Anton Hofreiter im Interview: Sind kein Notnagel für eine Rest-Regierung

Berlin - CSU-Chef Horst Seehofer glaubt nach dem Streit in der Flüchtlingspolitik mit Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an eine Asylwende in Deutschland. Anton Hofreiter, Vorsitzender der Grünen im Bundestag, spricht in der AZ von einem Klima der moralischen Verwahrlosung.
AZ: Herr Hofreiter, laut Angaben der CSU ist jetzt die "Asylwende" eingetreten. Spüren Sie davon etwas?
ANTON HOFREITER: Was die CSU in den vergangenen 14 Tagen getrieben hat, war absolut unverantwortlich, in einem Ausmaß, wie ich es mir niemals ausgemalt hätte. Mit der Frage von Flucht und Migration hatte das fast gar nichts zu tun, sondern mit ihrer krassen Panik vor dem Verlust der absoluten Mehrheit bei der Landtagswahl in Bayern und dem Versuch, die Gesellschaft nach rechts zu verschieben. Es ist eine Schande für die Grundwerte der EU, dass immer noch Aberhunderte Menschen im Mittelmeer ertrinken. Statt etwas dagegen zu unternehmen, behindern und kriminalisieren die europäischen Staaten die Seenotretter.
Meinen Sie, dass der Asyl-Streit innerhalb der Koalition nun ausgestanden ist?
Überhaupt nicht. Mindestens bis zur Landtagswahl bleibt die CSU ein Unruheherd. Wie Herr Seehofer sich in die Brexit-Verhandlungen eingemischt und damit eine Bruchlandung hingelegt hat, zeigt, dass er weiter zündelt gegen die Europäische Union und Bundeskanzlerin Angela Merkel.
"Wer der AfD hinterherrennt, stärkt sie"
Die CSU will auf diese Weise die AfD klein halten. Ist dieser Weg erfolgversprechend?
Nein. Das zeigen ja die jüngsten Umfragen wie auch die letzte Bundestagswahl. Bayern geht es ökonomisch doch gut, und es gibt vergleichsweise wenig soziale Spannungen. Und dennoch legt die AfD hier eher zu. Ich bin überzeugt: Wer der AfD hinterherrennt, stärkt sie. Am Ende wählen die Leute das Original und nicht die CSU.
Was wäre denn Ihr Vorschlag, um die AfD bei der Landtagswahl klein zu halten?
Zum einen geht es darum, rechtsradikale Umtriebe in der Gesellschaft entschieden mit Polizei und Justiz zu bekämpfen. Außerdem müssen wir klar dagegen halten, wenn versucht wird, die öffentlichen Meinung nach rechts zu verschieben. Und wir müssen endlich anfangen, die tatsächlichen Probleme der Menschen zu lösen: die Wohnungsnot, die miserable Situation in der Pflege oder der Ärger mit dem Verkehr, auch hier in Bayern gibt es große regionale Ungleichheit. Die muss man angehen. Und der Umgang mit Geflüchteten muss zeigen, dass wir in der Lage sind, Probleme menschlich zu lösen.
Bayern intensiviert die Abschiebungen rechtskräftig abgelehnter Asylbewerber. Kann man dagegen etwas sagen?
Bayern verschärft die Gangart bei den Abschiebungen nach Afghanistan. Da dort der Bürgerkrieg weiter tobt, kann man Afghanistan mitnichten als sicheres Herkunftsland bezeichnen. Für die CSU zählen in der Flüchtlingspolitik nur noch Zahlen - sie sieht die Menschen dahinter nicht mehr.
"Die CSU will offensichtlich Kanzlerin Merkel weghaben"
Meinen Sie denn, dass die Koalition und die Bundesregierung die volle Legislaturperiode durchhält?
Die Wahrscheinlichkeit dafür ist gesunken. Die CSU will offensichtlich Bundeskanzlerin Angela Merkel weghaben und sieht Europa als Problem an. Sie haben in der Union jetzt einen Burgfrieden geschlossen, der nichts hilft.
Wären Sie für einen neuen Versuch analog Jamaika, aber unter Ausschluss der CSU? Etwa CDU/SPD/Grüne?
Ich halte nichts davon, rumzuspekulieren. Die Frage stellt sich derzeit nicht. Wir haben schon öfter gesagt, dass wir grundsätzlich gesprächsbereit sind. Aber wir sind nicht bereit, Notnagel für eine völlig überforderte Restregierung zu sein.
In Bayern hat der grüne Spitzenkandidat Ludwig Hartmann Schwarz-Grün nach der Landtagswahl ausgeschlossen. Stimmen Sie dem zu?
Schauen Sie: Die CSU agiert mit einem unverantwortlichen Polizeiaufgabengesetz und Psychiatriegesetz, sie ruft eine konservative Revolution aus, im vollen Bewusstsein der Bezüge zu den Wegbereitern des Nationalsozialismus, sie macht eine Absage an den für Europa handlungsleitenden Multilateralismus und schafft in der Asylpolitik mit widerwärtigen Bezeichnungen ein Klima der moralischen Verwahrlosung. Da kann sich bei uns heute keiner vorstellen, dass man mit so einer CSU zusammenkommt.