Anschlag von London: Der Dschihadist von nebenan

London - Aus Drohungen wurde Realität: 2016 zeigte der britische Fernsehsender Channel 4 die Undercover-Dokumentation "The Jihadis Next Door" ("Die Dschihadisten von nebenan"). Darin begleiten ein Reporter und sein Kamerateam zwei einflussreiche islamistische Hassprediger in ihrem Alltag. Als Randfigur taucht auch Khuram Shazad Butt auf, wie mehrere britische Medien nun berichten. Das Erschreckende: Den in Pakistan geborenen Briten hat die Polizei als einen der drei Attentäter identifiziert, die für das Blutbad mit sieben Toten und knapp 50 Verletzten am Samstagabend in London verantwortlich sind. 15 Schwerverletzte befinden sich noch in kritischem Zustand.
Die Terroristen von der London Bridge und dem Borough Market (v.l.): Joussef Zaghba, Khuram Butt und Rachid Redouane haben mit einem Lieferwagen und Messern sieben Menschen getötet und etliche verletzt. Erst Schüsse der Polizei stoppten die Attentäter. Fotos: Polizei
Für die Dokumentation hatte Channel 4 die Islamisten ein Jahr lang begleitet. Einer der Protagonisten ist der bekannte Hassprediger Mohammed Shamsuddin, der den britischen Sicherheitsbehörden als Unterstützer des "Islamischen Staates" bekannt ist.
In dem TV-Beitrag ruft Shamsuddin zum Kampf gegen "Ungläubige" auf. Auch ist in der Doku zu sehen, wie er sich mit einen Mitstreiter Hinrichtungsvideos des IS anschaut und sich darüber belustigt.
Eine Szene aus der Channel-4-Doku „The Jihadis Next Door“: Hassprediger Mohammed Shamsuddin (vorne) entrollt eine IS-Flagge. Im Hintergrund: Khuram Butt (roter Kreis). Screenshot: Channel 4
Bei einem Treffen mit seinen "Brüdern" im Londoner Regent’s Park rollt der Hassprediger eine IS-Fahne aus und ruft seinen Anhängern zu: "Die Sharia kommt nach Großbritannien. Diese schwarze Flagge, die ihr hier seht, wird eines Tages in der Downing Street wehen." Mit in der Reihe von Shamsuddins Gefolgschaft steht auch London-Attentäter Khuram Butt. Der 27-Jährige ist der britischen Polizei und dem Inlandsgeheimdienst MI5 bekannt gewesen.
Doch trotz seiner Verbindungen zu radikalen Islamisten arbeitete Butt von Mai bis Oktober 2016 für die Londoner U-Bahn. "The Times" berichtet, Butt habe Verbindungen zu einem der Attentäter des Londoner Terroranschlags vom 7. Juli 2005, bei dem Dutzende Menschen getötet worden waren.
Die Behörden prüften Butt – und stuften ihn als "nachrangig" ein
Großbritanniens Anti-Terror-Chef Mark Rowley erklärte, Butt sei damals überprüft worden. Aber die Behörden hätten keine Belege gefunden, dass er einen Anschlag plane. Daraufhin sei er als "nachrangig" eingestuft worden.
Butt war verheiratet und hatte zwei Kinder. Er lebte im Ostlondoner Stadtteil Barking, wie auch der zweite Attentäter Rachid Redouane. Der 30-Jährige aus Marokko, der sich zeitweise auch als Libyer ausgab, hatte eine kleine Tochter mit einer 38-jährigen Frau. Er war der Polizei offenbar nicht bekannt.
Auch der dritte Angreifer, der 22-jährige Joussef Zaghba, habe zuletzt in Ost-London gelebt, teilte Scotland Yard gestern mit. Der Italiener marokkanischer Herkunft soll im März 2016 in Bologna von der Polizei festgehalten worden sein, als er einen Flug in die Türkei nehmen und weiter nach Syrien reisen wollte. Auch Khuram Butt wollte laut Berichten im Jahr 2015 nach Syrien gelangen, um dort für den IS zu kämpfen. Das soll ihm jedoch seine Familie ausgeredet haben.
Ob auch Shamsuddin etwas mit dem Londoner Anschlag zu tun hatte, ist bislang nicht bekannt. Wie in der Doku zu sehen ist, werden er und seine Anhänger im Regent’s Park von der Polizei kontrolliert und in Gewahrsam genommen, kommen später aber wieder frei. Angesichts dieser Enthüllungen geraten die britischen Sicherheitsbehörden immer stärker unter Druck.
Politischer Streit vor Unterhauswahl - Terror statt Brexit
Der Londoner Anschlag entfacht die Debatte um die Innere Sicherheit in Großbritannien neu. Normalerweise ist in Zeiten der Terrorbedrohung Solidarität das Gebot der Stunde. Der politische Schulterschluss wird geübt. Nicht so im Königreich. Denn an diesem Donnerstag wird in Großbritannien das Unterhaus neu gewählt, und die Spitzenkandidaten der beiden großen Parteien wollen sich beim Thema Innere Sicherheit nichts schenken.
Premierministerin Theresa May erklärte, dass jetzt "keine Zeit für Anfänger" sei und unterstrich, dass ihr Herausforderer, Labour-Chef Jeremy Corbyn, sich gern damit gebrüstet hätte, gegen jedes Anti-Terror-Gesetz gestimmt zu haben.
Corbyn im Gegenzug rief danach, Theresa May am Donnerstag einen Denkzettel zu verpassen und dafür zur Verantwortung zu ziehen, als ehemalige Innenministerin die drastischen Personalkürzungen bei der Polizei durchgeführt zu haben, der seit 2010 immerhin 20 000 Beamtenstellen zum Opfer fielen.
Auch der Bürgermeister von London, Sadiq Khan, mischte sich gestern in den Streit ein. Nach den Plänen der Regierung kämen auf die Londoner Polizei Budgetkürzungen von 1,1 Milliarden Pfund zu, bis zu 12 800 Stellen müssten gestrichen werden.
"Polizisten auf unseren Straßen sind die Augen und Ohren der Sicherheitsdienste und liefern die Informationen, geplante Terrorattacken zu vereiteln", sagte Khan. "Einschnitte in dieser Dimension würden es schwieriger machen, in Zukunft Terroranschläge zu verhindern – und als Bürgermeister werde ich nicht beiseitestehen und das zulassen."
Dagegen versuchte der Außenminister Boris Johnson von der Kritik auf May abzulenken und beschuldigte die Sicherheitskräfte der Nachlässigkeit. Der Inlandsgeheimdienst MI5, der zusammen mit der Polizei für die Terrorabwehr zuständig ist, müsse sich peinliche Fragen gefallen lassen. Johnson bezog sich damit auf die Berichte über den Rädelsführer Khuram Butt.
Der Streit um vermeintliche Versäumnisse und Verantwortlichkeiten gibt dem Endspurt des Wahlkampfs seine eigene Würze. Zwar sehen die meisten Umfragen die Torys von Premierministerin May noch vorne, Jeremy Corbyn und seine Labour-Partei konnten in den letzten Tagen aber Punkte gutmachen.
Nach Twitter-Attacken: Trump ist in London unerwünscht
Nach herben Twitter-Angriffen von Donald Trump hat der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan einen Staatsbesuch des US-Präsidenten in Großbritannien als unangemessen abgelehnt. Bereits nach der Einladung durch Premierministerin Theresa May habe er gesagt, dass Trump nicht der rote Teppich ausgerollt werden dürfe. "Daran hat sich nichts geändert."
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