Anschaffen an der Grenze – Prostituierte aus Osteuropa

In Deutschland ist eine Debatte über Prostitution entbrannt. Künftig könnten Freier bestraft werden, wenn sie zu Zwangsprostituierten gehen. Viele Frauen, die käuflichen Sex anbieten, kommen aus Osteuropa. Es geht auch um Menschenhandel.
dpa |
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Frankfurt (Oder)/Berlin  – Angelockt wurde die junge Bulgarin mit einem falschen Versprechen: Ein Bekannter bot ihr einen Job in einem Restaurant in Deutschland an. Die Frau Anfang 20 kam allerdings nie in dieser Küche an – sondern landete in einem Bordell. „Sie musste sich prostituieren“, sagt Margarete Muresan. Sie berät Opfer von Menschenhandel sowie Frauen, die ihre Körper verkaufen. Geholfen hat sie auch der Bulgarin, die über Polen nach Deutschland kam und in der brandenburgischen Grenzregion zu bezahltem Sex gezwungen wurde.

Deutsche Orte in unmittelbarer Nachbarschaft zu Polen sind oft die erste Anlaufstelle für die Frauen aus Weißrussland, der Ukraine und anderen osteuropäischen Staaten. Das war schon in den 1990er Jahren nach den politischen Umbrüchen im Osten so, wie Barbara Eritt sagt. Sie arbeitet wie ihre Kollegin Muresan bei „In Via“. Der Verband des Erzbistums Berlin macht Sozialarbeit für Mädchen und Frauen.

Seit Wochen wird in Deutschland über käuflichen Sex diskutiert. Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer veröffentlichte einen „Appell gegen Prostitution“. Die große Koalition will im nächsten Jahr das Prostitutionsgesetz von 2002 grundlegend überarbeiten. Freiern etwa droht ein Strafe, wenn sie die Dienste von Zwangsprostituierten in Anspruch nehmen. Außerdem soll es mehr Kontrollmöglichkeiten in Bordellen geben.

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig sagt, die Reform sei „eine der ersten Aufgaben, die die Bundesregierung angehen muss“. Die Ausbeutung der betroffenen Frauen dürfe nicht so bleiben. Anders als in Frankreich solle die legale Prostitution aber weiter erlaubt bleiben. Das sieht auch der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl so: „Eine generelle Bestrafung von allen Freiern wird nicht erwogen.“

Manche Schätzungen gehen von rund 400 000, andere von deutlich mehr Prostituierte bundesweit aus – darunter viele Osteuropäerinnen. „Die Szene ist wahnsinnig dynamisch“, erklärt Eritt. In den 1990er Jahren hätten viele polnische Prostituierte zunächst in Brandenburg gearbeitet, danach seien es auch Ukrainerinnen und Weißrussinnen gewesen. Nach wiederholten Kontrollen hätten die Frauen dann ihre Dienste kurz hinter der Grenze auf polnischer Seite angeboten. Das ist auch heute noch der Fall. Die Kundschaft kommt oft genug aus Deutschland. „In Polen müssen Freier weniger bezahlen.“

Die Debatte hierzulande kreist auch darum, wie freiwillig Frauen anschaffen gehen. „Wir müssen immer zwischen Prostitution und Menschenhandel unterscheiden“, betont Eritt. Muresan ergänzt: „Es gibt Frauen, die es machen, auch wenn sie eine Alternative hätten.“ Darüber hinaus gebe es andere, die sich in einer Notlage wie Armut prostituierten. „Die Freiwilligkeit ist relativ. Die Frauen stehen unter einem Wirtschaftszwang.“ Und es gebe die Zwangsprostitution, von der auch deutsche Frauen betroffen sein könnten.

Auch die Bulgarin, deren Schicksal Muresan beschreibt, arbeitete unter Zwang. Nachdem sie in Brandenburg anschaffen musste, wurde sie nach Berlin gebracht. Als Polizisten 2012 ein Bordell kontrollierten, konnte sich die Frau nicht ausweisen. „Sie sagte, dass sie nicht freiwillig dort ist“, erklärt Muresan. Die Beamten alarmierten „In Via“. Am Ende erstattete die Frau Anzeige. „In Via“ berät nicht nur Frauen in Berlin. Die Mitarbeiterinnen fahren auch zum Straßenstrich in Fürstenwalde und zu den Bordellen in Slubice bei Frankfurt (Oder).

Nach Angaben des Brandenburger Landeskriminalamtes wurden 2012 sechs Fälle bekannt, in denen Prostituierte ausgebeutet wurden. Hinzu kommt ein erfasster Fall von „Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung“. Muresan betont, das heiße nicht, dass es keine weiteren Fälle gegeben habe. Es gebe Zwangsprostituierte, die sich gar nicht bei der Polizei meldeten – aus Scham oder Furcht.

„Wir vertreten die Meinung, dass die Bestrafung von Freiern nicht zugunsten der Frauen geht“, betont Muresan. So werde Prostitution nicht verschwinden, sondern statt in Bordellen verstärkt illegal in Wohnungen betrieben. „Illegalisierung bedeutet Kriminalisierung.“

 

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