Anis Amri: Hier betete der Mörder vom Weihnachtsmarkt
Berlin - Die Tür, hinter der Anis Amri betete, bevor er mit einem entführten Lkw in den Berliner Weihnachtsmarkt raste und zwölf Menschen tötete, ist zersplittert. Die Polizei hat sich bei mehreren Razzien gewaltsam Zutritt verschafft. Hinter dem Eingang befinden sich die Räume von "Fussilet 33", dem berüchtigtsten Moschee-Verein Berlins. Obwohl bekannt ist, dass Amri, der Attentäter vom Breitscheidplatz, dort ein- und ausging, dass islamistische Hassprediger zum blutigen Kampf gegen "Ungläubige" aufriefen, ist der Islamisten-Treff noch immer nicht verboten.
"Ich bin da früher auch zum Freitagsgebet hin. Aber das war vorher, bevor diese Gestalten kamen", erzählt ein türkischstämmiger Bewohner des Mietshauses, in dem sich die Gebetsräume befinden. In den Räumen, so erklärt er, war früher die "Hicret-Moschee" des staatlich-türkischen Religionsverbandes Ditib ansässig. Doch die habe schließen müssen "Da ist das Geld ausgegangen. Ein Jahr lang seien die Räume leergeblieben, dann öffnete die neue Moschee. Doch das Publikum war nun ein ganz anderes. "Bärtige Männer mit weißen Umhängen. Vor den Razzien waren auch oft vollverschleierte Frauen da. Das waren keine türkischen Leute von hier, sondern Araber und Afrikaner", sagt der Mann. "Und Tschetschenen, viele Tschetschenen."
Tatsächlich galt die Moschee in Sicherheitskreisen vor allem als Treffpunkt radikaler Muslime aus der Kaukasusregion und dem arabischen Raum. Als Imam amtierte Gadzhimurad K., russischer Staatsangehöriger dagestanischer Herkunft. Er wurde im Juni 2016 zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, weil er für den Islamischen Staat warb. K. war laut Staatsanwaltschaft 2002 nach Deutschland gekommen und hatte einen Asylantrag gestellt, der aber abgelehnt wurde. Abgeschoben wurde er nicht, weil ihm in der Kaukasus-Republik Dagestan möglicherweise Verfolgung gedroht hätte. Auch Ismet D., der Vorstandspräsident der Moschee, der sich selbst als "Emir" bezeichnet, und der Vorsitzende des "Weisenrats", Emin F., wurden festgenommen. Sie sollen Geld und Ausrüstung für die Terrormiliz besorgt sowie Kämpfer angeworben haben.
In welcher Beziehung sie zu Amri standen, ist weiter Gegenstand von Ermittlungen. Die Sicherheitsbehörden äußern sich dazu nicht. Doch, so viel sickert durch, wurde Amri im Vergleich zu anderen Berliner Islamisten offenbar in seiner Gefährlichkeit unterschätzt. Der spätere Attentäter war zeitweise weniger durch religiöse Aktivitäten, sondern vielmehr durch Drogenhandel aufgefallen. Gleichzeitig war lange bekannt, dass Amri als Gefährder galt, dem ein Anschlag zugetraut wird. Nun wird sich ein Untersuchungsausschuss mit dem Fall Amri, mit dem Versagen der Sicherheitsbehörden, beschäftigen. Das hat der NRW-Landtag gestern beschlossen.
710 Personen in der salafistischen Szene
Deutlich wird bei der Aufarbeitung des Terroranschlags auch wieder einmal, wie groß und unübersichtlich die Berliner Islamisten-Szene geworden ist. 710 Personen werden der salafistischen Szene zugeordnet, etwa die Hälfte davon wird als "gewaltorientiert" eingeschätzt. Es gibt enge Verbindungen zwischen Berliner Islamisten und dem IS. Der Deutsch-Ägypter Reda Seyam, heute "Bildungsminister" des IS, war zuvor in einer Berliner Salafistengruppe aktiv. Der Berliner Dennis Cuspert, ehemals als Rapper "Deso Dogg" bekannt, versucht in Propagandavideos, Kämpfer für den IS zu rekrutieren – mit Erfolg.
Die Polizisten der Wache Abschnitt 33, Abteilung Kriminalitätsbekämpfung, können aus dem Fenster direkt auf den Eingang zu Amris Moschee sehen, hatten das Kommen und Gehen dort auch per Videokamera im Blick. Verhindern konnten sie die Umtriebe nicht.
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Schon 2015 strebte der Berliner Senat ein Verbot von Fussilet 33 an. Dass es bisher nicht dazu kam, wird unter anderem mit "Personalmangel" begründet. Doch das fast schon sprichwörtliche Berliner Behördenversagen taugt womöglich nicht allein als Erklärung. Ein Insider, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, sagt: "Für die Sicherheitsorgane ist es ein Glücksfall, wenn es gelingt, eine Quelle in einem Moscheeverein zu gewinnen oder dort einzuschleusen." Das heißt: Die Ermittlungen zu möglichen Helfern und Hintermännern Amris haben offenbar Vorrang vor einem Verbot. Gleichzeitig gelten die rechtlichen Hürden für Moschee-Verbote als extrem hoch. Und selbst ein Verbot würde den Islamisten-Sumpf ja nicht austrocknen. Die Anhänger würden sich neu organisieren und besser darauf achten, sich dem Gesetz zu entziehen.
Dennoch hat "Fussilet 33" zumindest in der Perleberger Straße nach dem Fall Amri wohl keine Zukunft mehr. Das haben die noch in Freiheit befindlichen Mitglieder inzwischen offenbar selbst eingesehen. An der zersplitterten Tür hängt seit kurzem ein Schild. In deutscher und türkischer Sprache steht darauf: "Diese Moschee ist dauerhaft geschlossen."