Anton Hofreiter: "Die Geheimdienste müssen zurückstecken"

Anton Hofreiter, der 47-jährige Biologe aus München, ist seit 2005 gemeinsam mit Katrin Göring-Eckardt Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion.
AZ: Herr Hofreiter, die Grünen liegen in den Umfragen weiter klar unter zehn Prozent. Warum läuft es für Ihre Partei nicht?
ANTON HOFREITER: Das Thema Umweltschutz, bei dem uns besondere Kompetenz bescheinigt wird, hat im Moment in der Wahrnehmung keine besondere Relevanz. Dabei verschärft sich die Klimakrise ganz rapide.
Was muss sich ändern bei den Grünen?
Wir werden verdeutlichen, was die Grünen verändern wollen, und die Dringlichkeit aufzeigen. Ein konkretes Beispiel: Wir müssen aus Klimaschutzgründen schleunigst vom Verbrennungsmotor wegkommen. Dass wir das angehen, ist auch aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen wichtig. Ich will nämlich nicht erleben, dass die deutsche Autoindustrie so niedergeht, wie das bei Eon oder RWE der Fall war. Wir wollen Jobs retten – und dafür müssen Null-Emissions-Autos in erster Linie hier gebaut werden und nicht in den USA oder Japan.
Mit diesem Thema wollen Sie zu den Bürgern durchdringen?
Ja, das ist ein Thema, das fast jeden betrifft: Autofahrer fühlen sich betrogen, Radler in den Städten merken, wie schlecht die Luft ist, und Arbeitnehmer machen sich Sorgen, wie es mit ihrem Job weitergeht, wenn die Auto-Bosse nicht endlich zukunftssicher umsteuern. Wir Grüne haben das Know-how dafür. Die Grünen stehen klar für Klima- und Gesundheitsschutz und lehnen unsauberen Diesel ab. Wir setzen uns für zukunftsfähige Arbeitsplätze ein. Stellen Sie sich mal Niederbayern vor, wenn BMW in Schwierigkeiten geraten würde, weil der Konzern den Anschluss bei Zukunftstechnologien verpasst.
Das wäre eine Katastrophe.
Ja, das wäre eine Katastrophe. Und da hat Verkehrsminister Alexander Dobrindt einiges vermasselt. Bei der Verkaufsprämie für E-Autos gibt es keine Gesamtstrategie. Deutschland liegt bei der Batterieentwicklung zehn Jahre zurück. Und warum verkauft sich der i3 von BMW nicht optimal? Weil der Ausbau der Ladeinfrastruktur verschlafen wurde. Dafür ist nun mal die politische Rahmensetzung verantwortlich.
Flüchtlinge: "Wir wollen Kontingente für Schutzbedürftige"
Politische Rahmensetzungen in anderen gesellschaftlich relevanten Bereichen wurden zuletzt sehr beklagt, zum Beispiel, was Migrationsbewegungen anbetrifft. Das ist ein Feld, auf dem die Grünen in letzter Zeit erstaunlich blass geblieben sind.
Die Grünen machen deutlich, dass man Fluchtursachen bekämpfen muss und nicht nur Fluchtmöglichkeiten. Dafür brauchen die UN-Organisationen das nötige Geld, um auch die Menschen in den Auffanglagern ausreichend versorgen zu können. Die reichen Industrienationen müssen ihre finanziellen Zusagen daher endlich einhalten. Es gilt außerdem, legale Fluchtmöglichkeiten zu schaffen.
Wie stellen Sie sich das vor?
Baden-Württemberg zeigt, wie es geht: Das grün-geführte Bundesland hat ein Aufnahmeprogramm für jesidische Frauen und Kinder, die besonders ins Visier des Islamischen Staates gerieten. Durch aktives Handeln kann man die Menschen schützen, die am stärksten bedroht sind. Europa sollte eine Zahl an Menschen festlegen, die legal und sicher nach Europa kommen dürfen. So beendet man das miese Geschäft der Schlepper und verhindert, dass Menschen im Mittelmeer sterben.
Das heißt, sie wollen kategorisierte Kontingente?
Wir wollen Kontingente, um schutzbedürftigen Personen helfen zu können.
Wie wollen Sie für einen solchen Ansatz parteiübergreifende Mehrheiten finden?
So eine Idee gab es ja selbst bei der CDU schon einmal. Nur haben die sich dann nicht mehr getraut, weil die CSU in Bayern so laut geschrien hat. Bedrohte Familien müssen aber einfach eine Chance haben, über einen sicheren Weg nach Europa zu gelangen und dort aufgenommen zu werden.
Das Thema innere Sicherheit ist für viele Bürger nach zahlreichen Anschlägen in Europa zentral. Warum sollten sie gerade den Grünen die Stimme geben? Anderen Parteien wird auf diesem Feld viel mehr Kompetenz nachgesagt.
Weil wir deutlich machen, wo die Probleme wirklich liegen.
Im Fall Anis Amri haben Beamte des Berliner LKA im Nachhinein Daten verändert, der Mann hätte längst festgenommen werden können. Es war also kein Problem zu lascher Gesetze, wie gern behauptet wird. Die Grünen fordern seit Jahren statt Gesetzesverschärfungen mehr Polizeistellen gekoppelt an spezielle Aufgaben.
Fall Anis Amri: "Wir fordern einen Ausschuss im Bundestag"
Der Ruf nach mehr Polizei ist bei vielen Parteien populär.
Ja. Aber, wo Grüne an der Macht sind, werden die Stellen auch geschaffen. Unsere Forderungen gehen noch weiter: Die Polizei ist verantwortlich für die Gefahrenabwehr und sie ist auch primär zuständig für die Terrorismusbekämpfung. Und nicht die Geheimdienste.
Warum?
Die Geheimdienste haben in der Regel neben der Gefahrenabwehr auch andere Interessen: Sie wollen vor allem Dinge erfahren, wollen weiter ihre Informanten und Quellen führen und schützen. Damit gehen die Geheimdienste zum Teil relativ hohe Risiken für uns alle ein.
Die Geheimdienste werden sich ihre Befugnisse nicht so einfach nehmen lassen.
Wir haben das große Interesse, dass es möglichst wenig Terroranschläge gibt, und deshalb sollte die Gefahrenabwehr oberstes Ziel sein. Die Geheimdienste müssen dann eben zurückstecken. Es besteht der Eindruck, dass Anis Amri bewusst nicht festgenommen wurde, obwohl man wusste, dass er IS-Mitglied war. Das darf sich nicht wiederholen. Und das muss aufgeklärt werden. Deshalb fordern wir einen Untersuchungsausschuss im Bundestag.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Jürgen Trittin geben dem Grünen-Spitzenduo für die Bundestagswahl, Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt, des Öfteren belehrende Ratschläge. Wie bewerten Sie diese Einwürfe?
Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam mehr nach vorne schauen und jeder seine Energie darauf verwendet, die Menschen von uns Grünen zu überzeugen, statt sie mit Selbstbeschäftigung zu verschwenden.
Haben die Parteimitglieder mit den beiden Realos Özdemir und Göring-Eckardt das falsche Führungspersonal ausgewählt?
Beide sind unsere erfahrensten Spitzenpolitiker. Die Beliebtheitswerte von Cem Özdemir zum Beispiel sind sehr hoch. Die Partei steht geschlossen hinter den beiden. Das Renommee von Cem in der Integrationsdebatte, in der Auseinandersetzung mit dem türkischen Recep Tayyip Erdogan und bei der Verknüpfung von Ökonomie und Ökologie ist immens. Genauso das von Katrin in der Flüchtlings- und Gesellschaftspolitik. Sie hat sich in den letzten Jahren auch viel mit Umweltthemen beschäftigt und schafft es, Politik mit dem Alltag der Leute zu verbinden. Beide machen das sehr gut. Ich bin mir sicher, dass unsere Umfragewerte wieder besser werden, wenn der Bundestagswahlkampf richtig anzieht.
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