muss seine Handlungsfähigkeit zurückgewinnen, indem man in die Bereiche investiert, in denen es notwendig ist: Infrastruktur, Verteidigungsfähigkeit inklusive Cyber- und Spionageabwehr sowie in die Demokratie. Und dafür braucht man eben Geld. Deshalb müssen jetzt alle ideologischen Ballast über Bord werfen.
Was genau meinen Sie?
So wie uns klar geworden ist, dass man mit jemandem wie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nur aus einer Position der Stärke heraus verhandeln kann, muss der Kanzler klar machen, dass die drittgrößte Industrienation der Welt und ihre ökonomisch zweitstärkste Demokratie dafür Ressourcen bereitstellen muss. Wir sprechen da von Hunderten von Milliarden Euro, weil so viel kaputtgespart worden ist. Angesichts der sehr gefährlichen Weltlage würde ich diesen Weg nicht durch die Einhaltung der Schuldenbremse weitergehen, sondern Investitionen bevorzugen.
"Söder ist einfach mit sich selbst unzufrieden"
CSU-Chef Markus Söder denkt angesichts der Querelen in der Regierung laut über eine Neuauflage der Großen Koalition nach, mit einer SPD unter Boris Pistorius als Junior-Partner...
Ach, Herr Söder ist einfach mit sich selbst unzufrieden, weil er schon sehr lange Kanzler werden will und immer nur so tut, als wäre er gerne bayerischer Ministerpräsident. Den sollte man nicht so ernst nehmen. Das Problem ist, dass die Bundesrepublik wegen der Schuldenbremse zu wenig handlungsfähig ist und das ist gefährlich: für unseren Wohlstand, wenn man an China denkt, und für unsere Sicherheit, wenn man an Russland denkt. Das ist es, was mich umtreibt - nicht, was Markus Söder erzählt.

Allerdings knirscht es ja nicht nur zwischen den Ampel-Partnern. Auch innerhalb Ihrer Partei gibt es verschiedene Meinungen. Sie selbst haben gegen die Reform des Klimaschutzgesetzes gestimmt, die die Grünen mitbeschlossen haben. Warum?
Weil ich der Meinung bin, dass man angesichts der Dramatik der Lage die Arbeitsverweigerung, die das Bundesverkehrsministerium seit vielen Jahren - erst unter Andreas Scheuer und jetzt unter Volker Wissing - betreibt, nicht auch noch belohnen muss. Da braucht es Sanktionen. Gute Worte und Gesundbeten reichen nicht, um den Klimawandel abzuwenden.
Den Taurus-Antrag der Opposition haben Sie auch nicht unterstützt, obwohl Sie eine Lieferung der Marschflugkörper an die Ukraine fordern. Wie passt das zusammen?
Wenn man die Regierung nicht sprengen will, unterstützt man keine Anträge aus der Opposition. Wir haben als Regierungskoalition mehrere sehr gute Anträge beschlossen, in denen wir eine umfassende Unterstützung der Ukraine fordern.

Kanzler Olaf Scholz lehnt die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern bislang kategorisch ab, weil er befürchtet, Deutschland könne damit in den Krieg hineingezogen werden. Warum sind Sie trotzdem dafür?
Mich treiben zwei Dinge um: Erstens, wie viele Menschen in der Ukraine sterben, wo die Städte mit Luftangriffen regelrecht überzogen werden. Jeder Einzelne ist zu viel! Und zweitens, dass der Krieg sich ausweiten und verlängern wird, wenn Putin nicht in der Ukraine gestoppt wird. Hinzukommt: Die Aussagen des Kanzlers sind - nach allem, was man weiß - falsch. Südkorea hat 260 Taurus, braucht für deren Einsatz aber keinen einzigen Bundeswehrsoldaten.
Wann würde Deutschland in Ihren Augen zur Kriegspartei?
Wenn Bundeswehrsoldaten direkt im Einsatz gegen die russische Armee wären. Aber ich kenne niemanden im Bundestag, der das will - und auch die Ukrainer wollen das nicht. Sie wollen, dass wir sie so ausstatten, dass sie sich verteidigen können.
"Das war ein Übersetzungsfehler"
Der französische Präsident Emmanuel Macron denkt allerdings laut über die Entsendung von Bodentruppen nach.
Das war ein Übersetzungsfehler. Macron denkt darüber nach, französische Truppen einzusetzen, am ehesten die Luftwaffe. Zudem ist das ein schönes Beispiel dafür, dass wir inzwischen eine europäische Öffentlichkeit haben. Plötzlich haben wir europaweit über unsere gemeinsame Außenpolitik diskutiert. Das wird von den Regierungschefs aber häufig noch nicht mitgedacht.
Was bedeutet das genau?
In Frankreich verursacht eine solche Äußerung - aus französischer Sicht eine Null-Aussage - nur Schulterzucken, weil das nichts anderes ist als die typisch französische Militärdoktrin der Ambiguität. Das heißt, man lässt den Gegner völlig im Unklaren darüber, was man macht - und schließt grundsätzlich nichts aus. Das ist in Deutschland nicht üblich, daher werden wir nervös.